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Vor 70 Jahren in Cannes
Als die ersten Internationalen Filmfestspiele begannen

Die Internationalen Filmfestspiele in Cannes gelten als eines der wichtigsten Treffen der Branche. Hier wird über Drehbuchoptionen, Fernsehlizenzen und die Preise der in Cannes erfolgreichen Filme entschieden. Bei seiner Premiere am 20. September 1946 war das noch anders. Denn ursprünglich erfunden wurde das Großevent aus einem ganz anderen Grund.

Von Katja Nicodemus | 20.09.2016
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    Das Objekt der Begierde: Die Goldene Palme der Internationalen Filmfestspiele von Cannes (picture alliance / dpa / Sebastien Nogier)
    "Mesdames, Messieurs, la cérémonie d'ouverture du 58iéme Festival du Film de Cannes va commencer, veuillez regagnier vos places et couper vos téléphones portables. Merci!"
    Es ist der große Moment! Der Augenblick, in dem es losgeht! Die Ansage, die die 2.700 Zuschauer des Palais des Festivals auffordert, ihre Handys auszuschalten, gehört gewissermaßen zur Liturgie des großen Kinogottesdienstes von Cannes. Genauso wie der Vorspann des Festivals.
    Zur Musik von Camille Saint-Saëns' "Karneval der Tiere" fährt die Kamera 24 rote Stufen hoch. 24 Stufen hat auch der rote Teppich, jenes fast fetischistisch aufgeladene Stück Stoff, über das die Großen der Filmkunst in den Festivalpalast von Cannes pilgern.
    Tatsächlich ist die Teilnahme am Wettbewerb von Cannes für Regisseure eine Art Weihe. Etwa für Volker Schlöndorff, der 1979 mit "Die Blechtrommel" den Hauptpreis, die Goldene Palme, gewann - gemeinsam mit Francis Ford Coppola und dessen Vietnamfilm "Apocalypse Now".
    "Die Goldene Palme ist eigentlich für einen europäischen Filmemacher, der an das Autorenkino glaubt, der an die große Filmkunst glaubt, ist schon das Höchste, also irgendwie so der Wettbewerb in Cannes mit allen Freunden aus anderen Ländern neben sich, die auch alle ganz toll sind, und das spielt sich alles in einer Woche ab, das ist ein bisschen wie so eine Olympiade, und man weiß noch nicht, wer nachher auf dem Podest steht."
    Zum ersten Mal fand das Festival de Cannes am 20. September 1946 statt, bevor es ein paar Jahre später in den Mai verschoben wurde. Erfunden wurde es von örtlichen Hoteliers, denen die Einnahmen durch Badegäste und reiche Rentner nicht reichten. Ein Großereignis musste her! Zum Festivalbeginn verdoppelten sich - wie heute auch - die Hotelpreise, wurden neue Speisekarten ausgelegt. Ein Bikiniwettbewerb fand statt, ein Blumenkorso wurde errichtet, und die Preise für die Filmemacher waren Bilder ortsansässiger Maler.
    Geburtsstunde der Goldenen Palme
    Und 1955 kommt auch sie hinzu: die Goldene Palme, entworfen von der Designerin Lucienne Lazon. Zu den Preisträgerfilmen der kommenden Jahre gehören Federico Fellinis "La Dolce Vita", Louis Buñuels "Viridiana", Luchino Viscontis "Der Leopard", Michelangelo Antonionis "Blow Up."
    Seinen großen politischen Moment erlebt Cannes im Mai 1968. Aus Solidarität mit den demonstrierenden Arbeitern und Studenten fordern die Regisseure den Abbruch des Festivals. Bei der Eröffnung entsteht auf der Bühne ein Tumult. Die Jury tritt zurück. Louis Malle und Roman Polanski brüllen ins Publikum. Jean-Luc Godard hängt sich an den Vorhang und François Truffaut gibt eine Erklärung ab.
    Mehr als Glamour und roter Teppich
    Bis heute mag Cannes seinen Mythos als Gralsort der Filmkunst pflegen – doch das kommerzielle Fundament von Cannes ist der Filmmarkt im Keller des Festivalpalasts. Dort werden die Deals gemacht, Drehbuchoptionen und Fernsehlizenzen verkauft, in Bieterwettbewerben die Preise der in Cannes erfolgreichen Filme nach oben getrieben.
    Die wahre Faszination der Filmfestspiele liegt im Nebeneinander von Kommerz, Filmkunst - und einer grellen Mondänität. Denn jenseits der Leinwand ist Cannes die Inkarnation der Spektakelgesellschaft. Hier findet parallel zum Festival ein Pornomarkt statt mit entsprechenden Jachtparties. Hier flaniert die Vulgärprominenz der Côte d'Azur über den roten Teppich, zusammen mit Kosmetikmodels und Fußballerfrauen.
    Wenn man Glück hat, dann sieht man auch die Coen-Brüder. Oder Clint Eastwood. Oder Catherine Deneuve, immer noch Liebling der Fotografen, die in Cannes Smoking tragen müssen.
    Kein französischer Star ist mit dem Festival so verbunden wie Deneuve - Cannes sei für sie Freude und permanenter Schock, sagte sie einmal. Sie muss es wissen. Vor Jahrzehnten wurde Deneuve fast zerquetscht von einer Menge hysterisierter Fans und Fotografen. Seitdem stehen rund um die Eingänge des Palais des Festivals jene eisernen Barrikaden, die das Bild von Cannes prägen.
    Eine Mischung aus Vitrine, Werbeplattform und Motor
    Was macht Cannes zu Cannes? Zum einen die französische Filmindustrie, für die das Festival eine Mischung aus Vitrine, Werbeplattform und Motor ist. Ein Großteil der Wettbewerbsfilme ist schon vor dem Festival nach Frankreich verkauft und kommt kurz danach in die französischen Kinos. Cannes ist Cannes durch den Rückhalt der französischen Kinonation. Durch die französische Presse, die "ihr" Festival feiert. Und natürlich durch die französischen Rentnerinnen, die über Nacht ihre Aluminiumleitern gegenüber dem roten Teppich anketten, um am nächsten Tag wieder ihre Stars sehen zu können.