Freitag, 19. April 2024

Archiv

Vor dem Brexit-Referendum
"Herzzerreißende Trauer und starke Solidarität"

Im britischen Parlament wurde heute der getöteten Labour-Abgeordneten Jo Cox gedacht. Premierminister David Cameron erinnerte an die große Leidenschaft, mit der Cox für Menschen in ihrem Wahlkreis und gegen Unrecht auf der ganzen Welt gekämpft habe. Unterdessen hat der Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum wieder an Fahrt aufgenommen - und das Leave-Lager eine prominente Unterstützerin verloren.

Von Thomas Spickhofen | 20.06.2016
    Der Union Jack vor dem Big Ben in London auf Halbmast.
    Im britischen Parlament wurde heute der getöteten Labour-Abgeordneten Jo Cox gedacht. (AFP)
    Vor dem Parlamentsgebäude in Westminster steht jetzt eine große, weiße Wand, "We will carry Jo’s love", steht oben drauf, wir werden Jos Liebe weitertragen. Darunter haben die trauernden Menschen unterschrieben, Fotos von Jo Cox aufgeklebt, Widmungen hinzugefügt, oder Blumen abgelegt und Kerzen aufgestellt. Auch an anderen Orten in Großbritannien wird weiterhin der getöteten Labour-Politikerin gedacht.
    Und auch im Parlament wurde heute getrauert. "Wir treffen uns heute hier mit herzzerreißender Trauer, aber auch in starker Solidarität", sagte John Borcow, der Parlamentspräsident.
    Freier Platz für Jo Cox
    Ein Platz auf den grünen Polsterbänken des Unterhauses war freigelassen worden, für Jo Cox. Auf diesem Platz: eine weiße und eine rote Rose. Auch die Parlamentarier trugen eine weiße Rose am Revers, Labour ebenso wie die Konservativen.
    Der furchtbare Anschlag auf Jo Cox sei ein Anschlag auf die Demokratie gewesen, sagte Labour-Parteichef Jeremy Corbyn. Ihre Heimat und ihr Land seien vereint in der Trauer und im Kampf gegen den Hass, der sie getötet habe. Es sehe so aus, als sei Cox das Opfer von politischer Gewalt geworden, fügte Corbyn hinzu.
    Cameron: Es gebe Menschen, die ohne Cox nicht am Leben wären
    Premierminister David Cameron erinnerte an die große Leidenschaft, mit der Jo Cox für die Menschen in ihrem Wahlkreis und gegen Verfolgung und Unrecht auf der ganzen Welt gekämpft habe. Es gebe Menschen auf der Welt, die heute nicht da und am Leben wären, wenn es Jo Cox nicht gegeben hätte, sagte Cameron.
    Cox war ein Jahr lang Mitglied des Unterhauses, sie wäre übermorgen, am Mittwoch, 42 Jahre alt geworden. Cox mutmaßlicher Mörder musste heute wieder vor Gericht erscheinen. Nach dem bizarren Auftritt vom Samstag, bestätigte er diesmal seinen wirklichen Namen. Nächster Termin vor Gericht ist am Donnerstag, dann soll er auch zum Fall gehört werden. Unterdessen hat der Wahlkampf um das Referendum wieder volle Fahrt aufgenommen.
    Mehrere Unternehmensführer hoben die Vorzüge der EU und des gemeinsamen Marktes hervor. Auch der Chef der Premier League sprach sich für einen Verbleib in der EU aus. Autohersteller Nissan kündigte an, bei einem Austrittsvotum der Briten rechtliche Schritte dagegen einzuleiten.
    Prominente Brexit-Befürworterin wechselte in Lager der EU-Anhänger
    Das Brexit-Lager verlor heute eine prominente Unterstützerin: Baroness Sayeeda Warsi, konservative Politikerin und ehemaliges Mitglied im Kabinett Cameron.
    "Unglückerweise sind wir, die wir für einen moderaten Brexit sind, mit der Zeit überrollt worden durch eine Botschaft, die zerstörerisch und fremdenfeindlich ist, und die tiefen Hass und Spaltung in unsere Straßen trägt."
    Zuwanderungsthema bestimmt die Debatte
    Sayeeda Warsi wechselte heute auf die Seite der EU-Anhänger. Den letzten Anstoß dazu gab ein Plakat, das der Chef der EU-feindlichen UKIP, Nigel Farage, in der vergangenen Woche präsentiert hatte. Es zeigt einen langen Treck von Flüchtlingen, offenbar auf der so genannten Balkanroute im vergangenen Jahr, und dazu die Worte: Breaking point – frei übersetzt: Das Maß ist voll.
    Das Zuwanderungsthema bestimmt auch drei Tage vor der Abstimmung die Debatte. Brexit-Befürworterin Gisela Stuart forderte Premierminister Cameron auf, sein Wahl-Versprechen einer Begrenzung auf weniger als 100.000 Zuwanderer zurückzunehmen. Der Demokratie sei am besten damit gedient, wenn Politiker nur Versprechen machten, bei denen sie auch eine Möglichkeit hätten sie einzuhalten, sagte Gisela Stuart.