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Vor dem Dieselurteil
Landesverkehrsminister Hermann für Blaue Plakette

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann hofft, dass das Bundesverwaltungsgericht Leipzig den Weg für die Einführung einer Blauen Plakette freimacht. "So wie es die grüne Umweltzone gibt, so bräuchten wir eine Blaue Umweltzone", sagte der Grünen-Politiker im Dlf.

Winfried Hermann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.02.2018
    Interview mit dem Verkehrsminister Winfried Hermann in seinem Büro im Umwelt-und Verkehrsministerium. Winfried Hermann
    "Wir haben in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen erreicht", betont der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann (imago stock&people)
    Christoph Heinemann: Ein Gespenst geht um in der Republik. Heute Abend könnte der Wert einiger Dieselfahrzeuge, aber auch anderer deutlich gesunken sein, wenn das Bundesverwaltungsgericht es ermöglichen sollte, dass Fahrverbote für besonders belastende Autos erteilt werden können.
    Am Telefon ist Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, der Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Guten Morgen.
    Winfried Hermann: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Hermann, können die Menschen am Stuttgarter Neckartor ab heute aufatmen?
    Hermann: Ich glaube, ganz so schnell geht es nicht. Aber heute wird, damit rechnen wir fest, das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, ob wir eine bundesrechtliche Regelung brauchen, um handeln zu können - das ist unsere Hoffnung in Baden-Württemberg -, oder ob wir vor Ort, also in jeder Stadt, verschiedene Maßnahmen ergreifen, eine Art Flickenteppich der Regelungen, Maßnahmen, Verbote und Beschränkungen bekommen.
    "Wir bräuchten eine Zone"
    Heinemann: Was spricht dagegen, dass Kommunen das regeln?
    Hermann: Ja, weil das ziemlich schwierig ist. Zum Beispiel in Stuttgart ist es nicht einfach möglich, einzelne Straßen zu sperren, die hoch belastet sind. Wir haben eine topographische Situation, da gibt es nicht viele Ausweichmöglichkeiten, und wenn wir eine Straße sperren, steigen die Werte in einer Parallelstraße. Wir sind der Meinung, es gibt ein Verschlechterungsverbot, das darf Verwaltung nicht.
    Wir bräuchten eine Zone. So wie es die grüne Umweltzone gibt, so bräuchten wir eine blaue Umweltzone, die gegen die hohen Stickstoffdioxid-Werte angeht. Der Bund gibt uns diese Möglichkeit nicht und deswegen sind wir vors Bundesverwaltungsgericht gegangen, weil wir sagen, das muss jetzt mal geklärt werden, denn Bundesemissionsrecht ist, wie der Name schon sagt, ein Bundesrecht und die Plakettenverordnung wird daraus abgeleitet. Wir glauben, es ist eine eindeutige Zuständigkeit beim Bund.
    Politik in der Verantwortung für saubere Luft
    Heinemann: Sie können sich - das wäre ein positiver Nebeneffekt - dann auch hinterm Bund verstecken und Ihrer Autoindustrie sagen, wir sind nicht verantwortlich. Ist das auch ein Ziel Ihrer Demarche?
    Hermann: Nein, auf gar keinen Fall. Ich bin der Meinung, dass Politik, egal auf welcher Ebene, Verantwortung hat, dass die Luft sauber ist und dass die Menschen gesund leben können. Deswegen tun wir auch übrigens seit Jahren schon sehr viel, damit die Luft besser wird, und wir haben auch Erfolge. Aber sie kommen nicht so schnell wie gedacht und wir haben vor allen Dingen Rückschläge, weil der Bundesgesetzgeber auch zugelassen hat und wenig überprüft hat, dass die Euro-5-Fahrzeuge sehr viel schlechter sind als auf dem Papier steht, und deswegen sind die Grenzwerte überschritten worden.
    Die eigentlichen Verursacher des Problems sind, muss man ganz klar sagen, die Automobilunternehmen, die sich jetzt einen schlanken Fuß machen und dann auch noch sagen, der Staat muss, wenn schon, die Nachrüstung bezahlen. Das geht gar nicht! Die müssen jetzt die Verantwortung übernehmen auch für das, was sie angerichtet haben.
    "Wir machen seit Jahren sehr viel"
    Heinemann: Herr Hermann, seit 2013 wird Stadt und Land grün regiert. Ich spreche von Stuttgart und Baden-Württemberg. Ergebnis: Die Luft ist miserabel.
    Hermann: Nein, das ist falsch. Wir haben in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen erreicht. Wir haben zum Beispiel im Bereich Feinstaub in Baden-Württemberg inzwischen überall die Grenzwerte erreicht, nur an einer einzigen Messstelle am Neckartor noch nicht, aber die Werte sind deutlich runtergegangen. Das gleiche gilt für Stickoxid, aber eben nicht vollständig. Und nochmals: Die Landesregierung von Baden-Württemberg kann und hat nicht verhindern können, dass die Autos mit Euro-5-Norm so schlecht sind. Die Bundesregierung hat nicht gehandelt. Die Bundesumweltministerin will seit Jahren eine blaue Plakette einführen und der damalige Verkehrsminister Dobrindt hat das seit Jahren verhindert.
    Heinemann: Sie versuchen, die Schuld jetzt wieder bei anderen abzuladen. Wie peinlich ist es Ihnen, dass die Deutsche Umwelthilfe im Kampf für bessere Luft das grün regierte Baden-Württemberg verklagen musste?
    Hermann: Peinlich ist mir das gar nicht, denn ich war im Bundestag und habe übrigens persönlich dafür gesorgt, dass es dieses Klagerecht gibt, als damals diese Regelung mit der Luftreinhaltung mit den Plaketten eingeführt worden ist. Insofern habe ich schon damals damit gerechnet, dass es schwierig sein kann, vor Ort etwas zu tun, und dass man da unter Umständen auch ein Klagerecht braucht.
    Dicke Luft überm Stuttgarter Kessel. Seit Tagen gilt Feinstaubalarm, doch die Werte gehen nicht zurueck. Autofahrer werden weiterhin gebeten, freiwillig auf OePNV umzusteigen. Zudem soll auf Komfortkamine verzichtet werden.
    Dicke Luft über dem Stuttgarter Kessel: Feinstaubalarm im Januar 2017 (imago / Arnulf Hettrich)
    Also peinlich ist mir das nicht, aber ärgerlich ist es schon, denn wir machen seit Jahren sehr viel. Es ist nicht so, dass wir nichts gemacht haben. Wir bauen massiv den öffentlichen Verkehr aus. Wir schaffen eine neue Nahverkehrszug-Kategorie. Wir haben Fahrtenbeschränkungen, deutliche Tempobeschränkungen in Stuttgart, zum Beispiel an den aufsteigenden Straßen. Wir haben ein Ausbauprogramm für den Fuß- und Radverkehr in Stuttgart durchgesetzt. Aber alles geht nicht so schnell, und was wirklich ärgerlich ist: Wir hatten in Stuttgart bis vor ein, zwei Jahren die Hälfte aller Fahrzeuge Dieselfahrzeuge und davon sehr viele Euro-5-Fahrzeuge. Und die Debatte über Fahrverbote hat übrigens den Effekt gehabt, dass wir im letzten Jahr einen deutlichen Modernisierungseffekt hatten. Das heißt, deswegen sind auch die Werte im letzten Jahr schon deutlich besser als im Jahr zuvor. Also wir waren nicht untätig.
    Heinemann: Herr Hermann, wenn jemand einmal im Monat mit seinem dreckigen Diesel in die Stadt fährt, dann richtet er vermutlich weniger Schaden an als Berufspendler, die täglich die Luft belasten. Das Problem heißt also Auto und nicht Diesel. Wieso gibt es im grün regierten Stuttgart zum Beispiel nicht längst attraktive, bezahlbare, gesunde Alternativen, die ganz viele Autofahrer umsteigen lassen?
    Hermann: Erstens haben wir das öffentliche Verkehrsangebot deutlich verbessert. Aber übrigens: So eine S-Bahn bauen Sie mal nicht so schnell in zwei Jahren oder so.
    Heinemann: Sie regieren schon mehrere Jahre.
    Hermann: Ja! Wir bauen ja auch die Stadtbahn aus. Das ist auch sichtbar. Wir haben die Züge verlängert. Da ist ja immer auch die Stadt verantwortlich. Übrigens ist ja das Land nicht alleine dafür zuständig. Wenn sie in Baden-Württemberg und in Ballungsräumen sind, können Sie feststellen, dass wir den Radverkehr massiv fördern. Und wir haben übrigens auch ein besonders kostengünstiges Umweltticket, ein Tagesticket während der schlechten Luft Zeit im Winter. Wir hatten vor zwei Jahren ein Kinderticket für Erwachsene eingeführt, damit es kostengünstig ist.
    Also es ist nicht so, dass wir nichts gemacht hätten, aber erstaunlich ist, dass zwar alle gesagt haben, der öffentliche Verkehr wäre zu teuer, aber wir stellen fest, es gibt noch Plätze im öffentlichen Verkehr, und wir stellen fest, dass trotz des Halbpreistickets in den damaligen beiden Wintern höchstens fünf bis knapp zehn Prozent überhaupt bereit waren umzusteigen. Da müssen sich die Menschen schon auch mal an die eigene Nase fassen, nicht nur auf die Politik zeigen.
    Systematisch Fahrradförderung betreiben
    Heinemann: Kluge Verkehrspolitik kann man in Münster studieren. Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) erklärte bei uns im Deutschlandfunk, wie er seine Stadt weiterentwickeln möchte:
    "Wir werden weiterhin intensiv unsere vorhandene Spitzenstellung beim Fahrradverkehr in Deutschland ausbauen. Wir werden 13 Velorouten ins Umland bauen, werden die Verkehrsradien, die wir haben, erhöhen. Gegenwärtig gehen wir von sieben bis acht Kilometer Radius aus im Durchschnitt. Durch die neuen Elektrofahrräder ist es möglich, auch bis 20 Kilometer weiterzudenken. Und wir wollen unseren Modal Split, heißt 40 Prozent Fahrradanteil, 32 Prozent Pkw, der Rest Nahverkehr, Busse und Bahnen, den wollen wir noch weiter erhöhen, und die Zielstellung ist, dass wir auf 50 Prozent kommen."
    Heinemann: Was können die Grünen zum Beispiel in Stuttgart von diesem CDU-Politiker lernen?
    Hermann: Dass, wenn man systematisch Fahrradförderung betreibt, dass man dann zu viel höheren Anteilen kommen kann, und das tun wir auch schon seit Jahren, aber was viele nicht wahrnehmen. Der grüne Oberbürgermeister kann zum Beispiel nicht einfach einen Fahrradweg beschließen, oder der Ministerpräsident kann nicht sagen, die Stuttgarter sollen Fahrrad fahren, sondern es bedarf einer Gemeinderatsmehrheit und im Gemeinderat von Stuttgart haben die Grünen keine Mehrheit und dort wird um jeden Parkplatz, der einem Radweg im Wege steht, gekämpft und deswegen geht es oft nicht voran.
    "Es bewegt sich was"
    Trotzdem haben wir es geschafft, dass in den letzten Jahren der miserable Wert von knapp über fünf Prozent Radverkehrsanteil etwa auf Richtung zehn Prozent gesteigert werden konnte. Also es bewegt sich was. Aber klar, es geht zu langsam und wir brauchen mehr Partner, die dabei sind, etwas zu tun. Und Sie haben recht: Man darf nicht immer auf andere zeigen, sondern jeder muss seine Verantwortung wahrnehmen.
    Heinemann: Zurück zu meiner ersten Frage. Wann können die Menschen am Stuttgarter Neckartor auf- beziehungsweise gefahrlos durchatmen?
    Hermann: Das hängt davon ab, was jetzt das Gericht entscheidet, und wenn es sozusagen nach unseren Wünschen und Plänen geht, dann hoffen wir, dass das Gericht sagt, der Bund muss endlich eine blaue Plakette einführen. Dann hätten die Länder eine Rechtsgrundlage und wir haben unsere Pläne und Modellrechnungen, und alle unsere Maßnahmen im Luftreinhalteplan sind so ausgerichtet, dass wir sagen, ab 2020 müsste die blaue Plakette realisierbar sein, also scharfgestellt werden können. Vorher können wir sie schon einführen, dann müssen wir sie scharfstellen und dann würden wir wohl auch die Grenzwerte in Stuttgart einhalten können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.