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Vor 25 Jahren starb Rudi Dutschke

Immerhin zu "Unseren Besten" kürten die Fernsehzuschauer des Jahres 2003 den rebellischen Anführer der Studentenrevolte von 68: Rudi Dutschke kam in der Umfrage des ZDF gleich hinter Joseph Beuys und Friedrich Nietzsche, noch vor Kardinal Lehmann und Beate Uhse. Kein schlechter Platz für den mit 40 Jahren jung Verstorbenen, dem die soziale Plastik so wenig fremd war wie das gelegentliche Philosophieren mit dem Hammer, der sich in kirchlicher Dogmatik auskannte wie mit freier Sexualität. Und der das alles sehr ernst nahm: Auf den ersten "teach-ins", den Diskussionen der Studenten, sprach Rudi Dutschke über Imperialismus, Vietnamkrieg - und die bevorstehende Revolution in Westdeutschland:

Von Jochen Stöckmann | 24.12.2004
    Was ist autoritäre Erziehung anderes als eine permanente Form der Gewaltanwendung? Wir sollten den Gewaltbegriff genauer sehen und nicht nur sehen die Maschinenpistolen und die Tanks.

    Gegen den "repressiven Gewaltapparat" des Staates wollte der Politstratege Rudi Dutschke eine außerparlamentarische Opposition mobilisieren, die APO, für die es galt:

    Kühn und entschlossen die sichtbaren und unmittelbaren Widersprüche zu vertiefen und zu politisieren, Aktionen zu wagen, kühn und allseitig die Initiative der Massen zu entfalten.

    Innerhalb des SDS, des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, erntete Dutschke dafür den Vorwurf des "Linksfaschismus", ausgesprochen - und später halbherzig zurückgenommen - von Jürgen Habermas. In seinem Tagebuch notierte der politische Aktivist, was ihn an dieser verbalen Attacke des linken Professors so sehr verletzte:

    Der Vorwurf reduzierte sich darauf, dass ich, der ich durch Aktionen die sublime Gewalt zwinge, manifest zu werden, bewusst Studenten "verheizen" wolle.

    Tatsächlich aber scharen sich die Studenten um Dutschke, diesen allgegenwärtigen Kopf der Revolte - heute in Berlin oder Hannover, morgen im Frankfurt und Hamburg. Aber neben den agitatorisch zugespitzten Reden versucht der christlich geprägte, in der DDR aufgewachsene Sohn eines Postbeamten auch durch die Kraft des persönlichen Vorbildes zu wirken, wie sich Horst Konrad erinnert, der 1968 ein teach-in im Hamburger Audimax organisierte:
    Rudi Dutschke hat diese über 1000 Zuhörer in seinen Bann gezogen. Und dann muss man eine Sache sagen, und das ist wahrscheinlich der Ossi im Rudi Dutschke gewesen: Da waren dann zwei, drei Studentenvertreter, die da anschließend das große Audimax aufgeräumt haben. Und der einzige, der wirklich geholfen hat, war Rudi Dutschke.

    Aber was ihn unter Gleichgesinnten so beliebt machte - seine überlegt zupackende Art - das zog den Hass des politischen Gegners auf sich. Am 11. April 1968 schoss der Berliner Lagerarbeiter Josef Bachmann mit einem Revolver auf den von der Boulevard-Presse verteufelten Studentenführer. Dutschkes Bruder Helmut erinnert sich, wie die Springer-Presse damals die Atmosphäre anheizte:

    Die Berliner sollen selber mitmachen, diese Unruhe zu beseitigen, sollen der Polizei nicht die Drecksarbeit überlassen und den Wasserwerfern... Und zwei Monate später gab es dann einen wie den Josef Bachmann, der diese Drecksarbeit erledigt hat. Springer - die Bild-Zeitung - hat den ersten Schuss mit abgegeben.

    Von einem Kopfschuss schwer getroffen überlebt Rudi Dutschke das Attentat nur knapp, muss mühsam wieder sprechen lernen. Als die Engländer ihm eine Fortsetzung seines Studiums in Cambridge verwehren und den "Berufsrevolutionär" des Landes verweisen, geht er als Dozent mit seiner Familie an die dänische Universität Aarhus.

    Ich wurde rausgeschmissen aus England, und dass die Dänen so viel Liberalität in ihrer Tradition haben, jemand, der aus England rausgeschmissen wurde, aufzunehmen, das ist wohl verständlich - und ich war dankbar.

    Am "Institut für Ideengeschichte" mag sich der gesundheitlich angeschlagene Soziologe aber nicht mit der Rückschau zufrieden geben. In Abwandlung des 1968 propagierten "Marsch durch die Institutionen" sieht Dutschke nun in den Grünen eine politische Alternative zu den etablierten, bürgerlichen Parteien. Mitte der Siebziger unterstützt er seine neuen Genossen beim Wahlkampf in Bremen, getreu seiner Devise:

    Ich werde mit Sicherheit, wenn andere ihre Koffer packen um wegzugehen, werde ich zu denen gehören, die ihre Koffer packen um reinzukommen.

    Zu dieser Rückkehr aber sollte es nicht mehr kommen: In Aarhus erleidet Rudi Dutschke als Spätfolge des Attentats am 24. Dezember 1979 einen epileptischen Anfall und ertrinkt in der Badewanne.