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Vor 70 Jahren
Ein Prager Fenstersturz in den Kalten Krieg

Am 10. März 1948 wurde der tschechoslowakische Außenminister Jan Masaryk tot im Hof des Prager Czernin-Palastes gefunden – dieser sogenannte Dritte Prager Fenstersturz markiert den Auftakt zum Kalten Krieg. Bis heute bestehen Zweifel an den Umständen, die zu Masaryks Tod führten.

Von Doris Liebermann | 10.03.2018
    Jan Masaryk, damals tschechoslowakischer Außenminister, hält am 21.04.1947 in der Stadt Cheb eine Ansprache anlässlich der Enthüllung eines Mahnmals für gefallene amerikanische Soldaten
    Jan Masaryk, damals tschechoslowakischer Außenminister, hält am 21.04.1947 in der Stadt Cheb eine Ansprache anlässlich der Enthüllung eines Mahnmals für gefallene amerikanische Soldaten ( imago/CTK Photo)
    "Eine Stadt in Trauer - Prag war es in diesen Tagen. Am Morgen des 11. März war das Straßenbild düster-pomphaft verändert: Überall das Bild des Verstorbenen, in jedem Schaufenster erschien seine Photographie - zwischen Blumen, Kerzen, schwarzen Draperien. Vor den Bildern blieben die Menschen stehen, schweigend, manchmal mit einem Seufzer, einem Kopfschütteln, einem geflüsterten Wort."
    So schilderte der Schriftsteller Klaus Mann, damals Überseekorrespondent einer amerikanischen Zeitung, die gedrückte Stimmung in der Stadt: Am frühen Morgen des 10. März 1948 war der tschechoslowakische Außenminister Jan Masaryk tot im Hof des Prager Czernin-Palastes gefunden worden. Er war aus seinem 15 Meter über der Erde gelegenen Badezimmer gestürzt – oder gestürzt worden. Der Polizeiarzt stellte fest, dass der Tod sofort nach Aufprall des Körpers eingetreten sein musste.
    Liberal und weltgewandt
    Jan Masaryk war der Sohn des legendären Mitbegründers der Tschechoslowakei von 1918, des ersten Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk. Seine Mutter war Amerikanerin. Er wurde 1886 in Prag geboren, war im Ersten Weltkrieg Frontoffizier der österreichisch-ungarischen Armee, ab 1919 im diplomatischen Dienst seines jungen Landes tätig und ab 1925 tschechoslowakischer Botschafter in Großbritannien. Er war liberal eingestellt, liebte die westliche Lebensart, trug elegante englische Anzüge und spielte gut Klavier. Nach dem Münchner Abkommen 1938 und dem Anschluss des Sudentenlandes an das Deutsche Reich warnte er die Welt vor dem deutschen Faschismus. In einer Rundfunkansprache beklagte Jan Masaryk, dass die Westmächte sein Land Hitler als Beute überlassen hatten:
    "Die Geschichte wird richten, was geschehen ist. Die Wunden sind zu frisch, das Ereignis ist zu aktuell und mein Kummer zu groß, um an politischen Diskussionen teilzunehmen. Meine Landsleute waren bereit, für ein Ideal zu sterben. Aber europäische Staatsmänner haben anders entschieden."
    Als einziger Nicht-Kommunist in einer prosowjetischen Regierung
    1940 wurde Jan Masaryk Außenminister der tschechoslowakischen Exilregierung in London, nach dem Krieg Außenminister in Prag.
    Doch die demokratisch regierte Tschechoslowakei geriet nach dem Krieg mehr und mehr unter sowjetischen Einfluss. Im Februar 1948 zwang Stalin den Staatspräsidenten Edvard Beneš ein kommunistisches Kabinett zu berufen. Zwölf nicht-kommunistische Minister traten zurück, der parteilose Jan Masaryk verblieb als einziger Nicht-Kommunist in der neuen prosowjetischen Regierung. In den Tagen vor seinem Tod kursierten Gerüchte, er plane die Flucht in den Westen, um dort gegen die erpresserische Politik Moskaus zu protestieren.
    Das neue kommunistische Kabinett ließ verlauten, westliche Pressehetze, Krankheit und Schlaflosigkeit hätten den Außenminister zum Suizid getrieben. Im Westen hielt man es für Mord und Stalin für den Auftraggeber. Eine minutiöse Untersuchung des Falles unterblieb.
    Genaue Todesursache bis heute ein Geheimnis
    Prokop Tomek vom Militärhistorischen Institut in Prag:
    "Zu dem Todesfall wurde in einer sehr unruhigen Zeit ermittelt, kurz nach dem kommunistischen Umsturz von 1948. Der kommunistische Geheimdienst intervenierte sehr unsachgemäß bei den Ermittlungen, so dass wir heute keine sicheren Ergebnisse haben."
    Erst zwanzig Jahre später, in der liberalen Atmosphäre des "Prager Frühlings", wurde die Untersuchung vom tschechoslowakischen Generalstaatsanwalt auf Basis früherer Zeugenaussagen nachgeholt. Sein Ergebnis: Suizid. Doch die Stimmen jener verstummten nicht, die nicht an einen Freitod glaubten – zu viele mysteriöse und ungeklärte Ereignisse rankten sich um den Tod von Jan Masaryk. 1993 wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen, 2004 lautete ihr Ergebnis: Mord.
    "Das Ergebnis der forensischen Biomechanik, dass es Mord war, wurde aber in Frage gestellt. 2004 konnte ein Mord letztlich nicht eindeutig bewiesen werden. Deshalb bleibt die genaue Todesursache von Jan Masaryk bis heute ein Geheimnis."