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Vor 50 Jahren starb der Maler Henri Matisse

Eins seiner Schlüsselwerke trägt den Titel "Luxe, calme et volupté" -"Luxus, Stille und Begierde. Das Baudelaire-Zitat könnte als Leitmotiv über dem Lebenswerk von Henri Matisse stehen.

Von Sigrid Nebelung | 03.11.2004
    Die Malerei als Kunst des zwecklos Schönen? Ohne den Ehrgeiz, die Welt zu verändern?

    Die Droge Matisse - das sind Bilder von der Cote d´Azur, Licht, Himmel und glitzerndes Meer, durch offene Balkontüren und Jalousien ins Zimmer gefiltert, belebt von ruhenden Odalisken vor exotischen Wandteppichen; oder in Fauteuils platzierte Damen ohne Gesicht mit dem einzigen Daseinszweck, als prächtiger Farbfleck ins Bild zu rücken und andere prächtige Farbflecke klangvoll zu kontrapunktieren.

    Wie ist es aber möglich, das Matisses´ Malerei die Zeitgenossen derart provozierte? Als sein Werk 1904 mit einer Explosion bunter Farbpunkte einsetzt, die wenig später zu Farb-Inseln erglühen, ist Matisse 35 Jahre alt, ein Mann von leicht professoralem Auftreten, der die FAUVES, die "Wilden" - so der Spitzname der entfesselten Koloristen - anführt und über sie hinausgeht.

    Das trifft auch auf den Zeichner Matisse zu:

    Ich persönlich glaube, dass die Malerei und die Zeichnung dasselbe sagen. Die Zeichnung ist eine Malerei mit reduzierten Mitteln. Mit Tusche kann man durch bestimmte Kontraste Volumen erschaffen, man kann durch Veränderung der Qualität des Papiers weiche, helle oder harte Oberflächen geben, und zwar, ohne Schatten oder Lichter zu setzten.

    Auch seine Zeichnung "malt", suggeriert Tonwerte und Farben. Das ist eine revolutionäre, abstrakte Auffassung von Kunst, der es nicht auf die Genauigkeit der Wiedergabe ankommt, sondern auf eine Wirklichkeit "parallel" zur Natur, wie Cezanne es als erster ausdrückte.

    Cezanne, der Übervater. Von dessen kleinem Bild der "Badenden", das Matisse als Kunststudent in Paris beim Händler Vollard gekauft hatte, trennt er sich zeitlebens nicht.

    Die Verehrung für Cezanne ist es auch, die ihn mit Picasso verbindet, seinen Gegenspieler:

    Nur Picasso kann sich alles erlauben. Er kann alles verwirren, Matisse entstellen, verstümmeln, zerstückeln. Er ist immer, er bleibt immer im Recht.

    klagte Matisse.

    Dagegen urteilte Picasso, nicht ohne eine gewisse Herablassung:

    Deshalb allein zum Beispiel ist Matisse Matisse: weil er Picasso immer eine Sonne im Bauch hat.

    Die Jahrhundertbeziehung Matisse - Picasso ist ein Phänomen, das die Kunstgeschichte bis heute beschäftigt. Wer war der Größere? Harmonie mit Chaos lassen sich nicht vergleichen. Bilder wie "Le bonheur de vivre" von Matisse und Picassos "Demoiselles D´Ávignon" verkörpern "Südpol" und "Nordpol" in der Kunst.

    Die Winter 1911 und 1912 verbringt Matisse in Tanger. "Der Orient hat mir die Augen geöffnet", wird er später sagen.

    Mohammd Habiwi, Kurator des Museums für Marokkanische Kunst in Tanger:

    Das Außergewöhnliche der Islamischen Kunst ist die Dekoration. Matisse hat aber nicht kopiert. Er hat sich inspirieren lassen. Er hat auf originelle Art und Weise diese Kunst assimiliert. Man findet in seinen Bilden den Orient wieder, aber den Orient von Matisse, so, wie er ihn empfunden hat.

    1917 kommt Matisse zum ersten Mal nach Nizza:

    Als ich begriff, dass ich dieses Licht jeden Morgen Matisse wiedersehen würde, konnte ich mein Glück nicht fassen.

    Er mietet sich im Jahr darauf eine Villa und bleibt.

    In seinen letzten Lebensjahren, als ihm die Folgen seiner Krebskrankheit die Arbeit vor der Staffelei versagen und ihn ans Bett fesseln, greift er zu Schere und Papier und schneidet - aus von ihm selber mit Tempera gefärbten Papieren - Figuren aus, die in ihrer Einfachheit und Kühnheit das ganze Formwissen seines langen Lebens enthalten. Mit diesen farbigen Scherenschnitten der späten Jahre hatte Matisse die Größe der Frühzeit zurück gewonnen.

    Heinz Berggruen stellt sie 1953, zum ersten Mal überhaupt, in seiner Pariser Galerie aus:

    Nach dem Tode von Matisse hatte Picasso eine Reihe von Berggruen Zeichnungen gemacht, die ganz in der Ausrichtung von Matisse waren. Das merkte man auch. Und Picasso, der sehr schlagfertig war und keine Hemmungen hatte, sagte. Ist doch klar, Matisse ist jetzt tot, dann muss ich das für ihn weitermachen.