Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Vor 90 Jahren
Entdeckung des Pflugs von Walle

Wäre ein ostfriesischer Torfstecher am 9. Juli 1927 bei seiner Arbeit nicht so aufmerksam gewesen, hätte man ihn vielleicht nie entdeckt: den etwa 4.000 Jahre alten Pflug von Walle. So aber kann man das frühzeitliche Gerät, das als Meilenstein der Landwirtschaft gilt, bis heute in Niedersachsen bestaunen.

Von Michael Stang | 09.07.2017
    Zu sehen ist der ca. 4.000 Jahre alte "Pflug von Walle", ein landwirtschaftliches Gerät aus Holz zu Bodenauflockerung.
    Mit der Entwicklung der ersten landwirtschaftlichen Geräte konnten die Bauern mehr produzieren. (Landesmuseum Hannover)
    Am Morgen des 9. Juli 1927 geht Jann Hanßen im ostfriesischen Walle zur Arbeit ins Tannenhausener Hochmoor.
    "Torfgebiet. Da wurde halt von Hand damals 1927 Torf abgestochen, und der Arbeiter hat dann entdeckt, dass dann plötzlich so Holzstücke da in den Soden steckten."
    Hanßen sucht und findet immer mehr seltsam geformte Stücke, alle in 1,70 Meter Tiefe. Die rund 20 Stücke legt er an die Seite und ruft einen Dorfschullehrer hinzu. Dieser erkennt, dass es sich um ein altes Werkzeug handelt.
    "Wenn dieser Arbeiter da nicht so plietsch gewesen wäre und dem das aufgefallen wäre und wenn der Lehrer sich nicht gekümmert hätte, dann wäre das Stück jetzt einfach in irgendeinem Ofen gelandet",
    sagt Martin Schmidt, stellvertretender Direktor am Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover. Der Archäologe führt durch die Gänge der Dauerausstellung zu dem besonderen Fundstück.
    "Und hier ist dann der berühmte Pflug von Walle."
    An der Wand unter Glas hängen die konservierten Reste eines riesigen Holzpfluges aus Eiche.
    "Wie Sie sehen, ist das hier auf so einem Umriss montiert. Das sind alles einzelne Stücke, das hängt mit der Fundgeschichte zusammen, der ist ja beim Torfstechen gefunden worden. Und beim Abstechen dieser Torfsoden hat man halt den stückweise quasi abgegraben. Das Stück selber ist natürlich auch, so bröselig und unscheinbar wie es hier steht, wenn man genauer hinguckt, einfach auch ein richtiger Kracher, es ist mithin der älteste Pflug, den wir kennen im Moment."
    Ein 4.000 Jahre alter Pflug
    Erst 1992 konnte mithilfe von Radiokarbondatierungen das Alter des Hakenpfluges zweifelsfrei geklärt werden. Demnach stammt er aus der Zeit um 1740 vor Christus, also aus der frühen Bronzezeit. Damit ist der Pflug von Walle knapp 4.000 Jahre alt.
    "Der Pflug besteht im Wesentlichen aus drei Teilen. Das einmal ist ein quasi ein Stück Stamm, aus dem ein Ast herauswächst und dieses Stammstück, das ist die sogenannte Pflugsohle, mit der man hinterher den Boden bearbeitet. Dieser Ast, der dann rauskam, das ist der Baum, an dem der gezogen wird. Man sieht hier hinten noch dran einen sogenannten Sterz, das ist quasi so ein Griff, mit dem man das Gerät dann in den Boden reindrücken kann, wenn der gezogen wird."
    Der Pflug ist ein sogenanntes Kompositgerät: Pflugbaum und Sohle bestehen aus einem Holzstück, der Sterz als Steuerknüppel hinten aus einem zweiten. Zudem war am Pflugbaum vorne eine Astgabel für die Anschirrung befestigt.
    "Der ist knapp drei Meter lang, der Pflug. So groß, dass man davon ausgehen kann, dass der sicher nicht von Menschen gezogen worden ist, sondern es spricht eigentlich das meiste dafür, dass man den mit Tierkraft gezogen hat, am wahrscheinlichsten mit Rindern."
    Teure Materialkosten
    Obwohl der rund einen Zentner schwere Pflug aus der Bronzezeit stammt, ist die Sohle, also jenes Teil, das die Furche zieht, aus Holz. Metall war damals teuer und wurde vornehmlich für Waffen verwendet. Erst in der späteren Eisenzeit fand Metall auch auf dem Acker Verwendung. Der Pflug wirkt einfach oder vielleicht sogar ein wenig primitiv.
    "Mit dieser Technik hier, die wir bei Walle sehen, da ritzt man im Prinzip den Boden eigentlich nur an, und da geht es eigentlich nur darum, ein optimales Saat--Bett für das Saatgut zu schaffen, also das ist jetzt überhaupt nicht zu vergleichen mit einer modernen Pflugtechnik, mit Wendetechnik und so 'nem Kram."
    Ein Meilenstein für die Landwirtschaft
    Dennoch waren diese frühen Großgeräte ein Meilenstein für die Landwirtschaft. Furchen für die Saat mussten nicht mehr mühsam per Hand gezogen werden. Ein Gespann konnte den harten Boden aufreißen und für die Saat von Einkorn vorbereiten. Mithilfe dieses Geräts konnten Bauern schneller arbeiten und immer größere Flächen beackern. Immer mehr Menschen konnten ernährt werden und auch harte Winter überstehen. Dörfer wuchsen langsam zu immer größeren Städten heran.
    Handel mit Getreide nimmt zu
    Auch der Handel mit Getreide nahm zu, denn die Bauern konnten dank der neuen Gerätschaften mehr Getreide produzieren als sie selbst verbrauchten. Die Geschichte des frühen Ackerbaues ist mittlerweile, auch dank des Fundes aus Walle, gut rekonstruiert. Unklar ist jedoch, weshalb der Pflug im Moor gelandet ist. Vermutungen gibt es reichlich, so Archäologe Martin Schmidt.
    "Warum der jetzt ins Moor gekommen ist: Es könnte sein, dass da einer meinte, wir lassen den da mal ein bisschen feucht liegen, damit er sich besser hält. Der kann auch da einfach liegengeblieben sein aus irgendwelchen Gründen. Oder, was man ja viel hat, durchaus im Sinne eines Opferfundes, dass man den aus irgendwelchen Gründen da einfach auch deponiert hat."
    Der tatsächliche Grund sei letzten Endes auch nicht so wichtig, bedeutend sei nur, dass es diesen Fund gibt, der einzigartige Einblicke in die Frühzeit des Ackerbaues ermöglicht.