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Vor 75 Jahren
Der NS-Unterhaltungsfilm "Münchhausen" feiert Premiere

Mitten im Zweiten Weltkrieg ließ Propagandaminister Joseph Goebbels den teuersten Unterhaltungsfilm der Nazi-Zeit drehen. Bis heute wird kontrovers diskutiert, ob der Film, für den der verbotene Schriftsteller Erich Kästner das Drehbuch schrieb, auch subtile Kritik am NS-Staat enthielt.

Von Christian Berndt | 05.03.2018
    Hauptdarsteller Hans Albers reitet als Lügenbaron "Münchhausen" in einer Szene des gleichnamigen Films auf einer Kanonenkugel durch die Lüfte.
    Hans Albers als "Münchhausen" (picture-alliance / dpa)
    Münchhausen, gespielt vom Ufa-Star Hans Albers, ist auf der Kanonenkugel in die Festung geflogen, aber die Explosion hat er wundersamerweise unversehrt überstanden. Der Ritt auf der Kanonenkugel ist das ikonische Symbol des Spielfilms "Münchhausen", dessen Tricktechnik in seiner Zeit herausragend war. Der Film sollte 1943 zum 25-jährigen Jubiläum des Filmkonzerns Ufa die Leistungskraft des deutschen Kinos bezeugen. Propagandaminister Goebbels hatte das übliche Kostenlimit aufgehoben und eine Sondergenehmigung erteilt, damit ein erstklassiger, aber offiziell verbotener Autor das Drehbuch schreiben konnte: Erich Kästner.
    "Man trat damals an mich heran, für das 25-jährige Jubiläum der Ufa einen Jubiläumsfilm zu schreiben, na und da schlug ich Münchhausen vor. Und es war ja auch sehr gut, dass ich mal wieder ein Angebot hatte, denn vom Nägelkauen kann der Mensch nicht leben."
    So Kästner 1972. Allerdings hatte er trotz Publikationsverbot schon vorher unter Pseudonym Drehbücher für die Ufa geschrieben, und auch wenn die Schriften des linken Starautors der Weimarer Republik 1933 verbrannt worden waren, konnten seine Bücher zeitweise erscheinen. Goebbels schätzte Kästners Gedichte, und gute Filmautoren waren rar, nachdem die Nazis die besten vertrieben hatten. Der NS-Propagandaminister wollte einen Film, der Hollywood Paroli und zugleich Ablenkung vom Krieg bieten sollte. Kästner lieferte mit seiner freien Bearbeitung von Gottfried August Bürgers Erzählung über den Lügenbaron das passende Drehbuch: Vom türkischen Harem mit barbusigen Mädchen bis zur fantastischen Mondlandschaft bot das einfallsreich-frivole Spektakel knallbunte Exotik. Aber Kästner soll – so eine bis heute verbreitete Deutung – im Drehbuch auch Kritik am NS-Regime untergebracht haben. Als Schlüsselszene gilt ein Dialog, in dem der zwielichtige Graf Cagliostro Münchhausen für seine Eroberungspläne gewinnen will:
    "Wenn wir erst Kurland haben, pflücken wir Polen. Dann werden wir König."
    "In einem werden wir zwei uns nie verstehen. Sie wollen herrschen, ich will leben. Abenteuer, Krieg, fremde Länder, schöne Frauen, ich brauche das alles. Sie aber missbrauchen es."
    Ein Film mit Ambivalenzen
    Nach dem Krieg wurde die Szene als unverhohlene Kritik an Hitler interpretiert. Doch der verschlagene, Wucherzinsen nehmende Cagliostro trägt nicht nur deutlich antisemitische Züge, ihn verkörpert außerdem Ferdinand Marian, der die Titelrolle im antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" gespielt hatte – und hier wie dessen Doppelgänger aussieht. Distanz zum Regime wollte man auch darin erkennen, dass Hans Albers den Titelhelden als ausgeprägten Individualisten und damit wie einen Gegenentwurf zur NS-Ideologie gespielt habe. Dass Albers‘ Münchhausen allerdings stets im Dienst autoritärer Herrscher steht, ließ sich wiederum als subtile Kritik an jenen prominenten Mitläufern deuten, die sich einbildeten, durch Distanz zu den Nazis ihre Integrität wahren zu können. So wie Albers, der gemeinsame Auftritte mit Nazi-Größen vermied, aber dem Regime als Kinostar diente. Und als direkte Anspielung auf den Gestapo-Terror wird oft jene Szene angeführt, in der Casanova Münchhausen in Venedig vor der Verfolgung warnt:
    "Venedig ist im Karneval ein gutes Versteck, seien Sie aber trotzdem vorsichtig. Die Staatsinquisition hat zehntausend Augen und Arme, und sie hat die Macht, Recht und Unrecht zu tun, ganz wie es ihr beliebt."
    Der von Josef von Báky inszenierte Film hat Ambivalenzen, ist aber in seiner Mischung aus Kriegsrhetorik, Heimattreue und höhnischen Stereotypen über fremde Völker durchaus kompatibel mit der NS-Ideologie. Kästner war entschiedener Nazigegner, aber sein Drehbuch war der Gedankenwelt seiner Auftraggeber nahe. Die Nazi-Presse feierte den Film, Goebbels pries ihn als "wahren Volksfilm". Kästner selbst war stolz auf sein Drehbuch. Als sein Pseudonym aus dem Abspann gestrichen wurde, weil Hitler erfahren haben soll, wer hinter dem Namen Berthold Bürger steckt, tobte Kästner, wie seine Sekretärin später erzählte:
    "Und da habe ich gedacht, jetzt explodiert er. Da hatte er Ideen, er wollte eine einstweilige Verfügung erwirken, dass der Film überhaupt nicht laufen durfte. Da haben sie ihn alle beschwichtigt und gesagt, um Gottes Willen, also nur nicht."
    Die Premiere in Berlin am 5. März 1943 wurde der erwartete Erfolg. Der Film hatte seinen Zweck erfüllt, aber von Hollywood blieb das in seiner engen, ressentimentgeladenen Weltsicht provinzielle Episoden-Abenteuer Lichtjahre entfernt.