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Vor 75 Jahren
Walter Hasenclever nimmt sich das Leben

Als "Froschkönig" hatte Walter Hasenclever Hitlers Propagandachef Joseph Goebbels satirisch gezeichnet – als die Nazis 1933 Bücher verbrannten, waren auch seine Werke dabei. Nach jahrelanger Flucht durch ganz Europa landete er schließlich in einem Internierungslager in der Provence, wo sein Leben vor 75 Jahren ein trauriges Ende fand.

Von Christian Linder | 21.06.2015
    Der deutsche Schriftsteller Walter Hasenclever
    Der deutsche Schriftsteller Walter Hasenclever (picture alliance / dpa )
    Der erste deutsche Schriftstellerkongress nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann im Oktober 1947 im Berliner Hebbeltheater mit einem Auftritt der Toten, deren Werk die Überlebenden durch eine Lesung in Erinnerung riefen:
    "Walter Hasenclever ... Soldaten Europas! Verwüstete Kirchen retten eure Länder nicht mehr. Soldaten Europas, Bürger Europas! Hört die Stimme, die euch Bruder heißt. Friede, Versöhnung bricht an ... Aufwärts, Freunde, Mensch ..."
    Kein anderer habe damals das Wort "Mensch" in einem noch unverbrauchten Sinne so zur Geltung bringen können wie Walter Hasenclever, erinnerten sich später Autoren, die ihn gut gekannt hatten. Das Pathos und die Hitze seines Ausdrucks standen für Aufruhr und Aufbruch, die Hasenclever zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinen 1910 und 1913 erschienenen und den Expressionismus mitbegründenden Gedichtbänden "Städte, Nächte und Menschen" und "Der Jüngling" proklamiert hatte.
    "Zu viele Christen sind gestorben, / Kein Christus stieg von des Kreuzes Not, / ging durch Felder, von Pestluft verdorben, / lebte und siegte über den Tod."
    Dazweitausend Jahre nach Christus' Tod dessen Reich "verloren" und sein Name "entweiht" sei, blieb für Hasenclever nur eines übrig:
    "Sei, Mensch, zur Hilfe der Menschen bereit!"
    Solche Welt- und Existenzanalyse wandte Hasenclever auch auf sein eigenes Leben an. In dem 1914 uraufgeführten Theaterstück "Der Sohn" führte er eine Auseinandersetzung mit der Väter-Generation und sprach unverstellt auch von sich selbst. Geboren am 8. Juli 1890 in Aachen als Sohn eines Sanitätsarztes, der den Jungen mit der Peitsche in der Hand erzog und ihn zum Jurastudium in Oxford drängte, flüchtete Hasenclever von dort zum Literatur-Studium nach Lausanne und befreite sich endgültig vom Vater, indem er, in Leipzig gefördert von Kurt Wolff, dem Verleger der Expressionisten, Schriftsteller wurde.
    Flucht nach Frankreich
    "Ich schreibe diese Zeilen aus Not, nicht aus Ehrgeiz ... Ich sah die helle fröhliche Kriegsbegeisterung. Ich hörte die alten Kriegslieder. Ich spürte: morgen kann es wieder losgehen."
    Der durch die Erfahrung des Ersten Weltkriegs zum Pazifisten gewordene Autor galt als einer der politischsten Autoren seiner Generation, 1917 ausgezeichnet durch den Kleist-Preis für seine zeitgemäße Einrichtung des antiken Sophokles-Stoffs in dem Theaterstück "Antigone". Doch dann meinte Hasenclever Anfang der 1920er Jahre noch einmal "neu anfangen" zu müssen, wandte sich von seinem ureigensten Ausdruck, der Lyrik ab, wollte auch von einem politischen Schreib-Auftrag nichts mehr wissen und ging für einige Jahre als Korrespondent des Berliner "8-Uhr-Abendblatts" nach Paris:
    "...genieße die Freuden des anonymen Spaziergängers ... In Paris kann ein Mensch unbekümmert über die Boulevards gehen: die Chauffeure machen einen Bogen um ihn. Wer in Berlin auf dem Kurfürstendamm stehen bleibt, ist ein Selbstmörder."
    Solche feuilletonistischen Gefälligkeiten fanden sich nun auch in den weiterhin geschriebenen Theaterarbeiten: Statt Problem-Stücken bot er Komödien wie das Gauner- und Heiratsschwindler-Stück "Ein besserer Herr" an, beim Publikum zwar ein Riesenerfolg, aber für manchen Kritiker, wie Friedrich Sieburg, hatte sich der aggressive, klirrend ironische politische Schriftsteller in einen "Gefühlsbuddhisten ohne durchdachte Grundlagen" verwandelt. Die Nationalsozialisten nahmen ihn gleichwohl weiterhin als Bedrohung wahr, sodass Hasenclever nach ihrem Machtantritt, nach Frankreich flüchtete. Angesichts der Nachricht von den einmarschierenden deutschen Truppen nahm er sich in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1940 in dem Lager "Les Milles" bei Aix-en-Provence durch eine Überdosis Veronal-Tabletten das Leben. In seinem Gedicht "An die Freunde" hatte er von dem tödlichen Gesetz gesprochen, gegen das er sich am Ende nicht mehr meinte auflehnen zu können.
    "Die Glocke tönt. Wir wurden geboren. / Eine Mauer lauert haßumstellt. / Propheten jubeln in unsern Ohren: / Wir sind unser. Wir sind die Welt! / Die Peitschen der Tyrannen fliegen. / Ein Herz geht unter in Scham und Qual. / Verkündet draußen — Ihr saht uns liegen, / Sterben, wie das Gesetz es befahl."