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Vor 60 Jahren
Uraufführung von "Biedermann und die Brandstifter"

Ein Fabrikant nimmt zwei Herren bei sich auf und übersieht – absichtlich – alle Hinweise auf ein unangenehmes Hobby der beiden: Sie sind Brandstifter. Max Frisch fragt in seinem Stück aus dem Jahr 1958, wer eigentlich schuld ist, wenn wir uns betrügen lassen: Wir selbst oder die Betrüger?

Von Cornelie Ueding | 29.03.2018
    Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch
    Max Frisch hat die Parabeln nach den Brandstiftern aufgegeben, er wollte niemanden belehren (picture alliance / dpa / Undatierte Aufnahme)
    "Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste ist Sentimentalität. Die beste aber ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand."
    Die Brandstifter in Max Frischs Erfolgsstück "Biedermann und die Brandstifter" nehmen wahrlich kein Blatt vor den Mund. Doch der wohlhabende Fabrikant Gottfried Biedermann wird die beiden unangenehmen Typen, die ohne Motiv unvermittelt in sein Haus vordringen, auf seinem Dachboden beherbergen, verköstigen und sogar höflich-zurückhaltend unterstützen. Obwohl die drohende Gefahr förmlich in der Luft liegt.
    Das Ende ist absehbar
    "Man kann keine Zeitung aufschlagen – schon wieder so ne Brandstifterei. Und immer die alte Geschichte, sage und schreibe. Wieder so ein Hausierer, der um Obdach bittet – und am andern Morgen steht das ganze Haus in Flammen."
    Und genau das wird in Frischs Stück am Ende auch passieren. Warum der Modell-Biedermann die Bedrohungslage weder jetzt noch im weiteren Verlauf des Stückes erkennt, genauer: zu erkennen bereit ist – warum er sich selbst belügt und zur Toleranz zwingt – diese Frage ist der Kern von Frischs "Lehrstück ohne Lehre", das am 29. März 1958 in Zürich uraufgeführt wurde. Trotz des Erfolges hat sich Frisch später von der Form der Parabel abgewandt:
    "Weil ich etwas entdeckt habe, dass natürlich die Parabel unweigerlich einen didaktischen Trend hat. Und wenn ich den Witz im Titel mache ‚Ein Lehrstück ohne Lehre‘, das signalisiert nur meine Skepsis. Und ich hab einfach festgestellt, dass ich durch die Form der Parabel mich nötigen lasse, eine Botschaft zu verabreichen, die ich eigentlich nicht habe."
    Keine Botschaft also – aber jede Menge Fragen hat Frisch parat. Mitten im aufkeimenden Wirtschaftswunder rührt er unerwartet an beunruhigende Tabus: Warum reagieren wir nicht? Warum hätte weder einst noch jetzt eine Kassandra eine Chance, wenn sie vor der atomaren Aufrüstung gewarnt hätte? Fragen, die heutzutage in Anbetracht massiver Bedrohungslagen nichts an Aktualität eingebüßt haben.
    Nach wie vor aktuell
    Die aktuellen Probleme von Rechtsradikalismus bis Terrorismus, von Arbeitslosigkeit bis Profitgier kannte der Literaturwissenschaftler Walter Hinck noch nicht, als er bereits 1998 urteilte:
    "Die Aktualität von ‚Biedermann und die Brandstifter‘ wird wohl nie aufhören, denn es wird immer eine Vertrauensseligkeit geben, die sich hinters Licht führen lässt, die nicht den Wolf im Schafspelz erkennt."
    Nicht erkennt und definitiv nicht erkennen will. Mehr noch, und dies ist bis heute der besondere Reiz des Stückes: Der Biedermann wird zu einem Virtuosen der Vertrauensseligkeit! Vertrauen wird also zum ethisch unbedenklichen Pendant der Verdrängung umgemünzt. Schon 1977 gibt Max Frisch auf dem SPD-Parteitag zu bedenken:
    "Wie unschuldig sind wir an der Wiederkunft des Terrorismus – oder schuldig? Nicht als Sympathisanten sondern als Biedermänner schuldig, durch familiären und institutionalisierten Unverstand gegenüber einer ganzen Generation."
    Der Hausherr reicht noch die Zündhölzer
    Die Palette unserer selbstverordneten Betriebsblindheit reicht von lascher Duldung bis hin zu feiger Kompromissbereitschaft, von Trägheit bis zu falsch verstandener Höflichkeit. Heute mag das Stück manch einem etwas holzschnittartig erscheinen, zumal die Entwicklung der Handlung vorhersehbar ist.
    Doch gerade weil die Gefahr faktisch so unübersehbar und das Ende absehbar ist, kann sich die irrwitzige Parabel ohne Lehre so virtuos und tragikomisch entfalten: Bis hin zum bitteren Ende, wenn der Hausherr, bloß um den Vorwurf des Misstrauens zu unterlaufen, den Verbrechern auch noch die Zündhölzer überlässt. In den Szenen dieses beunruhigend altmodischen Stückes sind all die gutbürgerlichen Verhaltensweisen wie unter einem Brennglas zusammengefasst. Um unseren Blick zu schärfen und unsere Widerstandsfähigkeit auf eine Art zu steigern, die Max Frisch auf den Solothurner Literaturtagen 1986 so umreißt:
    "Ich meine Widerstand auf allen Etagen dieser profitmanischen Gesellschaft. Widerstand mit dem Ziel, dass der Geist der Aufklärung sich durchsetzen soll, zeitig genug. Nicht als historische Reprise, sondern durch historische Erfahrungen erweckt zu neuen und anderen Versuchen eines Zusammenlebens von mündigen Menschen."
    Menschen, die sich gegen die zynische Perfidie der Täter ebenso zur Wehr setzen wie gegen die kultiviert-ängstliche Passivität der sogenannten "Opfer".