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Vor allem eine Glaubensfrage

Das Coming-out des Basketballprofis Jason Collins zeigt: schwarze Hautfarbe und schwule Identität ist eine hochsensible Konstellation. In Amerikas ethnischer Minderheit, in der Pfarrer zu den wichtigsten Autoritätsfiguren gehören, ist die Stigmatisierung besonders ausgeprägt. Die Bibel liefert dafür das Fundament.

Von Jürgen Kalwa | 05.05.2013
    "Big news right now coming out of the NBA. It’s a historic day in American sports. Jason Collins, twelve-year NBA veteran, is the first American athlete in a major sport to come out. Jason Collins has announced that he is gay...”"

    Die Fernsehnachrichten überschlugen sich Anfang der letzten Woche. Jason Collins, seit zwölf Jahren in der NBA, zuletzt bei den Washington Wizards, hatte sich in der Zeitschrift "Sports Illustrated" zu seiner Homosexualität bekannt. Ein Ereignis, das von den Medien landauf, landab als "historisch” bezeichnet wurde.

    Das öffentliche Bekenntnis war dem Sportler nicht leicht gefallen. Denn Collins hatte jahrelang ein perfektes Doppelleben geführt. Es gab Lob auf breiter Front von Star-Spielern wie Kobe Bryant. Und der Chef der NBA tat schon so, als sei das Coming-out von Profi-Sportlern schon fast etwas Alltägliches. David Stern meinte am Rande eines Playoff-Spiels:

    ""Wenn der Sturm in den Medien vorbei ist, wird man sagen: Alles klar. Was soll’s? Und wir werden dem nächsten Athleten dabei helfen, der das Gleiche tun möchte.”"

    So simpel wird es sich vermutlich nicht abspielen. So machte Jason Collins in einem Interview mit der Talk-Show-Gastgeberin Oprah Winfrey auf folgendes aufmerksam. Er hatte nicht von ungefähr gleich am Anfang seines Zeitschriftenartikels geschrieben: "Ich bin ein 34-jähriger NBA-Center. Ich bin schwarz. Und ich bin schwul.” Schwarz und schwul ist eine hochsensible Kombination.

    ""I knew as an African-American that it definitely adds another dimension to the conversation. That has to do a lot of how the hand in hand is with the church in the African-American community. Trust me, I grew up in a very religious family.”"

    Das Dilemma hat nichts mit Hautfarbe per se zu tun, sondern mit einer Besonderheit der amerikanischen Gesellschaft. Christliche Glaubensgrundsätze und Vorurteile sind fast nirgendwo so stark verankert wie in den Kirchengemeinden des schwarzen Amerika. Glauben, Gottesdienst und Gospelgesang vermittelten das Gemeinschaftserlebnis, das den Sklaven auf den Plantagen half, ihre Rechtlosigkeit zu ertragen. Und es war die gleiche Konstellation, die zum gewaltlosen Widerstand der sechziger Jahre führte, propagiert von Pastoren wie Martin Luther King.

    Ein halbes Jahrhundert später stellen schwarze Athleten in zwei großen Ligen – der NFL und der NBA – mehr als 70 Prozent der Aktiven und inzwischen auch einen beständig wachsenden Teil der Trainer. Ihr Vormarsch im Profisport wird denn auch begleitet von mehr und mehr Bibelstunden in den Umkleidekabinen und gemeinsamen Gebeten auf dem Platz. In der NBA wird vor jeder Begegnung ein Gottesdienst für die Spieler beider Mannschaften angeboten.

    Nicht zu reden von den Parallelen, die das schwarze Publikum zwischen Gottesdienst und sportlichem Wettkampf zieht. Professor Rhett Jones von der Brown University in Rhode Island, ein Fachmann für Afrikanistik, hat das vor ein paar Jahren in einem
    Essay so erklärt: "Religion und Sport entsprechen den Ansprüchen von schwarzen Amerikanern an Ordnung, an das Verständnis für Struktur und Disziplin.”

    Die Rituale überlappen sich. So wie im Gebet der Football-Spieler der Universität Nebraska, das inzwischen auf vielen Football-Plätzen vor jedem Spiel von den Aktiven gesprochen wird.

    ""Dear Lord, the battles we go through life,
    We ask for a chance that's fair
    A chance to equal our stride,
    A chance to do or dare
    If we should win, let it be by the code,
    Faith and Honor held high...”"

    ""Lieber Gott, die Kämpfe, die wir im Leben durchmachen müssen, wir bitten dabei um eine faire Chance...”"
    Zum Panorama gehören aber auch missionarisch-evangelikale Gruppen wie die "Fellowship of Christian Athletes”, deren Mitglieder Selbstverpflichtungen abgeben. Sex vor der Ehe ist tabu. Und Homosexualität sowieso. Warum? Weil das angeblich so in der Bibel steht.

    In diesem Milieu sind noch immer Erklärungen an der Tagesordnung, wie sie der Cornerback der San Francisco 49ers vor dem letzten Super Bowl abließ. Chris Cullliver, ein junger Afro-Amerikaner, behauptete nicht nur, dass es keine Homosexuellen in dem 50köpfigen Kader gäbe. Schwule würden aus der Mannschaft gejagt.

    ""We don't have any gay guys on the team. They gotta get up outta here if they do. Can't be with that sweet stuff."

    Es gab Entrüstung über so viel Homophobie. Gleichzeitig erinnerte der Vorgang schwule NFL-Spieler daran, weshalb sie ihre wahre Identität verbergen. Sie müssen noch immer das Schlimmste fürchten: Stigmatisierung und Ausgrenzung.