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Vor 70 Jahren
Sendestart des Drahtfunks im amerikanischen Sektor

Der Rundfunk im amerikanischen Sektor, kurz RIAS, wurde gegründet, um Menschen in West- und Ostberlin sowie in weiten Teilen der DDR mit Informationen und Unterhaltung zu versorgen. Vor 70 Jahren nahm sein Vorläufer DIAS, der Drahtfunk im amerikanischen Sektor, den Sendebetrieb in Berlin-Schöneberg auf.

Von Ingo Kottkamp | 07.02.2016
    Ein RIAS-Jugendfunk-Werbeplakat.
    Ein RIAS-Jugendfunk Werbeplakat. (Deutschlandradio / Bettina Straub)
    Auch über 20 Jahre nach seiner Auflösung ist er vielen noch im Ohr - der RIAS. Er klang so oder so.
    "Überall die Menschen, die dem Präsidenten zujubeln: Welcome Mr. President, willkommen Präsident Kennedy."
    Und manche hörten ihn auch so:
    "RIAS Berlin ist die Top-Manipulations- und Destruktionsbase amerikanischer Konzerne gegen die DDR."
    Das alles ist wohlbekannt. Aber wer erinnert sich an diese Töne?
    "Welche Klugheit, welche Selbstsicherheit, welches Zugreifen; mit zarten, kühnen Händen, die das enge Gespinst der shakespearschen Diktion in feine, bunte Fäden aufknüpfen, die ein kindhaft glückliches Spiel wie mit einem Wunderknäuel zu treiben scheinen."
    Noch nicht ganz der Sound des RIAS. Aber das war ja auch der DIAS – der Drahtfunk im Amerikanischen Sektor. Drahtfunk, das war eine alte Technik, die aus Mangel an Sendeanlagen zum Einsatz kam. 1946 forderten Plakate alle Bastler in Berlin dazu auf, ihre Radiogeräte mit dem Telefonnetz zu verbinden, um so vom 7. Februar 1946 an in den Genuss von bekannten Tanzkapellen, moderner Symphonik, Übernahmen von "Voice of America" und "Verklungenen Stimmen" großer Sänger zu kommen.
    Wobei Friedrich Luft, Mitarbeiter der ersten Stunde, im Rückblick bemerkte:
    "Der Drahtfunk, an den wenige genug angeschlossen waren und zuerst eigentlich so gut wie gar keiner, war ja zu Beginn eigentlich nichts anderes als ein Sprechen ins Leere: Hörer hatten wir damals so gut wie keine."
    Rundfunk über nationale Grenzen hinweg
    Die Amerikaner hielten dennoch an dem Projekt fest; sie standen unter Zugzwang. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs hatte die sowjetische Armee auch das traditionsreiche Funkhaus in der Masurenallee, das eigentlich im amerikanischen Sektor lag, eingenommen und dort schon 1945 den sowjetisch geführten Berliner Rundfunk installiert. Nachdem Verhandlungen über die gemeinsame Nutzung dieses Senders durch alle Alliierten gescheitert waren, hielten die Amerikaner mit einem eigenen Sender dagegen.
    Doch so wie Berlin im Jahr 1946 noch keine ganz geteilte Stadt war, verliefen auch im Rundfunk die Grenzen fließend. Im Herbst 1946 wurden die Urteile der Nürnberger Prozesse in einer Gemeinschaftssendung in beiden Sendern übertragen – so etwas wäre wenig später nicht mehr vorstellbar gewesen. Die Wende brachte erst das Jahr 1948:
    "Berlins Versorgung in den Westsektoren gesichert – volle Versorgung auf dem Luftwege – Luftbrücke geschlagen."
    Politische und rundfunkpolitische Ereignisse gingen nun Hand in Hand. Während der Berlin-Blockade hatte der RIAS – inzwischen besaß er eine eigene Sendeanlage – sein neues Funkhaus bezogen. Bei dieser Gelegenheit wurde die Führungsriege ausgetauscht. Der neue Direktor William F. Heimlich hatte sowohl im Rundfunk als auch im amerikanischen Geheimdienst gearbeitet. Unter seiner Leitung wurde der Tonfall schärfer.
    "Wo bleibt der Russe, der endlich mit diesen politischen Betrügern, Brunnenvergiftern und Hochstaplern vom Schlage Ulbricht und Genossen aufräumt?"
    Gleichzeitig wurden Unterhaltung und Kultur ausgebaut - die Gründung des RIAS-Kammerchors und des RIAS-Tanzorchesters fielen ebenso ins Jahr 1948 wie die erste Quiz-Sendung. Und manchmal, etwa bei den beliebten Kabarettsendungen, waren Unterhaltung, politische Propaganda und Meinungsäußerung im Sinne der "Stimme der freien Welt" schwer zu unterscheiden.
    Tragende Rolle des RIAS im Kalten Krieg
    Welche Rolle der RIAS im Kalten Krieg spielte, das bekam der Sender dann im September 1948 quasi von höchster Stelle beglaubigt. Während einer Stadtverordnetenversammlung kam es zu Tumulten, weil Demonstranten der SED die Versammlung sprengen wollten. Beim Versuch, die Lage zu retten, machte die Oberbürgermeisterin Louise Schroeder einen Fehler.
    "Ihre Sprecher haben eben gesagt, wenn ich ein paar Worte zu Ihnen sprechen würde, dann würden Sie gehen. Nun zeigen Sie, dass diese Ihre Sprecher die Wahrheit gesagt haben, und verlassen Sie den Saal und die Tribüne. Sie werden alle zuhause im RIAS diese Versammlung verfolgen."
    Der Schuss ging nach hinten los. Schon die Erwähnung des amerikanischen Senders genügte, um die SED-Anhänger noch mehr in Rage zu bringen. Und die RIAS-Reporter schnitten alles mit - bis ihnen die Mikrofone entrissen wurden. Vielleicht eine Urszene: Spätestens jetzt, kurz vor der Gründung der beiden deutschen Staaten, war aus dem bescheidenen Drahtfunkprojekt DIAS der RIAS geworden, der die Rundfunklandschaft bis 1994 prägen sollte.