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Vor 40 Jahren verfügt die DDR-Regierung einen Zwangsumtausch

Hier spricht das Studio am Stacheldraht! Hier spricht das Studio am Stacheldraht!

Von Monika Köpcke | 25.11.2004
    Die Berliner Mauer in Kreuzberg, 1962
    Die Berliner Mauer in Kreuzberg, 1962 (Deutschlandradio)
    Glaubt nicht denen die das eigene Volk einsperren. Deshalb mein Appell an alle Funktionäre des Zonenregimes. Lasst Euch nicht zu Lumpen machen, zeigt menschliches Verhalten, wo immer es möglich ist.

    Sie werden also bei der Oberbaumbrücke rübergehen? - Ja. – Haben Sie sich mit Ihren Verwandten verabredet? Die wissen, dass Sie kommen? – Ja, ja, wir haben schon geschrieben. – Haben Sie schon Antwort bekommen? – Nein, noch nicht. – Sind Sie aufgeregt? – Ja, furchtbar. – Sie sind glücklich? – Ja, ja!

    Die Weihnachtstage des Jahres 1963 sind für die Berliner eine bewegte Zeit. Seit über zwei Jahren teilt die Mauer ihre Stadt in zwei Hälften. Nun ist sie zum ersten Mal ein wenig durchlässig geworden: Für die Weihnachtsfeiertage können die Westberliner einen Passierschein beantragen, mit dem sie zu Verwandtenbesuchen nach ‚drüben’ reisen dürfen. Für den Herbst 1964 einigen sich die beiden deutschen Staaten erneut auf ein solches Passierscheinabkommen. Und auch einer Regelung für die kommenden Weihnachtstage scheint nichts im Wege zu stehen. Doch dann bricht am 25. November 1964 diese Anordnung des DDR-Finanzministers wie eine Bombe in die laufenden Verhandlungen ein:

    Ab dem 1. Dezember 1964 gilt für Personen mit ständigem Wohnsitz in nichtsozialistischen Staaten und in Westberlin, die zum besuchsweisen Aufenthalt in die DDR einreisen, ein verbindlicher Mindestumtausch.

    Fünf Mark müssen Westdeutsche und Ausländer pro Tag und Person bei einem Besuch in der DDR tauschen. Für Westberliner beträgt das Eintrittsgeld drei Mark. Das Tauschverhältnis ist eins zu eins: eine D-Mark wird in eine Mark der Deutschen Notenbank, wie die DDR-Währung zu dieser Zeit noch heißt, gewechselt. Nicht ausgegebenes Geld darf nicht wieder zurückgetauscht, sondern kann bei der Staatsbank der DDR deponiert werden. Der Westen reagiert empört. Der SPD-Abgeordnete Herbert Wehner im Deutschen Bundestag:

    Ich hoffe nur, dass möglichst viele und möglichst mehr als sonst ungeachtet dieser Schweinerei, die da mit der Anordnung vom Zwangswechsel von D-Mark soundso in D-Mark soundso angerichtet worden ist, dass danach mehr als bisher rübergehen, Besuche machen und dass sie den Protest gegen diese Schweinerei nicht an den falschen Leuten auslassen und damit eine ganz falsche Richtung geben.

    Es ist einfach unwürdig, wenn jeder Tropfen von Humanität untergeht in einem Meer von Unmenschlichkeit, wenn jede humanitäre Geste, die gezeigt wird, verbunden wird mit politischen Erpressungsversuchen. Ich glaube, das ist in der Welt in der Zwischenzeit so deutlich geworden, dass auch die Machthaber drüben eigentlich ihrem Ansehen selbst zuwiderhandeln.

    Bundeskanzler Ludwig Ehrhard sieht seine ‚Politik der menschlichen Erleichterung’ durch die Einführung des Mindestumtausches untergraben. Über eine Annäherung an die Sowjetunion will er den Druck auf die DDR-Führung erhöhen, die Folgen der Teilung zu mildern. Im September 1964 stellt Nikita Chruschtschow, der erste Mann im Kreml, gar einen Besuch der Bundesrepublik in Aussicht. Doch im Oktober wird Chruschtschow gestürzt, und Moskau beschließt eine härtere Linie gegenüber dem Westen. Die DDR macht mit. Mit reißerischen Schlagzeilen bereitet sie die Einführung des Zwangsumtausches vor:

    DDR duldet keinen Missbrauch ihrer Währung!

    Milliardenverluste durch Schwindelkurs!

    Währungsspekulation in Westberlin unterbinden!
    Die Schwindelkurse der westlichen Wechselstuben würden Besucher dazu verleiten, illegal Ostmark in die DDR einzuschmuggeln, die sie zu ungerechtfertigt günstigen Preisen eingetauscht hätten. So lautet die offizielle Rechtfertigung des Mindestumtausches. Ein Kommentator im Rundfunk der DDR:

    Wer in Westberlin eine D-Mark der BRD zu diesem illegalen Kurs tauscht, erhält fünf Mark der DDR. Dafür erhält er bei uns ein gutes Mittagessen, für das er in der BRD mindestens 16 Mark bezahlen müsste. Das heißt, dass solche Leute ein blühendes Geschäft auf unsere Kosten machen. Das wollen wir nicht.

    Dass mit dem Zwangsumtausch auch das dringend benötigte Devisenpolster aufgestockt wird, ist gewiss nicht bloß eine unbeabsichtigte Nebenwirkung, Bis zu seiner Abschaffung im Dezember 1989 wird der Betrag immer wieder erhöht. Für die DDR-Führung ist das auch ein Instrument, den westlichen Besucherstrom zu regulieren. Denn nach jeder Erhöhung gehen die Besucherzahlen deutlich zurück. Zumindest vorübergehend. Die Bundesrepublik versagt der DDR 1964 als Reaktion auf den Zwangsumtausch zwar zunächst umfangreiche Kreditwünsche. Doch letztlich kann sie nicht beeinflussen, dass sich die DDR bis zu ihrem Ende jedes Entgegenkommen im Reise- und Besuchsverkehr in barer Münze bezahlen lässt.