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Vor 70 Jahren
Universität Tübingen öffnet als erste Hochschule wieder die Tore

Auf den Tag genau ist es jetzt 70 Jahre her, dass die Universität Tübingen als erste Hochschule in Deutschland wieder ihre Pforten für den Lehrbetrieb öffnen durfte. Denn mit dem Einmarsch der Franzosen in Württemberg im April 1945 war damit erst mal Schluss. Viele deutsche Universitäten galten als Hort für NS-Propaganda - die Tübinger Universität ganz besonders.

Von Georg Filser | 20.08.2015
    Eine Studentin der Schulpädagogik schreibt am 17.10.2012 während einer Vorlesung in einem vollen Hörsaal in der Universität in Tübingen (Baden-Württemberg) mit.
    Im Rahmen der Entnazifizierung wurden an der Uni Tübingen insgesamt 119 Hochschullehrer entlassen. (picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel)
    Fragt man die Tübinger Studenten danach was am 20. August 1945 an ihrer Universität passiert ist, dann kennen nur die wenigsten die richtige Antwort. Ein Name, der den meisten Tübinger Studenten heute auch nichts mehr sagt, ist Carlo Schmid. Der Name des Mannes, dem die Universität ihre frühe Eröffnung zu verdanken hatte. Das sagte bereits der Tübinger Theologe Ernst Steinbach in einem Interview aus dem Jahr 1982. Steinbach gehörte zu den Dozenten, die im August 1945 die ersten 400 Studenten an den beiden theologischen Fakultäten der Universität ausbildeten.
    "Carlo Schmid hat die entscheidende Rolle gespielt. Der Mann war in seiner Vielseitigkeit als Jurist, als Staatsrechtler und Staatsphilosoph mit seiner ungeheuren Allgemeinbildung der uns vom Schicksal geschickte Mann. Der unter ganz schwierigen Umständen die Universität auf diesen Glanz gebracht hat."
    Carlo Schmid war Sohn einer Französin und eines Deutschen. Nach dem Ersten Weltkrieg studierte er in Tübingen Jura. Da er als Gegner des nationalsozialistischen Regimes galt, durfte er in Tübingen allerdings keine wissenschaftliche Karriere machen. Deshalb arbeitete er an der Universität als Privatdozent und war zum Zeitpunkt des Einmarschs der Franzosen vor Ort, erzählt er im März 1962:
    "Ich habe mich nachdem die Franzosen nach Tübingen einmarschiert waren in erster Linie gekümmert. Zunächst um das Rathaus. Ich kann französisch als Muttersprache und dachte mir es ist ganz gut wenn jemand auf dem Rathaus ist, der mit den Franzosen reden kann. Und zweitens um die Universität."
    Schnell wurde Schmid zum Vermittler zwischen Franzosen und Deutschen. Von Anfang an setzte er sich dafür ein die Universität wieder zu eröffnen. Diesem Gedanken standen große Teile der Besatzer positiv gegenüber. Und das, obwohl die Universität von der NS-Ideologie verseucht war, meint der Tübinger Historiker Stefan Zauner.
    "Also die Idee war letztlich zu sagen: Mit den alten Eliten ist kein demokratischer Staat zu machen. Wir müssen neue Eliten heranbilden, da haben wir in der Jugend eine Chance. Und diese Chance müssen wir nutzen, indem wir sie mit demokratischen und humanistischen Ideen und Idealen in
    Berührung bringen."
    Schmid gelang es die Universität in mehreren Etappen zu entnazifizieren. Insgesamt 119 Hochschullehrer, die in der NSDAP oder einer ihrer Unterorganisationen waren, wurden entlassen. Einigen gelang es allerdings später an die Universität zurück zu kehren. Schmid wurde außerdem von der französischen Militärregierung zum Landesdirektor für Unterrichtswesen und kulturelle Zusammenarbeit ernannt. In dieser Position gelang es ihm, die Universität weiter voran zu bringen.
    "Die Bibliothek war nicht zerstört, die Stadt war nicht zerstört. Anderswo waren die Bibliotheken abgebrannt. Es war mir klar unter diesen Umständen kann man auch sehr bedeutenden gelehrten vielleicht zumuten nach Tübingen zu kommen. Und ich dachte mir: warum solltest du nicht die bedeutendsten Gelehrten aus Deutschland nach Tübingen holen?"
    Zu diesen Gelehrten gehörten der Theologe Romano Guardini, der Philosoph Wilhelm Weischedel oder auch der Pädagoge Eduard Spranger. Für den Tübinger Theologen Ernst Steinbach waren die ersten Vorlesungen und Studentengenerationen auch noch im Jahr 1982, also 37 Jahre nach der Wiedereröffnung, unvergessen.
    "Das waren die Leute, die aus den Terrorhöllen des Krieges kamen, aus den zerstörten Städten und die nun mit einem ungeheuren Appetit sich aufs Studium geworfen haben. Ich erinnere mich einer Stunde wo der Eduard Spranger über der ganzen Plato gesprochen hat. Und da saßen im Auditorium Maximum der Universität die Studenten bis dicht zu seinen Füßen vor dem Podium und die nahmen uns die Worte vom Mund weg."