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Vor 50 Jahren
Das Musical "Cabaret" wird in New York uraufgeführt

"Willkommen - bienvenue - welcome!" Mit dieser dreisprachigen Begrüßung lockte der Conférencier die Zuschauer in den Trubel seines berüchtigten Etablissements am Vorabend des Untergangs der Weimarer Republik. Die Uraufführung von "Cabaret" am Broadway wurde sofort ein Erfolg. Von New York aus startete das Musical seinen Siegeszug um die ganze Welt.

Von Sabine Fringes | 20.11.2016
    Neue Aufführung des Musicals "Cabaret" im Studio 54 in New York 2014.
    Seit seiner Uraufführung am 20. November 1966 hat sich das Musical "Cabaret" zum Klassiker entwickelt. (dpa/picture alliance/Roundabout Theater Company)
    Berlin, Ende der 1920er-Jahre. Der Weimarer Republik droht bereits der Untergang. Inflation, Arbeitslosigkeit und politische Unruhen bestimmen das Leben der jungen Republik.
    Doch in den Nachtklubs feiert, tanzt und trinkt man gegen den sorgenvollen Alltag an.
    Mit einem diabolischen Lächeln entführt ein zwielichtiger Conférencier den Zuschauer in eine vergnügungssüchtige Unterwelt am Vorabend der Katastrophe.
    "And now we send in the cabaret girls, each and everyone a virgin.”
    Hier, im "Kit Kat Club”, begegnen sich der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw und die Sängerin Sally Bowles. Sie ist der Star des erfolgreichen Etablissements und nimmt – via Tischtelefon – Kontakt zu dem melancholischen jungen Mann auf.
    Die Figuren gehen auf den Schriftsteller Christopher Isherwood zurück. Der junge Brite war Ende der 1920er-Jahre ihres sagenumwobenen Nachtlebens wegen in die Metropole gekommen und hatte in zwei autobiografischen Romanen seine Erlebnisse festgehalten. Daraus entstand 1951 ein Bühnenstück von John van Druten, das 15 Jahre später wiederum Joe Masteroff als Vorlage für das Musical "Cabaret" diente.
    Die Songtexte schrieb Fred Ebb.
    Die Liebesgeschichte um Clifford und Sally, die alsbald gemeinsam das Pensionszimmer von Clifford bewohnen, spielt vor dem Hintergrund der sich ankündigenden nationalsozialistischen Herrschaft.
    Clifford erfährt im Laufe des Stücks, dass sein bester Freund ein Hitler-Anhänger ist. Und die Pensionsbesitzerin Fräulein Schneider will ihren Liebhaber nicht mehr heiraten, weil er Jude ist. Diese Rolle spielte bei der Uraufführung am 20. November 1966 im New Yorker Broadhurst Theatre Lotte Lenya, die im Berlin der 20er-Jahre als Sängerin von Bertolt-Brecht- und Kurt Weill-Liedern für Furore gesorgt hatte.
    Lebensphilosophie einer lebensmüden Wirtin
    Ihr Auftrittslied zeigt die Lebensphilosophie einer abgeklärten und lebensmüden Wirtin und kann zugleich auch als Selbstbeschreibung einer Mitläuferin verstanden werden kann:
    "For the sun will rise and the moon will set and you learn how to settle for what you get, it will all go on, if we're here or not - so who cares? So what?"
    Auch im Amerika der 1960er-Jahre waren Rassendiskriminierungen an der Tagesordnung. Der Komponist John Kander erzählt, wie Harold Prince, Regisseur und Produzent des Musicals, dem Team am ersten Probentag einen Zeitungsausschnitt vom "Life Magazine" hochhielt: Es zeigt ein schwarzes Paar vor einem Chicagoer Mietshaus, das von einer weißen Menge umstellt und verhöhnt wird.
    "Um sie herum waren weiße Menschenmassen, die sie auf die hässlichste Weise verhöhnten. Harold Prince sagte: Darum geht es in unserer Show!"
    Hochaktuell und brisant
    Der politische Hintergrund von "Cabaret" war hochaktuell.
    "Während der Vorlaufphase fühlten wir uns sehr tapfer, aber ich litt Todesangst, dass das Stück beim Publikum durchfallen würde."
    So der "Cabaret"-Buchautor Joe Masteroff. Er machte sich, wie einige seiner Kollegen auch, Sorgen, ob das Stück wegen seines brisanten Stoffes nicht ein Flop würde, zumal am Ende Sally auch noch ihr Kind abtreiben lässt. Doch "Cabaret" wurde sofort ein riesiger Erfolg, drei Jahre lang lief es am Broadway und gewann acht Tony Awards, darunter auch einen Tony für das Beste Musical. Das Publikum liebte die jazzigen Songs, die das Berlin der 20er-Jahre, das Berlin von Kurt Weill und Bertolt Brecht so überzeugend evozierten, dass dem Komponisten John Kander sogar vorgeworfen wurde, er habe deren Musik kopiert. Lotte Lenya hingegen konnte den Kritikern aus eigener Erfahrung entgegnen, sie singe nicht "Weill", sondern:
    "Wenn ich auf die Bühne gehe und diese Lieder singe – ist das Berlin!"