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Vor 25 Jahren starb Marguerite "Peggy" Guggenheim

Am Ende sei sie ziemlich einsam gewesen, berichtet Philipp Rylands, Direktor der Peggy Guggenheim Collection in Venedig. Die 81-jährige Peggy sagte im Jahre ihres Todes, 1979, von sich selbst: "Ich sehe mit großer Freude auf mein Leben zurück." Sie durfte sich rühmen, europäischen Künstlern in den USA und amerikanischen Künstlern in Europa zum Durchbruch verholfen zu haben. Dass sie einmal die letzte große Muse und Kunst-Mäzenin des 20. Jahrhunderts werden sollte, war das Abenteuer ihres Lebens.

Von Sigrid Nebelung | 23.12.2004
    Schon mit 25 begann sie, ihre Memoiren zu schreiben:

    Ich stamme aus zwei der besten jüdischen Familien. Einer meiner Großväter wurde in einem Stall geboren wie Jesus Christus, oder genauer auf einem Heuboden in Bayern. Und der andere Großvater war ein Hausierer.

    Der im Stall geborene Großvater Seligman wurde später ein erfolgreicher Bankier in den USA. Und Meyer Guggenheim aus der Schweiz kaufte im Laufe der Zeit fast sämtliche Kupferminen der Welt auf. Peggys charmanter Vater Benjamin lebte schon als Bonvivant in New York von den Zinsen und ging 1912 mit der "Titanic" unter. Eigentlich sei sie nie damit fertig geworden, bekannte Peggy, und habe seither immer einen Vater gesucht. Ist das der Schlüssel für ihre vielen amourösen Eskapaden?
    Der Vater hinterließ ihr ein kleines Vermögen. Peggy bricht auf nach Europa, stürzt sich in den Zwanziger Jahren wild in die Pariser Bohème. In dieser Zeit sammelt sie noch Künstler und nicht deren Werke: James Joyce, Marcel Duchamp, Man Ray, André Breton, Samuel Beckett und viele andere.

    Von Beckett lernte ich, dass reiche Leute die Verpflichtung haben, die Kunst ihrer Zeit zu unterstützen.

    Private Turbulenzen hatten sie nach London verschlagen, wo sie die Galerie "Guggenheim Jeune" gründete - in Abgrenzung zu ihren kunstmächtigen Onkel Solomon, der 1939 das Guggenheim Museum in New York eröffnete. Sie war nun fast 40 und wollte auch ein richtiges Museum gründen. Ihr einziges Problem: Sie verstand nicht wirklich etwas von moderner Kunst. Nun zahlte sich ihr Talent zur Freundschaft aus - Peggys Enkeln Carol Vail über ihre berühmte Großmutter:

    Sie hatte großartige Berater, Herbert Read, Marcel Duchamp. Man muss es ihr hoch anrechnen, dass sie den Ratschlägen so aufgeschlossen gegenüber stand.

    Herbert Read und Marcel Duchamp legten für Peggy eine Liste von wichtigen Werken der modernen Kunst an und animierten sie, so viele wie möglich davon in Paris zu kaufen. Im mittlerweile vom Einmarsch der Deutschen bedrohten Paris waren die meisten Künstler mehr als bereit dazu, ihre Werke gegen Bares einzutauschen. Peggy kaufte "jeden Tag ein Bild".
    Doch wohin mit ihren Schätzen? Der Louvre hatte den Meisterwerken von Kandinsky, Klee, Picabia, Braque, Magritte oder Miro den sicheren Kellerraum verweigert, die Sammlung sei es nicht wert, gerettet zu werden. Peggy rettet sie auf eigene Faust:

    Ich war in der Zwischenzeit häufiger in Marseille, weil ich einem Komitee angehörte, das es sich zum Ziel gemacht hatte, ausländische Künstler vor den Nazis zu retten und nach Amerika zu schicken. Unter jenen, die gerettet werden sollten, waren Max Ernst, André Breton und dessen Familie So lernte ich Max Ernst kennen und habe mich in ihn verliebt.

    In New York gründet sie ihre exzentrische Galerie "Art of this Century" und gibt den verlorenen Europa-Flüchtlingen eine Adresse. Sie stellt aber auch die jungen Amerikaner Jackson Pollock, Mark Rothko und Robert Motherwell zum ersten Mal aus. Nicht zu Unrecht hat man ihre Galerie "Die Wiege des Abstrakten Expressionismus" genannt.
    Gleich nach dem Krieg und der Scheidung von Max Ernst zieht es Peggy wieder nach Europa, diesmal nach Venedig. Die Stadt in der Lagune hatte es ihr angetan, seit sie 1920 zum ersten Mal da gewesen war:

    I fell in love with Venice the first time I came here in about 1920/21. I never forgot and I always wanted to come back and live here.

    Sie suchte und fand schließlich den Palazzo Venier dei Leoni am Canale Grande. Hier lebte sie mit ihren Bildern und Plastiken, 263 an der Zahl, darunter Glanzlichter von Picasso, Matisse, Max Ernst und den anderen Surrealisten. Gelebte und erlittene Kunstgeschichte, nachzulesen in ihren freimütigen Memoiren. Das Alter mochte Peggy Guggenheim nicht, "und auch nicht die Zeit", die, wie sie meinte, "keine Genies mehr hervorbrachte, die auch noch zu Liebhabern taugten".