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Vor 70 Jahren
Eine Verfassung für das Saarland

Als erstes Bundesland gliederte die Bundesrepublik Deutschland 1957 das Saarland ein. Zuvor war es zehn Jahre lang selbstständig und hatte seine eigene Verfassung. Wirklich unabhängig war das Saarland aber nicht.

Von Tonia Koch | 08.11.2017
    Blick vom felsigen Aussichtspunkt Cloef auf die Saarschleife in Orscholz: Die im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Luxemburg gelegene Saarschleife ist ein Natur- und Landschaftsschutzgebiet.
    Wahrzeichen des Saarlands - die Saarschleife liegt im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Luxemburg (picture alliance / Daniel Karmann)
    Die Politik Frankreichs an der Saar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von zwei zentralen Forderungen bestimmt: dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Anspruch auf Reparation, auf wirtschaftliche Wiedergutmachung. Deshalb wurde das Saarland wirtschafts-und währungspolitisch an Frankreich angegliedert. Politisch sollte es über eine begrenzte Autonomie verfügen. Teil dieser Strategie war auch die saarländische Landesverfassung. Sie wurde am 8. November 1947 von einer Verfassunggebenden Versammlung, dem späteren Landtag, verabschiedet. Und zwar mit einer Präambel, die den Sonderstatus der Saar besiegelte. Franz Schlehofer, damaliger Leiter des Büros der Verfassungskommission:
    "Das ist die Kernfrage des Saarlandes gewesen, denn in dieser Präambel wurden festgelegt: der wirtschaftliche Anschluss an Frankreich und in der Konsequenz die politische Lostrennung vom deutschen Vaterland. Das hat zunächst eine Schockwirkung ausgelöst."
    Letztendlich aber hätten sich die Politiker den französischen Wünschen fügen müssen, so Schlehofer: "Es war dann die Begründung, wir müssen einen Kompromiss suchen, dass man eine Eigenständigkeit hat, die nicht dazu führen kann, dass das, was am Anfang mal große Narren in Frankreich vorhatten, die Saar einfach zu kassieren, zu annektieren."
    "Es war was los hier"
    Frankreich hatte die Idee, das Saarland zu annektieren, schon früh aufgegeben, weil es dafür von den Alliierten keine Zustimmung gab. Es suchte daher nach anderen Formen, das Saarland so eng wie möglich an sich zu binden und vollzog zunächst den wirtschaftlichen Zusammenschluss. Es kontrollierte die für den Wiederaufbau so wichtige Stahl- und Kohleproduktion, errichtete nach Rheinland-Pfalz eine Zollgrenze und leitete eine Währungsreform ein.
    Die Lebenssituation der Bevölkerung habe darunter nicht gelitten, erinnert sich der Journalist Peter Scholl-Latour. Er war in den 1950er Jahren Pressesprecher der saarländischen Landesregierung. "Es ging den Saarländern ja auch besser als den Leuten im übrigen Deutschland. Erst kam der Saarfranken, dann der französische Franken, dann wurde die Universität gegründet, dann wurde die Schule für Kunst und Handwerk gegründet, das Theater. Es war was los hier."
    Bekenntnis zu Frankreich
    Allerdings misstrauten die Franzosen den Saarländern. Sie ließen sie über ihre Verfassung nicht abstimmen, so wie das in den übrigen Ländern der Fall war, obwohl die demokratische Grundordnung im Wesentlichen den Landesverfassungen anderer Länder entsprach.
    Selbst die klare Ausrichtung nach Frankreich sei zu diesem Zeitpunkt in der saarländischen Bevölkerung weitestgehend unumstritten gewesen, glaubt Roland Rixecker, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes."Also, wenn man diese Verfassung Ende der 40er-Jahre zur Volksabstimmung gestellt hätte, wäre sie vielleicht angenommen worden unter dem Eindruck der Nachkriegszeit, unter dem Eindruck auch der französischen Hilfen."
    Wesentliche Sonderrechte
    Diese Auffassung teilt auch Rudolph Brosig, der eine Reihe von Standardwerken über die völkerrechtliche Stellung des Saarlandes verfasst hat. Trotz allem sei der autonome Saarstaat, der in der Präambel festgezurrt worden war, eine Fiktion gewesen. Denn es habe nicht nur die Präambel gegeben, sondern auch die sogenannten Konventionen, die Frankreich wesentliche Sonderrechte zugebilligt hätten:
    "Weil vor allen Dingen die Interventionsrechte des Hohen Kommissars ganz klar im Vordergrund standen, er musste am Anfang die Gesetze, die im saarländischen Landtag verabschiedet wurden, genehmigen, das Saarland war außenpolitisch und verteidigungspolitisch unter der Oberherrschaft Frankreichs. Und vor allen Dingen hatte der Hohe Kommissar ein sehr scharfes Schwert, er konnte den Ausnahmezustand verhängen."
    Wirtschaftliche Faktoren
    1952 haben die Parteien, die fest zu Frankreich standen, die Landtagswahlen an der Saar deutlich gewonnen. Aber vor dem Hintergrund des einsetzenden deutschen Wirtschaftswunders mehrten sich erste Anzeichen des Unbehagens.
    Peter Scholl-Latour. "Die Bundesrepublik boomte damals und Frankreich kam in den Algerienkrieg und der französische Franc ging dauernd runter, sodass die Leute das Geld nach Kaiserslautern auf die Bank trugen, damit es nicht entwertet wurde. Die wirtschaftlichen Faktoren haben dabei eine große Rolle gespielt."
    Die Eigenständigkeit des Saarlandes entwickelte sich zum Hemmschuh der deutsch-französischen Aussöhnung. Schließlich verständigten sich die Regierungen in Bonn und Paris auf das sogenannte Saarstatut. Es sah vor, dass das Saarland eigenständig bleiben, aber unter europäische Aufsicht gestellt werden sollte. Diese europäische Lösung lehnte die Bevölkerung in einer Volksabstimmung 1955 ab. Zwei Jahre später wurde das Saarland politisch in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. Damit verlor zwar die Präambel ihre Gültigkeit. Die saarländische Landesverfassung von 1947 aber hat bis heute Bestand.