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Vor 50 Jahren gestorben
Bildhauer Alberto Giacometti - Schöpfer der dünnen Wesen

Alberto Giacometti zählt zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts, seine schmalen Bronze-Figuren werden heute zu Höchstpreisen gehandelt. Doch was machte den Ruhm zu Lebzeiten des Schweizer Künstlers aus?

Von Carmela Thiele | 11.01.2016
    Die Skulptur "Drei schreitende Männer" von Alberto Giacometti (aufgenommen am 23.10.2015 im Picassomuseum in Münster.)
    Die Skulptur " Drei schreitende Männer" von Alberto Giacometti (picture alliance / dpa - Oliver Berg)
    Sein Atelier in der Pariser Rue Hippolyte Maindron 46 war nicht mehr als ein heruntergekommener Schuppen. 28 Quadratmeter reichten ihm aus. Sein Bruder Diego, der ihm als Gehilfe diente, schlief eine Treppe höher unter dem Dach. Erst viel später mietete Alberto Giacometti für seine Frau Annette einen weiteren Raum. Selbst als er zu Ruhm und Ansehen gekommen war, blieb er an diesem Ort. Seine Nächte verbrachte er in den Cafés von Montparnasse. Dort traf er seine Freunde, seine Bekannten, unter anderem Roger Montandon. Der Maler erinnerte sich:
    "Als er ins Café kam, guckte er Annette eindringlich an, manchmal konnte er einen sehr anstarren, was zuweilen sehr unangenehm war. Und Annette sagte, was schauen Sie mich so an? Und Alberto sagte, ich habe Sie heute noch nicht gesehen. Und sie sagte, ich habe gerade fünf Stunden für Sie Modell gesessen, und Sie haben mich noch nicht gesehen? Er sagte: Nein."
    Alberto Giacomettis Talent war früh gefördert worden. Er kam 1901 als ältester Sohn des Malers Giovanni Giacometti in Graubünden auf die Welt. Bereits als Junge zeichnete er im Atelier seines Vaters. 1922 ging er nach Paris und studierte bei dem Rodin-Schüler Antoine Bourdelle. Vier Jahre später geriet Giacometti in das Fahrwasser des Surrealismus, schuf Figuren, die an primitivistische Geschlechtsidole erinnerten. Mitte der 1930er-Jahre wandte er sich dem Studium der menschlichen Figur zu, doch wurden seine Skulpturen immer kleiner. Je länger seine Porträtsitzungen andauerten, desto mehr entfernte er sich in seinen Werken vom Abbild seines Gegenübers.
    "Ich glaube, es ist heute unmöglich, irgendetwas nach der Natur zu arbeiten und zu Ende zu kommen, es ist nichts Endgültiges möglich. Wenn jemand 1.000 Jahre für mich Modell sitzen könnte, würde ich ihm nach 1.000 Jahren sagen, es ist alles noch falsch, aber ich komme der Sache ein wenig näher. Denn je mehr man scheitert, desto mehr erreicht man."
    Mit seinen wie Schatten wirkenden Figuren traf Giacometti den Nerv der Zeit
    Mitte der 1940er-Jahre wurden seine Figuren wieder größer. Über die Gründe wurde spekuliert. Lag es an seinem neuen Modell, der über 20 Jahre jüngeren Annette, oder an der Tatsache, dass er seine winzigen Skulpturen nicht verkaufen konnte? Seine "Stehenden Frauen" und "Gehenden Männer" blieben dennoch extrem dünn; sie hatten winzige Köpfe, und die Beine mündeten in riesigen Füßen, die mit dem Sockel verschmolzen. 1948 wurde Giacometti durch eine Ausstellung in der Galerie von Pierre Matisse in New York international bekannt. Der Philosoph Jean-Paul Sartre lieferte den Text für den Katalog. Dessen Titel: "Die Suche nach dem Absoluten". Seitdem galt Giacometti als Künstler des Existenzialismus. Der Wahlfranzose traf nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen wie Schatten wirkenden Figuren den Nerv der damaligen Zeit. Für den Schweizer Giacometti-Biografen Reinhold Hohl wurzelte das Werk des Bildhauers in einem phänomenologischen Problem.
    "Was ihm Schwierigkeiten machte, das ist eine philosophische Frage, nämlich die Wirklichkeit einerseits physiologisch zu sehen, mit den Augen, mit dem Seh-Akt, was man Vision nennt, und andererseits zu wissen, die Wirklichkeit ist etwas für sich selber, von der er eine Vision im übertragenen Sinn hatte."
    Unbestritten ist Giacomettis Erfolg. 1962 wurde er mit dem Skulpturen-Preis der Biennale von Venedig ausgezeichnet. Drei Jahre später widmete ihm das Museum of Modern Art in New York eine Retrospektive, die er trotz gesundheitlicher Beschwerden besuchte.
    Am 11. Januar 1966 schließlich starb Alberto Giacometti im Kantonsspital in Chur. Noch auf dem Totenbett soll er gezeichnet haben, mit den Augen, wie sein Bruder Diego überlieferte.