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Vor 70 Jahren
Erstes Wohnungsbaugesetz in der Geschichte der Bundesrepublik

Wohnen sollte eigentlich ein Bürger- und Menschenrecht sein. Aber damit war es nach Kriegsende nicht weit her, denn Deutschland lag in Trümmern. Bundestag und Kanzler Konrad Adenauer sahen es 1950 deshalb als eine ihrer ersten Aufgaben an, für ausreichend Wohnraum zu sorgen.

Von Jochen Stöckmann | 28.03.2020
    Auf Balkonen eines 50er-Jahre-Mietshauses in Kassel sind zahlreiche Satellitenschüsseln installiert, aufgenommen am 11.12.2010.
    Ein Wohnblock aus den 50er-Jahren. Das Schwergewicht im Wohnungsbau sollte in den 50er-Jahren jedoch auf dem Eigenheim liegen. (picture alliance/dpa/Uwe Zucchi)
    "Millionen leben in überfüllten Wohnungen, Hunderttausende in Bunkern und Baracken. Was bedeutet das? Verhärmte Hausfrauen, vergrämte Männer, die nach hartem Arbeitstag keine Ruhe und Rast in einem behaglichen Heim finden. Und das bedeutet freudlose Kinder."
    Düster fiel die Bestandsaufnahme aus, mit der Eberhard Wildermuth von der FDP im Februar 1950 die Bundestagsdebatte über Wohnungsnot eröffnete: In den zerbombten Städten fehlten etwa fünf Millionen Wohnungen, fast die Hälfte der Bundesbürger wohnte zur Untermiete. Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärte das Problem zur Chefsache, denn: "Der Wohnungsbau ist das wesentlichste Erfordernis, um das deutsche Volk einer politischen und wirtschaftlichen und einer ethischen und kulturellen Genesung entgegenzuführen."
    Fokus auf Eigenheim
    Bei diesem "Genesungsprozess" setzten vor allem Adenauers Christdemokraten auf ein bewährtes Hausmittel – das Eigenheim. Der CDU-Abgeordnete Josef Brönner betonte: "Das Schwergewicht im Wohnungsbau möchten wir auf das Eigentum gelegt sehen. Wer ein eigenes Haus besitzt, dessen ganze Familie lebt anders, als wenn sie in eine Wohnung hineingepresst ist in irgendeinem Stockwerk. Je mehr Eigentum an den Wohnungen, desto zufriedener ist die Bevölkerung."
    Auch für den FDP-Abgeordneten Wildermuth standen Schutz und Stärkung des Privateigentums im Vordergrund, als er sein Amt als Wohnungsbauminister antrat: "Hier ist die Gelenkstelle, an der sich sozialer Wohnungsbau – von etwa 1200 Millionen Mark dieses Jahr – trifft mit dem freien und beweglichen Markte des Kapitals, das ein sehr sorgfältig zu schonendes Pflänzchen heute noch ist."
    Neben kapitalkräftigen Investoren sollten zahlreiche Kleinanleger beim Erwerb von Wohneigentum finanziell unterstützt werden. Das galt als "sozialer Wohnungsbau" – und wurde mit dem am 28. März 1950 beschlossenen Ersten Wohnungsbaugesetz durch Bausparprämien und Steuervergünstigungen gefördert. Der SPD-Abgeordnete Erich Klabunde erklärte: "Im übrigen haben wir — und das ist gerade ein sozialdemokratischer Antrag gewesen — einen außerordentlich hohen Anreiz dadurch geschaffen, dass Eigenkapital in einer erheblichen Höhe verzinst wird, damit das Interesse der Bevölkerung, Geld herzugeben, nicht etwa durch höhere Zinsgebote an anderer Stelle vom Wohnungsbau abgelenkt wird."
    Spekulation mit Bauland war KPD ein Dorn im Auge
    Privat investieren, aber ohne Gewinnabsicht, nur für den Eigenbedarf. Diesem Ideal gemeinnützigen Wohnungsbaus stand in der Realität der Privatbesitz an Grund und Boden gegenüber – und die dadurch mögliche Spekulation mit Bauland. Die war vor allem der Kommunistischen Partei ein Dorn im Auge. Der KPD-Abgeordnete Hugo Paul stellte dagegen die DDR als leuchtendes Vorbild: "Wenn man hier in Westdeutschland jene demokratischen Maßnahmen durchgeführt hätte, die durchgeführt wurden in der Deutschen Demokratischen Republik, nämlich die Bodenreform und die Enteignung der Großkapitalisten, dann würde man weniger Sorgen haben in der Beschaffung von Bauland."
    In den Westzonen hatten die Besatzungsmächte 1945 immerhin eine Wohnraumbewirtschaftung angeordnet, aber die wollte der Bundestag mit der Verabschiedung des Wohnungsbaugesetzes außer Kraft setzen. Davor warnte der KPD-Abgeordnete. "Das geht nicht, meine Damen und Herren. Das würde bedeuten, dass die vermögenden Kreise ausgezeichnete Wohnungen haben, während die armen Leute nach wie vor im Bunker sitzen."
    Vor dieser Ungerechtigkeit wollte die KPD sozial und finanziell Schwächere schützen, und zwar durch Beibehaltung staatlich festgesetzter Mieten, also mit einem "Mietendeckel". Die SPD ging damals sogar einen Schritt weiter, ihr Abgeordneter Klabunde forderte: "Ein Enteignungsgesetz über Bauland vorzulegen, das notfalls sogar über die Schranken des Grundgesetzes hinausgeht, weil die Schranken des Grundgesetzes den Bedürfnissen für die Versorgung des Flüchtlingswohnungsbaus und des sozialen Wohnungsbaus mit Bauland nicht gerecht werden."
    Das aber blieb, im März 1950, eine Empfehlung. Und auch spätere Wohnungsbaugesetze sparten das Thema Bauland-Enteignung weitgehend aus.