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Vor 75 Jahren
Das Massaker von Kalavryta - bis heute ungesühnt

Der 13. Dezember 1943 bleibt für die Bürger in der griechischen Bergregion Kalavryta unvergesslich: Wehrmachtssoldaten ermordeten alle minderjährigen Jungen und alle Männer des Ortes in einer sogenannten Vergeltungsaktion. Das Nürnberger Militärtribunal bezeichnete die Aktion fünf Jahre später als blanken Mord.

Von Eberhard Rondholz | 13.12.2018
    Ein Junge betrachtet am 21.3.2015 im Holocaust-Museum der griechischen Stadt Kalavryta die Porträts von Opfern des Massakers, das Wehrmachtssoldaten dort am 13. Dezember 1943 verübt haben.
    Ein Junge betrachtet im Holocaust-Museum der griechischen Stadt Kalavryta die Porträts von Opfern des Massakers, das Wehrmachtssoldaten dort am 13. Dezember 1943 verübt haben. (dpa / AP Photo / Petros Giannakouri)
    13. Dezember 1983. An der Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von 1943 verliest Bürgermeister Panos Polkas die Namen der Toten, die 40 Jahre zuvor bei einer so genannten Vergeltungsaktion der Wehrmacht exekutiert worden waren: 511 Männer und minderjährige Jungen waren es allein in Kalavryta, mit Maschinengewehren zusammengeschossen, und 185 in 15 weiteren Orten der Provinz, allesamt geplündert und niedergebrannt.
    Was war der Anlass für dieses Kriegsverbrechen? Das deutsche Oberkommando rechnete im Herbst 1943 im besetzten Griechenland mit der Möglichkeit einer alliierten Landung, zunehmende Partisanenaktivitäten in der nordwestlichen Peloponnes verstärkten diesen Verdacht. Der Kommandeur der 117. Jägerdivision, Generalmajor Karl von Le Suire, schickte deshalb am 8. Oktober 1943 eine 80 Mann starke Kompanie zur Aufklärung der so genannten Bandenlage in die Bergregion um Kalavryta. Die Truppe war aber nur unzureichend bewaffnet, ein Himmelfahrtskommando. Von einer überlegenen Einheit der griechischen Widerstandsorganisation ELAS angegriffen, musste sie sich schließlich ergeben und geriet in Gefangenschaft. Die Partisanen verhandelten unter Vermittlung griechischer Geistlicher über einen Gefangenenaustausch, doch von Le Suire beauftragte zugleich drei Kampfgruppen mit einer Such- und Vergeltungsaktion, etwa 3000 Mann, deren Vorrücken den Partisanen natürlich nicht verborgen blieb. Einer der Befreiungskämpfer erinnerte sich später:
    "Als die Deutschen vorrückten, bestand für uns die Gefahr, eingeschlossen zu werden, da konnten wir die Gefangenen nicht mitnehmen. Wir konnten sie auch nicht irgendwo verstecken und bewachen. Unter dem Druck der Säuberungsaktion haben wir sie dann erschossen."
    "Überlegungen militärischer Zweckmäßigkeit"
    Ein schwerer Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht, aber an das hielt sich die deutsche Seite ebenso wenig, wie der Generalstabschef der Heeresgruppe F, Hermann Foertsch, später im Nürnberger Geiselmordprozess ganz offen gestand:
    "Das deutsche Kommando Südost hat sich bei der Auseinandersetzung mit dem Partisanenproblem nur um Überlegungen militärischer Zweckmäßigkeit gekümmert, nicht um die Regeln der Haager Konvention."
    So auch bei der Vergeltungsaktion von Kalavryta, die das Nürnberger Militärtribunal 1948 als plain murder, als blanken Mord bezeichnete. Der für das Unternehmen formell verantwortliche General Hellmut Felmy wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, aber er kam schon 1951 frei. Vor einem deutschen Gericht hat sich keiner der Täter verantworten müssen. Einer der Gründe vielleicht, warum einer der wenigen Überlebenden des Massakers von 1943, Argyris Ferlelis, 1983 auf die Frage antwortete, was er empfinde, wenn er heute Deutsche sehe:
    "Gegen junge Leute habe ich nichts. Nun ja, ganz tief drinnen hasse ich die Deutschen. Ich schäme mich, Ihnen das zu sagen: aber im Grunde hasse ich sie."
    Gespaltener Umgang mit der Vergangenheit
    Ferlelis hat da, auf ebenso ehrliche wie feinfühlige Art, zum Ausdruck gebracht, was nicht wenige im Ort dachten. Heute ist Kalavryta gespalten, was den Umgang mit der Vergangenheit angeht. Das wurde auch anlässlich des Besuchs von Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2000 deutlich, der zwar Trauer und Scham bekundete, aber weder um Entschuldigung bat, noch das Thema Entschädigung ansprach. Die hat es bis heute, abgesehen von einer Reihe zivilgesellschaftlicher Hilfsinitiativen, so gut wie nicht gegeben. Das generelle Ziel, die diesbezüglichen "Forderungen unserer einstigen Gegner", so die Formulierung eines Beamten des Auswärtigen Amts, "durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen."
    Dieses Ziel wurde aber bis heute nicht erreicht. Auch die Opfervereinigung von Kalavryta hat ihre Entschädigungsklage bis heute nicht zurückgezogen. Zwar wurde dem Bürgermeister von Kalavryta, Thanassis Papadopoulos, im Juni 2005 für seine Versöhnungsbereitschaft ein Bundesverdienstkreuz verliehen. Doch als ihn die deutsche Botschaft in Athen auf ihrer Website mit der Bereitschaft zum Entschädigungsverzicht zitierte, sah er sich wütenden Protesten etlicher Mitbürger ausgesetzt und zu einem nachdrücklichen Dementi gezwungen. Das Massaker von Kalavryta bleibt eine offene Wunde und steht bis heute für Hunderte solcher in Griechenland begangener Verbrechen, von Distomo bis Kandanos.