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Vor 60 Jahren
Als die "Gorch Fock" vom Stapel lief

23 Segel, gebläht im Wind, ein schlanker schneeweißer Rumpf - das Segelschulschiff der Bundesmarine, die Gorch Fock, steht für das traditionelle Seefahrerhandwerk. Schon bei der Planung war umstritten, ob das noch zeitgemäß sei. Mehrfach kamen Kadetten zu Tode.

Von Günter Beyer | 23.08.2018
    Das Bild zeigt das Schiff im Zwielicht unter wolkigem Himmel im grauen Meer. Die Segel werden gerade gesetzt.
    Die Gorch Fock läuft in Kiel aus ihrem Heimathafen aus; Aufnahme vom Oktober 2014 (Carsten Rehder / dpa)
    "Sie nimmt die Sektflasche in ihre rechte Hand.
    'Ik döp di op de Naam Gorch Fock!'
    Und langsam setzt sich jetzt der Bug der Gorch Fock in Bewegung und gleitet in sein Element."
    Stapellauf in Hamburg, 23. August 1958. Auf der Werft Blohm & Voss tauft eine Nichte von Gorch Fock das nagelneue Segelschulschiff der Bundesmarine auf den Namen ihres Onkels. Alle Seeoffiziere und die meisten Unteroffiziere werden künftig ihre nautische Grundausbildung auf diesem Segler absolvieren. In der Öffentlichkeit wird das kontrovers diskutiert: Ist das überhaupt noch zeitgemäß?

    Erst im Jahr zuvor war das Segelschulschiff Pamir im Orkan gesunken, 80 der 86 Seeleute kamen dabei ums Leben. Die Besatzung bestand vor allem aus jungen Kadetten, die auf der Pamir für den Dienst auf Handelsschiffen ausgebildet wurden. Für die deutschen Reeder war mit dem Unglück die Zeit der Windjammer vorbei: Das sah die Bundesmarine anders. Zwar nahmen die Supermächte USA und Sowjetunion in jener Zeit bereits die ersten Atom-U-Boote in Betrieb. Aber die traditionsversessene Marine hielt stur am Segelschulschiff fest.
    "Die Seefahrt ist immer etwas mit Gefahren verbunden", wusste Admiral Friedrich Ruge, erster Inspekteur der Bundesmarine.
    "Die Ausbildung auf einem Segelschulschiff, die Seemannschaft, gibt die Grundlage dafür, die wir gerade auf unseren kleinen Fahrzeugen bei der Bundesmarine unbedingt brauchen."
    Ulli Kinau, Nichte des Seemanndichters Gorch Fock und Taufpatin des gleichnamigen Segelschulschiffes, posiert am 23. August 1958 nach der Taufzeremonie für einen Fotografen.
    Ulli Kinau, Nichte des Seemanndichters Gorch Fock und Taufpatin des gleichnamigen Segelschulschiffes, posiert am 23. August 1958 nach der Taufzeremonie für einen Fotografen. (picture-alliance/ dpa)
    Seit 1997 werden auch Frauen auf dem Schulschiff ausgebildet
    Konstruiert war der Segler nach dem Vorbild der ebenfalls bei Blohm & Voss 1933 erbauten ersten Gorch Fock. 90 Meter lang, zwölf Meter breit, bietet die schnittige Bark Platz für 222 Mann und - seit 1997 - auch Frauen. Die jungen Kadettinnen und Kadetten lernen während ihrer Grundausbildung das traditionelle Seefahrerhandwerk, die "Seemannschaft". Sie schlafen in vier Gemeinschaftsräumen in Hängematten, die jeden Morgen beim Appell an Deck zusammengerollt präsentiert werden. Doppelkajüten mit festen Kojen gibt es nur für Offiziere. Und nur der Kapitän hat eine Einzelkabine.
    Die Gorch Fock ist das Pseudonym des Autors von "Seefahrt ist not!", einem 1913 erschienen Heimatroman, der im Fischermilieu des Hamburger Stadtteil Finkenwerden spielt. Das Segelschulschiff ist auch als maritime Botschafterin der Bundesrepublik unterwegs. Das Schiff ist populär, man trug es sogar im Portemonnaie mit sich - auf den alten Zehnmarkscheinen war der Segler abgebildet.
    Offiziersanwärterin stürzt aus 27 Meter Höhe aufs Deck
    2010 gerät das weiße Schiff in die Schlagzeilen: Die Offiziersanwärterin Sarah Seele stürzt während ihrer Grundausbildung aus der Takelage 27 Meter tief aufs Deck - schon der sechste Todesfall auf der Gorch Fock! Ihre Mutter verliert das einzige Kind und klagt die Marineführung wegen fahrlässiger Tötung an.
    Sarah Seele: "Eine solche psychische Belastung - man kann das nicht in Worten ausdrücken. Wenn ich zu meiner Tochter will, muss ich zum Friedhof. Man hat mir mein ganzes Leben genommen. Alles!"
    Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg greift hart durch und schasst den Kapitän. Die Staatsanwaltschaft Kiel untersucht den Fall, findet aber keinen Schuldigen.
    Oberstaatsanwältin Birgit Hess: "Die sehr umfangreichen Ermittlungen haben ergeben, dass wir keine strafrechtlich relevanten Aspekte gefunden haben, so dass den Mitgliedern der Marine insofern kein strafrechtlicher Vorwurf zu machen ist."
    2013 wird die Kadettenausbildung in gewohnter Manier auf der Gorch Fock wieder aufgenommen. Heute nagt unübersehbar der Zahn der Zeit an dem einstigen Vorzeigeschiff. Derzeit wird die Gorch Fock in Bremerhaven repariert. Die Außenhaut muss weitgehend erneuert, das Ober- und Zwischendeck ersetzt werden. Bis zu 135 Millionen Euro soll die Sanierung kosten - eine gewaltige Summe angesichts der oft beklagten Mängel bei Ausrüstung und Waffen der Bundeswehr. Mitte des kommenden Jahres soll die Gorch Fock wieder einsatzbereit sein.