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Vor 80 Jahren eröffnet
Die erste Bahnstrecke von Istanbul nach Bagdad

Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte Deutschland, die handelspolitische Vormachtstellung der Briten im Orient zu untergraben. Der Bau einer Bahnstrecke Istanbul-Bagdad für den osmanischen Sultan Abdülhamid II. sollte der Fuß in der Tür sein. Der Erste Weltkrieg stoppte das Projekt allerdings.

Von Regina Kusch | 09.08.2020
    Güterzug auf der Bahnstrecke zwischen Konya und Bagdad, Anfang des 20. Jahrhunderts
    Güterzug auf der Bahnstrecke zwischen Konya und Bagdad, Anfang des 20. Jahrhunderts (picture alliance / World_Illustrated / Photoshot)
    "Die schlammigen Fluten des Tigris, die Palmen, die singenden Araber, der alte Orient. Und in ihrer Mitte nun die makellosen Lokomotiven. Die blauäugigen, kurzhaarigen Deutschen mit schnellen entschiedenen Bewegungen und leicht militärischem Auftreten. Die Soldaten des Westens kommen, um zu erobern und ihre Waffe ist die Technologie."
    Nicht ohne Sorge verfolgte die britische Geheimdienstlerin und Forschungsreisende Gertrude Bell das ambitionierteste deutsche Bauprojekt des beginnenden 20. Jahrhunderts im Osmanischen Reich: die Bagdadbahn.
    Bau der Bagdadbahn bei Aleppo
    Bau der Bagdadbahn bei Aleppo (imago / Artokoloro / Liszt Collection)
    Im Auftrag des Sultans Abdülhamid II. sollten deutsche Ingenieure eine 1.600 Kilometer lange Eisenbahnstrecke durch sein Land errichten, das sich von der heutigen Türkei über Syrien bis in den Irak erstreckte, von Konya über Aleppo bis nach Bagdad. Es sollte die Verlängerung der anatolischen Eisenbahn werden, die Konstantinopel, das heutige Istanbul, mit Ankara und Konya verband. Kaiser Wilhelm II. plante, die Strecke bis nach Basra weiterzuführen und dort einen deutschen Militärstützpunkt am Persischen Golf zu errichten.
    Klarer Angriff auf die britische Vormacht
    Eine durchgängige Schienenverbindung von Europa nach Asien hätte den alten Seeweg der britischen Handelsflotte entwertet und die Vormachtstellung des Empire in Indien bedroht. Die Deutsche Bank, die das Großprojekt finanzierte, sicherte sich das Recht, die reichen Ölvorkommen in einem 20 Kilometer breiten Streifen beidseits der Trasse auszubeuten. In Berlin versprach man sich blühenden Handel mit dem geschwächten Osmanischen Reich, das dringend seine Infrastruktur modernisieren wollte und profitable Geschäfte für die deutsche Industrie. Benjamin Otto vom Dresdener Verkehrsmuseum:
    "Das Material, beispielsweise die Schienen, das war Kruppstahl. Die wurden in Deutschland hergestellt und dann da drüben verbaut. Die Lokomotiven kamen aus Deutschland, von Maffei, von Hanomag, von Henschel beispielsweise. Und natürlich auch das Knowhow, sprich die Bauingenieure, die Bauleiter."
    Lager deutscher Ingenieure beim Bau der Bagdadbahn nahe Alexandretta, heute Iskenderun
    Lager deutscher Ingenieure nahe Alexandretta, heute Iskenderun (imago / Artokoloro / Liszt Collection)
    1903 begannen die Bauarbeiten. Rund 35.000 Arbeitskräfte trieben den Schienenweg durch das anatolische Taurusgebirge mit seinen zerklüfteten Gipfeln von über 3.000 Metern Höhe. Hunderte von Brücken und Viadukten wurden errichtet, kilometerlange Tunnel gesprengt und in 1.478 Metern über dem Meeresspiegel Gleise verlegt. Doch wegen revolutionärer Unruhen und Sabotageakten musste der Bau immer wieder unterbrochen werden.
    Benjamin Otto: "Der Erste Weltkrieg stoppte das Bauvorhaben der Bagdadbahn nahezu komplett. Der eigentliche Bau wurde nicht fortgesetzt, und nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel das Osmanische Reich. Und die Türkei wurde ja gegründet, Syrien war unter französischem Protektorat. Jeder baute die Teilstrecken für sich selbst weiter."
    Holz für eine provisorische Brücke über den Euphrat für den Bau der Bagdadbahn
    Holz für eine provisorische Brücke über den Euphrat (imago / Artokoloro / Liszt Collection)
    Der Krieg durchkreuzte die deutschen Pläne
    Mit Kriegsende war der Traum des wilhelminischen Reichs, den Orient zu kontrollieren, vorbei und an eine unter deutscher Regie betriebene Eisenbahnlinie nicht mehr zu denken. Teile der Strecke wurden von den Alliierten beschlagnahmt und die Bauarbeiten in den 1920er-Jahren fortgesetzt.
    Benjamin Otto: "Ab 1930 fuhr der Taurus Express von Istanbul nach Bagdad. Die Strecke war ja noch nicht komplett erschlossen, das heißt, einige hundert Kilometer vor Bagdad stoppte der Zug dann, weil es lagen keine Gleise, und man ist dann quasi entweder mit dem Auto oder mit Kamel-Karawanen weitergezogen. Eine Persönlichkeit, die diese Strecke der Bagdadbahn nutzte im Taurus Express, war Agatha Christie."
    Ihr berühmtester Roman "Mord im Orient-Express" spielt auf der Strecke der Bagdadbahn. Nach ihrer Passage über das Taurusgebirge schwärmte die Schriftstellerin:
    "Am nächsten Morgen schauen wir überwältigt von der Kilikischen Pforte herab. Uns ist, als ob wir am Rande der Welt stünden und auf das Gelobte Land herabblicken – so muss es Moses zumute gewesen sein."
    Bagdader Bahnstation im Jahr 1917
    Bahnstation im Jahr 1917 (picture alliance / World_Illustrated / Photoshot)
    Fertiggestellt wurde das letzte Teilstück der Bagdadbahn erst im Zweiten Weltkrieg. Die offizielle Eröffnung fand am 9. August 1940 statt, 37 Jahre nach dem ersten Spatenstich. Zu diesem Zeitpunkt waren Flugreisen schon eine Alternative zu Eisenbahnfahrten durch den unruhigen Nahen Osten geworden. Die politische Bedeutung, die die Bahnlinie vor dem Ersten Weltkrieg hatte, hatte sie längst verloren.