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Vor 25 Jahren in Nordirland
Der erste Waffenstillstand der Untergrundorganisation IRA

Seit 1969 hatte der Bürgerkrieg zwischen katholischen und protestantischen Nationalisten Nordirland fest im Griff. Als die Terrororganisation IRA heute vor 25 Jahren erstmals einen Waffenstillstand verkündete, waren die Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt groß.

Von Monika Köpcke | 31.08.2019
    Katholische Schulmädchen lachen mit einem britischen Soldaten, der im Gebiet der Falls Road patroulliert. Nach 25 Jahren blutigem Terror hat die irische Untergundorganisation IRA am 31.08.1994 einen uneingeschränkten Gewaltverzicht erklärt und damit einen Schritt zur Beendigung des Nordirland-Konflikts getan |
    IRA verzichtet nach 25 Jahren auf Gewalt (picture-alliance / dpa / Penny)
    Am 31.August 1994 zieht eine jubelnde Menge durch die Straßen Belfasts. An diesem Tag hatte die IRA, die Irisch-Republikanische Armee, erklärt:
    "Ab Mitternacht werden alle militärischen Operationen eingestellt."
    "Jeder irische Bürger daheim und im Ausland begrüßt erleichtert und dankbar die heute verkündete Entscheidung von einem Ende der 25jährigen IRA-Kampagne."
    Der irische Premierminister Albert Reynolds:
    "Es ist ein Tag, von dem viele schon geglaubt hatten, sie würden ihn nicht mehr erleben. Ein langer Alptraum geht zu Ende."
    Wurzeln des Konflikts im 16. Jahrhundert
    Die Wurzeln dieses Alptraums gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück, als Großbritannien das katholische Irland seinem Königreich einverleibte und später im Norden der Insel britische Protestanten ansiedelte. 1921 wurde der größte Teil Irlands unabhängig, nur der Norden blieb britisch. Hier entstand eine breite Protestbewegung der katholischen Nordiren, die sich von der protestantischen Mehrheit diskriminiert fühlten. Als Großbritannien 1969 Soldaten nach Nordirland schickte, um die Unruhen zu beenden, wurde aus der Bürgerbewegung ein Bürgerkrieg. Beide Seiten standen sich unversöhnlich gegenüber: Die katholischen Nationalisten wollten Großbritannien verlassen und sich mit der Republik Irland vereinigen. Die protestantischen Loyalisten wollten britisch bleiben. Auf beiden Seiten kämpften Terrorgruppen, die ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen wollten: Die IRA auf katholischer, die Ulster Freedom Fighters auf protestantischer Seite.
    "2. Dezember 1993: Ein britischer Soldat wird in Keady, County Armagh, von der IRA erschossen. / 5. Dezember 1993: Ein Mann und ein 15jähriger Junge werden in Belfast von den Ulster Freedom Fighters erschossen."
    Neun Tote in 29 Tagen: Der Dezember 1993 war ein ganz "normaler" Monat, zumindest was die Spirale von Gewalt und Gegengewalt betraf.
    "In Crossmaglen, County Armagh, wird ein Soldat von einem Scharfschützen der IRA erschossen."
    Politische Einigung bereitet den Weg
    Doch auf der politischen Ebene kam damals Bewegung in den Konflikt. Am 16. Dezember unterzeichneten Großbritannien und Irland eine Erklärung, in der die Rahmenbedingungen einer Friedensregelung aufgezeigt wurden. Die Partei Sinn Fein, der parteipolitische Arm der IRA, sollte ein volles Mitspracherecht bekommen - falls die IRA der Gewalt abschwörte. Der britische Premierminister John Major sagte vor der Presse:
    "Wir haben uns auf eine Erklärung über Nordirland geeinigt. Eine Erklärung für Demokratie und Dialog, basierend auf Übereinstimmung. Die Türe steht offen. Es gibt keine bessere Gelegenheit. Unsere Botschaft ist klar und einfach: Gewalt hat keine Zukunft."
    Achteinhalb Monate ließ die IRA sich Zeit, bis sie mit dem Verkünden des Waffenstillstands auf dieses Angebot reagierte. Die Protestanten blieben vorerst skeptisch. Erst sechs Wochen später erklärten sich auch ihre Terrororganisationen dazu bereit, die Waffen niederzulegen. Und stellten klar:
    "Die Dauer des Waffenstillstands hängt ab vom Waffenstillstand der IRA. Die Verantwortung für eine Rückkehr zur Gewalt liegt einzig und allein bei ihnen."
    Seit 2007 gemeinsame Regierung
    Bis auf einen Bombenanschlag 1996 hielt sich die IRA an den Waffenstillstand. Bis zu seiner Verkündung hatte der Bürgerkrieg mehr als 3.000 Tote und 38.000 Verletzte gefordert. Es gab weiterhin viel Gewalt, aber sie ging nun von paramilitärischen Splittergruppen aus und erreichte nicht mehr das Niveau der Zeit vor dem Waffenstillstand. Der Alltag wurde friedlicher, wie dieser Nordire beschreibt:
    "Man sieht es beim Einkaufen, so freizügig war es noch nie. In meiner Stadt Derry sind die Soldaten von den Straßen verschwunden, die Mauern sind verschwunden. Jeder, auch die Gewalttäter, spürt, was die Menschen wirklich wollen. Deshalb wäre es für sie sehr schwer, in die Schützengräben zurückzukehren."
    1998 einigten sich die Kontrahenten auf ein Abkommen, das den Weg zu einer gleichberechtigten politischen Selbstverwaltung festschrieb. Seit 2007 lenken die Loyalisten und Nationalisten die Geschicke Nordirlands gemeinsam. Das gegenseitige Misstrauen ist zwar noch immer groß, und auch Gewalt flammt immer wieder auf. Doch die größte Gefahr für diesen fragilen Frieden wäre ein harter Brexit, der dazu führt, dass quer über die irische Insel eine Grenze verläuft.