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Vor dem Raser-Urteil in Berlin
"Wir brauchen eine deutliche Abschreckung"

Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Kirsten Lühmann, hofft auf ein Gesetz gegen illegale Straßenrennen noch in dieser Legislaturperiode. Sie sagte im Deutschlandfunk, Differenzen gebe es lediglich darüber, ob die Regelungen im Strafgesetzbuch oder im Straßenverkehrsgesetz verankert werden sollen.

Kirsten Lühmann im Gespräch mit Doris Simon | 27.02.2017
    Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kirsten Lühmann
    Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kirsten Lühmann (imago / Metodi Popow )
    Inhaltlich seien sich Union und SPD einig. Lühmann forderte, sich bei dem Gesetz die Schweiz zum Vorbild zu nehmen. Dort würden klare Grenzen für Raser gezogen. "Wir brauchen eine deutliche Abschreckung, sonst wird das immer wieder passieren." Die Menschen, die sich illegale Straßenrennen lieferten, hätten ein ganz besonderes Geltungsbedürfnis. Ihnen sei schlicht egal, dass andere Menschen zu Schaden kommen.
    Die SPD-Politikerin betonte, eine zu hohe Geschwindigkeit sei immer noch die Todesursache Nummer eins auf deutschen Straßen. Deshalb befürworte sie den Einsatz von Radaranlagen. Sie seien nicht sehr beliebt, aber sehr erfolgreich.
    Heute Urteil im Berliner Raser-Prozess erwartet
    Das Landgericht Berlin verkündet heute das Urteil gegen zwei Männer, die während eines Straßenrennens einen tödlichen Unfall verursachten. Die Anklage lautet auf Mord. Dass die Staatsanwaltschaft dieses Strafmaß forderte, ist bislang einmalig. Meist geht es in solchen Fällen nur um fahrlässige Tötung mit deutlich geringeren Strafen.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Doris Simon: Am Telefon ist jetzt Kirsten Lühmann, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag. Guten Morgen!
    Kirsten Lühmann: Guten Morgen, Frau Simon!
    Simon: Frau Lühmann, wie kann man so was verhindern, Rasen, Rennen in der Stadt, bei dem Unbeteiligte zu Schaden kommen oder sogar sterben?
    Lühmann: Der Bericht eben hat es gezeigt: Menschen, die das machen, haben ein ganz besonderes Bedürfnis, ein ganz besonderes Geltungsbedürfnis. Und es ist ihnen schlicht egal, dass da andere Menschen zu Schaden kommen. Ich glaube, hier brauchen wir deutliche Abschreckung, denn sonst wird es immer wieder passieren.
    Simon: Bis jetzt ist es ja rechtlich so: Wenn die Polizei bei einem Raserrennen die Täter stellt und niemand verletzt worden ist oder stirbt, wie in diesem Fall, dann spielt es gar keine Rolle, wie gefährlich es zuging, rechtlich ist das Rasen nur eine Ordnungswidrigkeit. Ordnungswidrigkeit ist auch Fahrradfahren ohne Klingel. Illegale Rennen sind rechtlich eine übermäßige Straßenbenutzung. Strafrecht kommt erst ins Spiel, wenn Menschen verletzt werden. Ist das nicht absurd.
    Lühmann: Das ist eine sehr schwierige Situation. Wir gehen beim Strafrecht davon aus, wie hoch die Gefahr ist der Rechtsgutverletzung bei den Menschen, also wie sehr sind Unbeteiligte beeinträchtigt worden. Ich gebe Ihnen recht. Ich halte das angesichts der latenten Gefahr, die immer da ist, wenn ein Straßenrennen veranstaltet wird, für nicht sachgerecht, zu sagen, obwohl es keine konkrete Gefahr gab, ist es nur eine Ordnungswidrigkeit. Denn dass es keine konkrete Gefahr war, ist doch nur Zufall. Da war zufällig keiner auf der Straße oder keiner in der Nähe der Fahrzeuge. Und davon kann es nicht abhängen, wie hoch man bestraft wird.
    Simon: Selbst der Verteidiger eines der Berliner Angeklagten hat ja beklagt, dass Raserei in Deutschland nicht hoch genug bestraft werde. Es gibt ja jetzt einen konkreten Vorschlag, das anders zu machen. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, illegale Autorennen als Straftat ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Dann würde Haft jedem drohen bereits für die Teilnahme an einem solchen Rennen. Und wenn jemand verletzt oder getötet wird, dann könnte es bis zu zehn Jahre Haft geben. Jetzt ist es am Bundestag, etwas daraus zu machen. Wird diese Verschärfung Gesetz?
    "In dieser Legislatur die Gesetzesänderung auf den Weg bringen"
    Lühmann: Ich hoffe das sehr. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich für diesen Gesetzentwurf des Bundesrates, der von NRW eingebracht wurde, ausgesprochen. Allerdings haben wir auch einen Gesetzentwurf des Verkehrsministeriums vorliegen, das sagt, nein, wir wollen das Ganze nicht ins Strafgesetzbuch packen, sondern ins Straßenverkehrsgesetz. Das ist also jetzt eine juristische Diskussion, wo packen wir das rein. Ich hoffe aber, dass wir uns innerhalb der Koalition noch einigen werden, damit noch in dieser Legislatur diese Gesetzesänderung auf den Weg gebracht werden kann.
    Simon: Ins Straßenverkehrsgesetz packen – für einen Laien klingt das so, als wenn es um Autos geht, dann ist es nicht gravierend genug, als dass es ins Strafrecht passt?
    Lühmann: Das Verkehrsministerium schlägt allerdings die gleichen Strafen vor wie Nordrhein-Westfalen. Das heißt, substanziell haben wir hier keinen Unterschied. Das ist auch meine Hoffnung, dass wir uns einigen. Es gibt allerdings, Frau Simon, auch noch ein zweites Problem. Nämlich in beiden Gesetzentwürfen steht nur drin, wer an einem Straßenrennen teilnimmt oder es organisiert. Jetzt ist die Frage, was ist ein Straßenrennen. Wir beide werden uns wahrscheinlich sofort darauf einigen können. Die Frage ist aber, wie kann man das so definieren, dass es auch vor Gericht Bestand hat. Und da schauen wir natürlich gern in die Schweiz, die ja seit einigen Jahren schon eine Gesetzgebung haben, die das aus meiner Sicht sehr schön definiert haben. Die haben nämlich ein Straßenrennen nur als einen Punkt genommen und haben gesagt, wer also unter erheblicher Verletzung der Verkehrsregeln oder, oder, oder – das heißt, selbst wenn die Beteiligten nicht zugeben, dass es ein Rennen war, und sie sagen, sie sind einfach nur so zu schnell gefahren, fallen sie in der Schweiz unter diesen Paragrafen. Und das finde ich eine sehr sinnvolle Regelung.
    Simon: Frau Lühmann, in der Schweiz ist man ja auch dazu in diesem Verkehrssicherheitsprogramm dazu übergegangen, entscheidend zu machen, wo man wie viele Kilometer fährt. Ein Raser ist man in der Schweiz schon, wenn man mit 70 fährt, nämlich durch eine Tempo-30-Zone. Bei der Autobahn ist man erst ein Raser mit 200, bei einem Tempolimit von 120 Kilometern. Ist das auch ein Modell für Deutschland?
    "Anleihen aus der Schweiz nehmen"
    Lühmann: Das müssten wir diskutieren. Ich finde es sehr sinnvoll, klare Grenzen zu ziehen. Dann weiß jeder, woran er ist, und wir müssen nicht vor Gericht diskutieren, hätte er noch fünf Kilometer schneller fahren müssen oder nicht. Ob die genauen Grenzen der Schweiz genauso übernommen werden müssen, das müssen wir schauen. Wir haben in Deutschland ja eine Regel, wer doppelt so schnell fährt wie erlaubt, kriegt sofort ein Fahrverbot. Da könnte man sich dran orientieren und kann sagen, da müssen wir noch etwas drauflegen. Insofern ist das eine sehr gute Idee, das so klar zu definieren. Und wir sollten uns bei unseren Diskussionen Anleihen an die Schweiz durchaus nehmen.
    Simon: Sie erwähnen das Fahrverbot in Deutschland. Dafür muss man doppelt so schnell fahren wie erlaubt. In der Schweiz ist es wie gesagt so, wenn man mit 70 durch eine Tempo-30-Zone fährt, dann gibt es nicht ein Fahrverbot, sondern dann ist Haft vorgesehen.
    Lühmann: Richtig. Und von daher würde ich das gern diskutieren und würde mir auch die Erfahrungen der Schweiz anschauen. Bei uns ist es so, wenn Sie durch eine Tempo-30-Zone mit 60 fahren, sind Sie für eine gewisse Zeit Ihren Führerschein los. Und wenn man sich das anschaut, wie häufig das passiert, ist es schon sehr häufig. Tempo-30-Zonen haben wir zum Beispiel vor Schulen oder so. Und dann ist keine Schule, und es ist nachmittags, und die Leute denken sich, na ja, da fahre ich mal eben dran vorbei. Das ist nicht in Ordnung, aber wir haben es eben relativ häufig, dass die Leute dort 60 fahren. 70 ist völlig indiskutabel, da brauchen wir nicht drüber zu reden. Und insofern sollte man darüber diskutieren, was man dort macht. Ob man, wenn man 70 fährt, gleich eine Haftstrafe dort macht ohne Gefährdung irgendeines, ohne Beteiligung eines Dritten oder Vierten, denke ich, sollte man sich wirklich gern überlegen. Von daher möchte ich gern die Erfahrungen aus der Schweiz dazu hören.
    Simon: Dann schauen wir jetzt noch mal auf die Praxis. All das lässt sich ja nur feststellen, wenn man mal von den ganz schlimmen Exzessen wie eben geschildert in dem Beitrag absieht, wenn es jede Menge Radaranlagen gibt. Da gibt es aber bei uns viel weniger als in vielen anderen europäischen Ländern. Auch da können wir die Schweiz noch mal bemühen. Wie groß ist denn da die Bereitschaft aus Ihrer Kenntnis, mehr aufzubauen? Weil es ist ja nicht sehr beliebt bei Wählern.
    "Radaranlagen sind wirklich erfolgreich"
    Lühmann: Richtig. Radaranlagen oder stationäre Geschwindigkeitsmessgeräte sind absolut nicht beliebt. Aber sie sind wirklich erfolgreich. Ich kenne einen Landkreis bei mir in der Nähe, die haben die Zahl ihrer stationären Blitzgeräte verdoppelt und haben dadurch einen signifikanten Rückgang der tödlichen Verkehrsunfälle erreicht. Geschwindigkeit ist immer noch die Todesursache Nummer eins auf Deutschlands Straßen. Und ich finde, das sollte uns zu denken geben. Es ist zwar ärgerlich, wenn ich da rein fahre und bezahlen muss. Wenn ich mir aber überlege, dass diese Geräte Leben retten können, dann sollten wir vielleicht beginnen, etwas umzudenken.
    Simon: Sie bringen das Beispiel eines Landkreises. Sie wissen, dass in vielen anderen Landkreisen es anders entschieden wird. Zu dem Gesetz, das jetzt in der Beratung ist – es sind ja bald Wahlen, und dann fallen Gesetze ja oft unter den Tisch. Wird da noch etwas draus in dieser Legislaturperiode?
    Lühmann: Frau Simon, angesichts der Tatsache, dass wir wirklich über ein gravierendes Thema reden, und auch aufgrund der Tatsache, dass es heute dieses Urteil geben wird, glaube ich, dass das die Diskussionen innerhalb der Koalition noch mal beflügeln wird. Und ich hoffe stark, dass wir in dieser Legislatur da noch ein Ergebnis kriegen werden, zumal wir uns ja nur über eine Systematik unterhalten. Wir sind ja nicht uneins darüber, dass es eine Gesetzesänderung geben muss, wir sind uns nicht uneins über die Höhe der Strafe, lediglich über die Rechtssystematik. Und ich glaube, das muss möglich sein, dass wir das in den nächsten Wochen noch aufräumen.
    Simon: Wie entscheidend ist dieses Thema für die SPD?
    Lühmann: Wenn wir uns angucken, wie häufig inzwischen es zu solchen Vorfällen kommt und wie viele Menschen dabei zu Schaden kommen, ist das schon ein Thema, das wir gern noch erledigen möchten in dieser Legislatur. Ungeachtet der Tatsache, dass bei der Verkehrsunfallstatistik die Zahl der getöteten Menschen im Straßenverkehr erfreulicherweise zurückgegangen ist, müssen wir immer noch erhebliche Anstrengungen machen, um die Zahlen weiter nach unten zu bringen, denn wir sind immer noch bei 3.000 Menschen, die jedes Jahr im Straßenverkehr ihr Leben verlieren. Das ist uns entschieden zu viel. Und diese Maßnahme könnte eine sein, um diese Zahl noch weiter nach unten zu drücken.
    Simon: Sagt Kirsten Lühmann, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag. Heute verkündet das Berliner Landgericht sein Urteil im Raser-Prozess. Frau Lühmann, vielen Dank für das Interview!
    Lühmann: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.