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Vor 350 Jahren uraufgeführt
"Der Bürger als Edelmann": Molières gekonnter Doppelschlag

Aus Ärger über einen türkischen Gesandten bestellte Ludwig XIV. eine Ballettkomödie bei seinem Lieblingsdramatiker Molière. Der erfüllte mit "Der Bürger als Edelmann" den Wunsch des Sonnenkönigs und verspottete dabei zugleich die höfischen Emporkömmlinge. Am 14. Oktober 1670 hatte das Stück Premiere.

Von Christoph Vormweg | 14.10.2020
    Historischer Druck aus dem 19. Jahrhundert, Portrait von Molière oder Jean-Baptiste Poquelin, 1622 - 1673, ein französischer Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker
    Jean-Baptiste Poquelin, alias Molière (imago / imagebroker)
    Die berühmte Pariser Theaterinstitution "La Comédie-Française" heißt im Volksmund "la maison de Molière", das Haus Molières. Hier ein Dauerbrenner seit Jahrhunderten: "Le Bourgeois gentilhomme, 'Der Bürger als Edelmann' ist ein Stück, das wir regelmäßig spielen. Die Komödie ist ein Klassiker und wird vom Publikum sehr geschätzt", so Agathe Sanjuan, Co-Autorin eines Buchs über die Geschichte der Comédie-Française.
    "Das Stück ist immer noch sehr aktuell. Denn es handelt von den Neureichen. Sie sind plötzlich zu Geld gekommen und versuchen deshalb, sich an bestimmte traditionelle kulturelle Codes anzupassen. Sie wollen sich Glanz verleihen und erscheinen gleichzeitig absolut lächerlich."
    Der Lebenstraum des reichen Bürgers Jourdain ist der Aufstieg in den Adelsstand. Im 4. Akt von Molières Komödie "Der Bürger als Edelmann" scheint er endlich wahr zu werden. Ein Gesandter überbringt ihm die Nachricht, dass der Sohn des Großtürken die französische Hauptstadt besucht.
    Gesandter: "Für Sie hat dieser Besuch eine ganz besondere Bedeutung: Der hohe Herr ist nämlich in Ihre Tochter verliebt!"
    Jourdain: "Der Sohn des Großtürken?"
    Gesandter: "Ja! Er bittet um die Hand Ihrer Tochter. Und um einen Schwiegervater zu haben, der seiner würdig ist, will er Sie, Monsieur Jourdain, zum Mamamouchi machen! Das ist eine besonders hohe Würde in seinem Lande."
    Jourdain: "Mamamouchi?"
    Gesandter: "Ja, Mamamouchi!"
    Diesen Titel eines angeblichen Paladins gibt es nur in Molières Fantasie. Neudeutsch: Alles ist ein Fake - der Gesandte nur ein verkleideter Diener. Doch warum dieser Türkenpopanz? Molière, der legendäre Schauspieler, Theaterdirektor und Kammerherr Ludwigs XIV., schreibt gerade an einem Stück über einen Bürger, der zum Edelmann aufsteigen will. Da fordert ihn der Sonnenkönig auf, sich in einer Ballettkomödie über die Türken lustig zu machen - aus Ärger über das Benehmen eines Gesandten des Sultans.
    Undatierte Radierung von Ludwig XIV., dem König von Frankreich (1643 bis 1715).
    Gönner von Molière: "Sonnenkönig" Ludwig XIV. (picture-alliance / dpa)
    Ludwig XIV. empfing diesen Gesandten 1669 eigens in prunkvollen Gewändern mit osmanischem Zeremoniell. Doch erhob er sich zur Begrüßung nicht. Und so schaukelten sich die diplomatischen Respektlosigkeiten hoch. Bald kursierte am Hof das Gerücht, der Gesandte habe zu seinen Begleitern gesagt:
    "Wenn sich in meinem Land der Herrscher dem Volk zeigt, ist sein Pferd prunkvoller geschmückt als das Gewand, das ich gerade gesehen habe."
    Molière selbst gab den Jourdain
    Für die Uraufführung von Molières Komödie lässt man im Schloss von Chambord ein provisorisches Theater errichten. Die Premiere findet am 14. Oktober 1670 vor der versammelten Hofgesellschaft statt. Die Rolle des Bürgers Jourdain übernimmt Molière selbst. Jean-Baptiste Lully, der die Musik für die Ballett-Szenen komponiert hat, spielt den Mufti.
    "Es handelt sich um einen tollen Spaß mit unserem Monsieur Jourdain, der seine Lucile ihrem Liebsten vorenthält unter dem fadenscheinigen Vorwand, der sei nicht von Adel. Nun hat sich Cléonte als Sohn des Großtürken verkleidet und gibt vor, Monsieur Jourdain den Rang eines Mamamouchi zu verleihen. Wie ihr mich hier seht, übernehme ich die Rolle eines Muftis, eines mohammedanischen Oberpriesters. Bleibt ernst, um Himmelswillen, wenn Herr Jourdain in seiner pompösen Verkleidung auftritt."
    Das Schloss - Chateau de Chambord 
    440 Zimmer, 74 Treppenhäuser, über 1.000 Kamine: das Königliche Jagdschloss Chambord in der Nähe der Stadt Blois ist das größte aller Schlösser in der Loire-Region. Eine Führung bringt auch die trainiertesten Touristen an ihre Grenzen.
    Ludwig XIV. zeigt sich bestens amüsiert über die Posse mit Mummenschanz und Maskerade. Zu Molière sagt er anschließend: "Ich bin vollkommen zufrieden mit Ihrer Komödie. Das ist wahre Komik, der gute und nützliche Spaß. Machen Sie weiter so in diesem Genre."
    Die Geburt der Komödie aus dem Geist des diplomatischen Eklats
    Der reiche Kaufmann Jourdain wird in der Komödie "Der Bürger als Edelmann" von Molière nach Strich und Faden verspottet. Gleichzeitig stellt er aber auch den Grafen Dorante bloß, der seinen Adelstitel gewissenlos missbraucht, um sich zu bereichern. Im höfischen Publikum darf sich mancher angesprochen fühlen. Doch stellt Molière als gewiefter Taktiker die Rechtmäßigkeit der Standesunterschiede zwischen Adeligen und Bürgern im Absolutismus nicht infrage.
    Jourdains Tochter heiratet am Schluss ihren als Sohn des Großtürken verkleideten bürgerlichen Geliebten. Die herrschende Ordnung bleibt intakt – und der Sonnenkönig kann, ganz nebenbei, die Mokerien über die Türken genießen. So schreibt eine diplomatische Reiberei Theatergeschichte.