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Vor dem Referendum
Brexit und der Finanzplatz Frankfurt

Am Donnerstag stimmen die Briten über den Verbleib in der EU ab. Die Anleger am Frankfurter Aktienmarkt setzen eher auf Großbritanniens Verbleib als auf den Brexit. Sollte es doch zu einem EU-Austritt kommen, könnte die der Finanzplatz am Main ein Nutznießer sein.

Von Brigitte Scholtes | 22.06.2016
    Bulle und Bär - die Symbole für Optimismus und Pessimismus - vor der Börse in Frankfurt am Main
    Bulle und Bär - die Symbole für Optimismus und Pessimismus - vor der Börse in Frankfurt am Main (dpa / Wolfram Steinberg)
    Es gibt kaum jemanden in der Frankfurter Finanzszene, der sich einen Brexit wünscht. Doch sollte es dazu kommen, könnte zumindest kurzfristig Frankfurt ein Nutznießer sein. Ein wesentlicher Grund dafür ist der sogenannte EU-Pass: Banken, die ihre Geschäfte im Euroraum abwickeln wollen, müssen dazu in einem EU-Land eine Lizenz besitzen. Nach einem Brexit wäre London dazu nicht mehr der richtige Ort. Alternativen wären dann Dublin Luxemburg, Paris – und eben Frankfurt als Sitz der Europäischen Zentralbank, sagt Stefan Winter, Chef des Verbandes der Auslandsbanken in Deutschland:
    "Letzteres kann sicherlich eine gewisse Magnetwirkung entfalten genauso wie eine große Anzahl von Fachkräften, gute Infrastrukturen und nicht zuletzt die stärkste Volkswirtschaft in der Union."
    "Wir reden hier über Billionen, nicht über Milliarden"
    Etwa 20.000 Jobs könnten dann am Main neu entstehen, schätzen Beobachter. Auch wenn Frankfurt auf die Londoner Banker keinen großen Reiz ausübt, so sprechen die Kosten für die Mainmetropole: Die Büromieten liegen im Vergleich zu London bei etwa einem Viertel, genügend Büro- und wohl auch Wohnraum wären vorhanden.
    Für Frankfurt spricht vor allem, dass hier eben die Europäische Zentralbank ihren Sitz hat, ebenso die Versicherungsaufsicht Eiopa und die Finanzmarktaufsicht. Die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA würde im Fall eines Brexit ebenfalls wahrscheinlich an den Main ziehen. Es gibt ein weiteres Argument für Frankfurt, erklärt Hubertus Väth, Geschäftsführer des Finanzplatz-Vereins Frankfurt Main Finance: das Clearinggeschäft. Banken müssen seit der Finanzkrise in der EU ihre Finanztransaktionen über einen sogenannten Clearing-Partner abwickeln:
    "Hier hat die EZB ganz klar signalisiert: Sie möchte das in ihrer Jurisdiktion haben. Dagegen hat Großbritannien erfolgreich geklagt, hat aus technischen Gründen vor dem Europäischen Gerichtshof Recht bekommen, das wird nach einem Brexit nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Dieses Clearing-Geschäft - und wir reden hier über Billionen, nicht mehr über Milliarden - dieses Geschäft würde mit Sicherheit überwiegend nach Frankfurt kommen, weil mit der Eurex Clear hier in Frankfurt der größte Clearer innerhalb der Eurozone ist."
    Bei einem Brexit steht nicht nur die Börsen-Fusion auf dem Spiel
    Ob Frankfurt tatsächlich den Zuschlag erhalten wird, hängt auch davon ab, ob die Fusion zwischen der Deutschen Börse und der London Stock Exchange zustande kommt. Dazu aber kommt es ebenfalls auf den Ausgang des Referendums an, glaubt Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba, der Landesbank Hessen-Thüringen:
    "Unter der Annahme, dass der Brexit käme, könnte ich mir vorstellen, dass auch die Fusion noch mal zur Disposition gestellt würde."
    Und nicht nur die Fusion stünde dann auf dem Spiel, glaubt Gertrud Traud:
    "Denn der Brexit könnte auch viele Belastungen mit sich bringen, also die EU an sich ins Wanken bringen, und dann wäre die Freude über ein paar Banker in Frankfurt mehr deutlich getrübt über das Wanken der EU."