Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Vor 75 Jahren in der Carnegie Hall
Florence Foster Jenkins: Sie traf keinen Ton

Vielen galt sie als die schlechteste Sängerin der Welt. Trotzdem hatten ihre Privatkonzerte Kultstatus. Ihre einzige Schallplatte wird auch nach Jahrzehnten noch verkauft. Heute vor 75 Jahren trat die amerikanische Amateur-Sängerin Florence Foster Jenkins in der New Yorker Carnegie Hall auf.

Von Hartmut Goege | 25.10.2019
    Die US-Sopranistin Florence Foster Jenkins (1869 – 1944): berühmt für ihr komplett fehlendes Gesangstalent.
    Die US-Sopranistin Florence Foster Jenkins (1869 - 1944): berühmt für ihr komplett fehlendes Gesangstalent (imago / United Archives International)
    Es war der Moment, der die mit 2.500 Besuchern ausverkaufte Carnegie Hall zum Kochen brachte. Als Florence Foster Jenkins am Abend des 25. Oktober 1944 Mozarts Zauberflöten-Arie "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen" vortrug, hielt es kaum noch Zuschauer auf ihren Stühlen. Die Art, wie sie sich zum dreifach gestrichenen F hochschraubte, ließ einige vor Entsetzen in ihre Taschentücher beißen, andere brüllten vor Lachen. Doch die damals 76-jährige Foster Jenkins ließ sich nicht beirren. Sie sang hingebungsvoll und falsch weiter.
    Die New Yorker Kritiken an den folgenden Tagen aber waren vernichtend: "Florence Foster Jenkins kann alles singen, außer Noten", "Der verrückteste Massenwitz, den New York je sah", "Sie jault ihre Töne wie ein besoffener Kuckuck!"
    Wer also war diese Frau, die sich so dem Gespött eines großen Publikums aussetzte: Selbstbewusst und mit einem großen Repertoire an klassischen Opern-Arien, trug sie sogar selbstgeschriebene Stücke wie "Ich singe wie ein Vögelchen" vor.
    Ohne Gesangsausbildung auf die Bühne
    Aufgewachsen in Pennsylvania in einer wohlhabenden Bankiers-Familie, erhielt die 1868 geborene zwar Klavierunterricht, eine Gesangsausbildung aber wurde ihr verweigert. Mit 17 brannte sie mit dem Arzt Francis Jenkins durch, die Ehe blieb kinderlos. Nach ihrer Scheidung zog Florence nach New York. Der großzügige Nachlass ihres 1909 verstorbenen Vaters hatte sie finanziell unabhängig gemacht. In der modernen Weltstadt verwandelte sie sich in eine exzentrische Salon-Diva und übernahm den Vorsitz diverser Frauenclubs. In diesem halb-privaten Rahmen traute sie sich, erstmals öffentlich aufzutreten.
    "Zu Beginn ihrer Karriere posierte sie, ungeachtet dessen, dass sie etwas plump und unbeholfen war, in sogenannten Tableaux vivants, in denen sie Heldinnen der Geschichte darstellte. Heute wirkt das ein bisschen peinlich, aber es ist geschehen", sagt der Musik-Historiker Gregor Benko.
    Skurrile Shows folgten, in denen die nicht gerade leichtgewichtige Dame auch schon mal als "fliegender Stern von Bethlehem" mit goldenen Flügeln einschwebte. Schon bald begann sie in üppigen, extravaganten Kostümen handverlesenen Gästen vorzusingen. Ihr Pianist Cosmé McMoon erinnert sich: "Sie machte aus jeder Darbietung eine Inszenierung. Sie spielte die Handlung nach, wenn es eine Arie war oder erfand Gesten, die die Liedtexte beschreiben sollten. Manchmal führte sie dabei Tänze auf, die wirklich komisch waren."
    Ihre exzentrischen Auftritte, die sie alljährlich im Nobelhotel Ritz-Carlton finanzierte, entwickelten sich langsam zum Geheimtipp innerhalb der New Yorker Oberschicht. Die Auswahl der Gäste organisierte ihr neuer Lebenspartner St. Clair Bayfield, ein wesentlich jüngerer britischer Schauspieler. Sie bezahlte dafür seinen Lebensunterhalt. Für die Zuschauer aber galt ein ungeschriebener Verhaltenskodex: Wenn es besonders schief wurde, klatschten alle, um gleichzeitig laut lachen zu können.
    Nach der Carnegie Hall folgte der Absturz
    Ob ihre Wahrnehmung nach einer frühen Syphilis-Erkrankung gestört war, bleibt Spekulation. Sie selbst glaubte eine begnadete Sängerin zu sein, weiß Gregor Benko: "Offenbar hörte sie ihre eigene Stimme nicht so, wie andere sie hörten. Sie hat bekanntermaßen damit geprahlt, dass ihre Spitzentöne besser als die einer Galli-Curci oder Frieda Hempel wären oder einer der anderen großen Koloratur-Sopranistinnen ihrer Zeit."
    1941 entschied sie, ihre "einzigartige Stimme" auf einer Platte zu verewigen. Sie war 73 und glaubte sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Ralf Pleger hat 2016 einen halbdokumentarischen Film zu ihrem Leben gedreht und beschreibt die Platte so: "Man muss diese Schallplatte nur auflegen, und man spürt sofort, da steckt wahnsinnig viel Herzenswärme und Leidenschaft dahinter. Und sie war absolut überzeugt davon, dass das alles richtig war, was sie tat."
    Der Auftritt in der Carnegie Hall aber wurde zum tragikomischen Absturz einer Karriere, die vor allem aus der bizarren Vergnügungssucht der New Yorker High Society entstand. Der Großteil der Carnegie Hall-Besucher war auf ihre katastrophalen Darbietungen nicht vorbereitet, und erstmals war die Presse vertreten. Wenige Tage nach dem Auftritt erlitt sie einen Herzinfarkt. Sie starb einen Monat später. Auf ihrem Grabstein steht: "Die Leute können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte."