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Vor 75 Jahren
Tod der Fotografin und Revolutionärin Tina Modotti

Tina Modotti engagierte sich schon früh für eine friedliche und gerechte Welt. Mit 16 emigrierte sie von Italien in die USA und zog nach kurzem Aufenthalt weiter nach Mexiko. Dort setzte sie sich für die Ziele der mexikanischen Revolution ein und entdeckte ihre Liebe für die Kamera.

Von Anette Schneider | 06.01.2017
    Eine Fotografie von Tina Modotti in der Ausstellung 'Otras miradas. Fotografas de Mexico, 1872-1960'.
    Eine Fotografie von Tina Modotti in der Ausstellung 'Otras miradas. Fotografas de Mexico, 1872-1960'. (dpa/ picture alliance / Alex Cruz)
    "‘Arrividerci‘ sagte sie zu mir. Das war am 5. Januar um Mitternacht vor meiner Haustür. Stundenlang hatten wir über alles geredet, was wir bewunderten: Die Panzersperren der Sowjets, das Quintett opus 57 von Dimitri Schostakowitsch. Und wir redeten über die Möglichkeit einer baldigen Reise nach Moskau: von Madrid, Genf und Udine aus, ohne Pässe."
    So erinnert sich der Bauhausarchitekt Hannes Meyer an die letzte Begegnung mit der Fotografin und Revolutionärin Tina Modotti, die wie er vor den Faschisten aus Europa nach Mexiko geflohen war. Wenige Minuten nach dem Abschied starb die italienische Kommunistin an Herzversagen. Es war der 6. Januar 1942. Schon bald waren sie und ihr Werk vergessen.
    Tina Modotti: Italien, USA, Mexiko
    Tina Modotti wurde 1896 im italienischen Udine geboren. Sie wuchs in Armut auf und emigrierte mit 16 Jahren in die USA, wo bereits ihr Vater lebte. Sie arbeitete als Textilarbeiterin, erhielt aber bald erste Filmrollen und lernte 1921 den Fotografen Edward Weston kennen, dessen Geliebte und Modell sie wurde.
    Die Schriftstellerin Christiane Barckhausen, die 1988 in der DDR eine erste Biografie über sie veröffentlichte:
    "Er war so eine Art Mentor für sie. Er hatte eine ganz andere Entwicklung hinter sich, er hatte also nie das Arbeiterleben kennen gelernt. Aber er war ein Mann, der sehr kommunikationsfreudig war und der über 1.000 Themen diskutieren konnte. Und sie suchte ja immer noch Bildung."
    1923 zogen die beiden nach Mexiko. Seit der Revolution, die 1910 begonnen hatte, war das Land Anziehungspunkt vieler US-amerikanischer Künstler und Intellektueller.
    "Im Zuge dieser Revolution und danach entwickelte sich in Mexiko eine ganz neue Bewegung in der Kunst, dass man propagierte: ‚Kunst fürs Volk!‘. Kunst nicht für eine Elite, die sich Bilder ins Wohnzimmer hängt, in den Salon hängt, sondern Kunst für die Massen, die zugänglich ist dadurch, dass sie auf große Fassaden in öffentlichen Gebäuden gemalt wird."
    Erste Erfahrungen mit der Kamera
    Tina Modotti war begeistert. Sie ließ sich von Weston das Fotografieren beibringen und dokumentierte mit der Kamera die Arbeit ihrer Freunde, der Wandmaler Diego Rivera, David Alfaro Siqueiros und José Clemente Orozco. Gleichzeitig entwickelte sie eine ganz eigene, parteiliche Fotografie: Da sieht man ein Paar abgearbeiteter Hände, die einen Spaten halten. Auf der Straße schlafende Bettler. Frauen beim Wasser holen. Sie dokumentiert revolutionäre Gewerkschafts- und Bauernversammlungen. Und das radikal Neue ihrer Zeit verdichtet sie zum Beispiel in dem Porträt eines die kommunistische Zeitung lesenden Indios.
    "Ich betrachte mich als Fotografin, mehr nicht, und wenn sich meine Fotografien von dem unterscheiden, was allgemein auf diesem Gebiet gemacht wird, so deshalb, weil ich eben gerade versuche, nicht Kunst zu produzieren, sondern ehrliche Fotografien ohne Tricks und Manipulationen."
    Ihre Fotos erschienen in zahlreichen internationalen Zeitungen und Zeitschriften, sogar in der deutschen "Arbeiter Illustrierten Zeitung".
    Teil der kommunistischen Arbeiterbewegung
    Während Weston in die USA zurückkehrte, wurde Tina Modotti mit ihren Künstlerfreunden Teil der kommunistischen Arbeiterbewegung und politisch aktiv. Christiane Barckhausen:
    "Es gab Terror in Bulgarien. Es gab Terror in Polen. Es gab Terror in Rumänien. Sie sah also, dass der Faschismus drohte, ganz Europa zu überziehen. Dann werden also in Mexiko alle möglichen Organisationen auf die Beine gestellt, wie: eine allgemeine antifaschistische Liga und eine Organisation, die sich Rote Hilfe nannte, und die sich um die Angehörigen von politisch Verfolgten kümmerte. Und überall in diesen Organisationen ist die Tina also aktiv."
    Auch in Mexiko wurde die politische Reaktion immer brutaler: 1929 wurde ihr Freund, der kubanische Revolutionär Julio Antonio Mella, auf offener Straße direkt neben ihr erschossen. Bauernführer und Kommunisten wurden verfolgt, inhaftiert, ermordet.
    "Und Ende 1929 wird an der Universität von Mexiko eine große Ausstellung organisiert. Es ist die einzige Einzelausstellung von Tina Modotti, die es jemals gegeben hat. Und das in einer politischen Situation, in der viele ausländische Kommunisten und Revolutionäre wie sie schon des Landes verwiesen waren, die Partei illegal ist."
    1930 musste auch Tina Modotti Mexiko verlassen. Sie ging nach Berlin, von dort nach Moskau, wo sie das Fotografieren aufgab und für die Internationale Rote Hilfe arbeitete. Ab 1936 war sie für die Organisation im Spanischen Bürgerkrieg tätig. Nach dem Sieg der Faschisten kehrte sie 1939 illegal nach Mexiko zurück. Pablo Neruda würdigte sie nach ihrem Tod in einem Gedicht. Die letzte Zeile lautet: "Das Feuer stirbt nicht".