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Vor 50 Jahren
Indira Gandhi wird indische Premierministerin

Während in Europa Frauen in politischer Verantwortung noch rar waren, übernahm 1966 in Indien Indira Gandhi die Regierungsgeschäfte. Die Tochter von Staatsgründer Nehru war an der Seite ihres Vaters früh in die Mechanismen der Macht in der größten Demokratie der Welt eingeführt worden. Heute vor 50 Jahren wurde Indira Gandhi als Premierministerin vereidigt.

Von Tobias Mayer | 24.01.2016
    Die ehemalige indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi mit ihrer Schwiegertochter Sonia, der italienischen Ehefrau ihres Sohnes Rajiv, auf der Rückbank einer Limousine im Gespräch. (Undatiert)
    Die ehemalige indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi mit ihrer Schwiegertochter Sonia, der italienischen Ehefrau ihres Sohnes Rajiv. (picture alliance / dpa / UPI)
    Indira Gandhi, 1917 als Tochter von Staatsgründer Jawaharlal Nehru geboren, erlebte die Geschichte ihres Landes an vorderster Front mit: den Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft und die Teilung des Subkontinents, die Unabhängigkeit Indiens 1947, die Kriege um Kaschmir mit Pakistan und den Grenzkrieg mit China. Ihrem Vater stand sie bis zu seinem Tod beratend zur Seite. Um ihren politischen Aufgaben nachzukommen, verließ Indira sogar ihren Ehemann Feroze Gandhi. Der war mit dem Mahatma nicht verwandt, sein Nachname aber öffnete dennoch Türen. Indira Gandhi sah sich immer als erste Dienerin Indiens und "Mutter der Nation".
    "Es war noch nicht so klar definiert, als ich jünger war, aber Indien stark und stabil zu machen, sodass die Menschen ihre Probleme bewältigen können, das war schon mein Anliegen, als ich noch ein kleines Kind war."
    Als Anfang 1966 Premierminister Lal Bahadur Shastri überraschend starb, fiel die Wahl in der regierenden Kongresspartei auf Indira Gandhi, damals Informationsministerin. Sie war als Frau zwar eine Kompromisskandidatin, besaß aber viel politische Erfahrung und kam aus der richtigen Familie. Am 24. Januar 1966 trat sie ihr Amt an.
    "Die wichtigsten Aufgaben sind, die Bevölkerung zu ernähren, ihren Lebensstandard zu erhöhen, ein neues Bewusstsein für soziale und wirtschaftliche Fragen zu wecken, die Erziehung zu fördern und die Menschen für neue Ideen empfänglich zu machen."
    In der Wirtschaftskrise bröckelt die Macht
    Eine schnell wachsende Bevölkerung, Missernten und große Armut: Indiens Probleme waren gewaltig. Die gesellschaftspolitischen Herausforderungen konnte die Regierung kaum meistern, doch außenpolitisch war Indira Gandhi erfolgreich. 1971 vertrieben indische Truppen Pakistan aus Bengalen, Indira Gandhi wurde zum Geburtshelfer der Unabhängigkeit Bangladeschs. Indien als Regionalmacht zu etablieren: das war ihr Antrieb. 1974 testete das Land die Atombombe, ein deutliches Signal, nicht nur Richtung Pakistan. Südasien-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin:
    "Es dürften 1974 bei der Entscheidung Indira Gandhis, den Atomwaffentest durchzuführen, sicherlich Statusgründe eine wesentliche Rolle gespielt haben, vor allem Indiens Bemühen damals, als eine gleichrangige Großmacht mit der Volksrepublik China anerkannt zu werden."
    Doch der Ölpreisschock und die nachfolgende Inflation stürzten Indien in eine tiefe Wirtschaftskrise. Die Menschen waren unzufrieden, Indira Gandhis Macht bröckelte. Die Opposition hängte ihr wegen einer nach indischen Maßstäben kleinen Verfehlung ein Korruptionsverfahren an – ein Staatsbeamter hatte für sie als Wahlkampfhelfer gearbeitet. Sie verlor den Prozess. 1977 wählte das Volk sie ab, 1980 dann das erfolgreiche Comeback.
    Zweite Amtszeit und Attentat
    Die zweite Amtszeit Indira Gandhis als Premierministerin war geprägt von religiösen Konflikten zwischen Hindus und Sikhs. Die Sikhs verlangten mehr Religionsfreiheit und Autonomie im Punjab. Indira Gandhi machte Zugeständnisse, doch auch moderateren Sikh-Politikern wie Harchand Singh Longowal ging das nicht weit genug.
    "Frau Gandhi hat erklärt, sie werde einige der religiösen Forderungen erfüllen. Aber nichts ist passiert. Auch unsere Forderungen nach einer neuen Verteilung des Flusswassers, die für uns wegen der künstlichen Bewässerung der Felder besonders wichtig ist, wurden bislang nicht umgesetzt."
    Der Konflikt eskalierte. Radikale Sikhs besetzten den Tempelbezirk von Amritsar. Indira Gandhi ließ die Sikh-Heiligtümer stürmen, es gab tausende Tote. Aus Rache für ihr skrupelloses Vorgehen wurde Indira Gandhi im Oktober 1984 ermordet - von ihren eigenen Sikh-Leibwächtern. In der Folge gingen landesweit aufgebrachte Hindus auf Sikhs los. Erneut gab es bis zu 8.000 Opfer aufseiten der Sikhs.
    Die religiösen Konflikte beruhigten sich wieder, doch Indien blieb ein schwer zu regierendes Land. Noch am Tag des Attentates auf Indira Gandhi wurde ihr Sohn Rajiv zum Premierminister von Indien gekürt und setzte damit die Tradition der Nehru-Gandhi-Familie in politischen Führungsrollen fort. Rajiv Gandhi starb 1991 wie die Mutter bei einem Anschlag. Heute bestimmen Rajivs Witwe Sonia und Sohn Rahul Gandhi die Geschicke der indischen Kongresspartei.