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Vor dem Sonderparteitag
"SPD kann sich nicht nur um Minderheiten kümmern"

Es war "ein Grundfehler" der SPD, sich am Wahlabend jeder Verantwortung zu entziehen, so Forsa-Chef Manfred Güllner im Dlf. Nun müsse die Partei die Chancen, die in einer Regierungsverantwortung lägen, nutzen. Dabei müsse die SPD jedoch genau schauen, für wen sie Politik mache.

Manfred Güllner im Gespräch mit Peter Sawicki | 18.01.2018
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    9,5 Millionen hätten die SPD gewählt, so Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner - und die wollten, dass diese Stimmen in Politik umgesetzt würden (Deutschlandradio)
    Peter Sawicki: Die SPD-Spitze wirbt für die Große Koalition. Die Partei selbst rutscht in einer neuen Umfrage unter die 20-Prozent-Marke. Genau darüber haben wir vor der Sendung mit dem eben erwähnten Manfred Güllner vom Forsa-Institut gesprochen. Und die erste Frage war, wie schlimm es für die SPD eigentlich noch werden kann.
    Manfred Güllner: Na ja. Es ist ja so, dass auch die Wähler der SPD die SPD ja nicht gewählt haben, damit sie sich schmollend in die Opposition zurückzieht und da die hehren Grundsätze hochhält, aber keinen Einfluss hat.
    "Hat nicht dazu geführt, dass die SPD mehr Vertrauen bekommt"
    Sawicki: Sondern?
    Güllner: Sondern man wählt eine Partei, damit die Vorstellungen, die man damit auch wählt, und die politischen Akteure, denen man die Stimme gegeben hat, damit sie das auch in Politik umsetzen. Und das kann man eigentlich nur in der Regierung und man möchte ja doch, dass die Partei Einfluss hat, die man gewählt hat.
    Sawicki: War es direkt ein Fehler von Martin Schulz, nach der Wahl im September zunächst zu sagen, dass man nicht wieder in die Große Koalition gehen will?
    Güllner: Bei dem Wahlergebnis, was ja am Wahlabend, als Schulz das gesagt hat, in den Konturen noch nicht in absoluten Zahlen bekannt war, wusste man ja, dass es eine schwierige Regierungsbildung gibt, und dann kann man sich eigentlich nicht sofort entziehen und sich festlegen darauf, dass man damit nichts mehr zu tun haben will.
    Sawicki: War das der Grundfehler aus Ihrer Sicht, dieses kategorische Nein von Beginn an?
    Güllner: Das war sicherlich ein Grundfehler und wir haben es ja auch in den Umfragen gesehen, dass das der SPD überhaupt nicht geholfen hat. Die Verheißung, man gehe jetzt in die Opposition, weil man sich dann erneuert – ich weiß gar nicht, was das heißen soll -, das hat ja nicht dazu geführt, dass mehr zur SPD Vertrauen bekommen haben. Die SPD dümpelte immer bei dem Anteil, den sie am 24. September bekommen hat, nämlich rund 20 Prozent.
    Sawicki: Aber was hätte die Partei sonst machen sollen? Weil durch das historisch schlechte Wahlergebnis ist ja der Schluss daraus gezogen worden, dass man abgewählt worden ist, dass man keinen Regierungsauftrag mehr bekommt. Was hätte die Partei anders machen müssen?
    Güllner: Ich weiß nicht, wieso man das so interpretiert, dass man aus der Regierung abgewählt worden ist.
    "Immerhin haben 9,5 Millionen die SPD gewählt"
    Sawicki: Das ist eine Möglichkeit, das so zu sehen.
    Güllner: Die SPD hat weniger Stimmen bekommen als bei den Wahlen 2013 und auch 2009 und erst recht, wenn man an Wahlen wie 1998 denkt oder selbst 2005, als sie noch bei 34 Prozent lag und man den Schröder damals vom Acker gejagt hat wegen Niederlage. Heute würde man sich ja freuen. Nein, man kann doch nicht sagen, das ist doch eine falsche Interpretation, und es haben immerhin noch fast 9,5 Millionen die SPD gewählt, weil sie deren Vorstellungen teilen, weil sie wollen, dass diese Vorstellungen auch umgesetzt werden in Politik. Und dann gleich am Wahlabend zu sagen, wir entziehen uns jeder Verantwortung, das haben viele nicht verstanden. Wenn, hätte doch Herr Schulz am Wahlabend zurücktreten müssen und sagen, ich nehme die Verantwortung auf mich für dieses katastrophale Ergebnis. Aber das hat er ja nicht gemacht.
    Sawicki: Um das noch mal aufzugreifen: Martin Schulz hätte aus Ihrer Sicht im September zurücktreten müssen und die SPD hätte mit neuem Personal in die Regierung da schon eintreten sollen, oder zumindest Gespräche aufnehmen sollen. Verstehe ich Sie da richtig?
    Güllner: Das wäre ja doch ein Signal für einen Neuanfang gewesen. Aber mit einem Kanzlerkandidaten, der verantwortlich für den Wahlkampf war, der insofern auch verantwortlich dafür war, dass die SPD so schlecht abgeschnitten hat, kann doch keine Erneuerung der Partei, die man verheißen hat, stattfinden, und da wäre es doch von der Symbolwirkung her besser gewesen, Schulz hätte das gemacht, was sogar Helmut Kohl 1998 gemacht hat, nämlich zu sagen, ich nehme die Verantwortung auf mich und ich lege meine Ämter alle nieder.
    Sawicki: Nun ist Martin Schulz immer noch da und jetzt reden wir eventuell über die Große Koalition. In welcher Situation ist die SPD jetzt aus Ihrer Sicht?
    Güllner: Wenn sie klug wäre, würde sie die Chancen, die ja auch in einer Regierungsverantwortung liegen, nutzen, um dann in den nächsten Jahren zu zeigen, dass sie regierungsfähig ist. Das hat sie ja etwa in der ersten Großen Koalition in der Bundesrepublik zwischen 1966 und 1969 gezeigt. Das führte ja dazu, dass aufgrund des positiven Bildes, was die SPD-Minister damals hinterlassen haben, nach 20 Jahren der CDU-Herrschaft zum ersten Mal ein Machtwechsel stattfinden konnte und Willy Brandt Bundeskanzler wurde.
    "SPD muss gucken: Für wen macht sie Politik?"
    Sawicki: Gehen Sie davon aus, dass am Sonntag auf dem Sonderparteitag für ein Ja gestimmt wird?
    Güllner: Das kann ich nun schwer beurteilen, weil ich ja nicht in die Köpfe der Delegierten gucken kann. Da hätten wir sie fragen müssen. Das ist ja nicht so einfach. Da müsste man die Namen der Delegierten alle haben.
    Sawicki: Aber Sie würden dazu raten, wenn Sie mit abstimmen würden?
    Güllner: Ich würde das raten und das ist ja auch die Erwartung der SPD-Wähler. Wir haben ja noch mal gerade aktuell auch die SPD-Wähler gefragt, auch die, die uns am Wahltag gesagt haben, ich habe diese Partei gewählt, und da sagt die große Mehrheit, wir möchten, dass die SPD sich so entscheidet, und sie erwarten auch, dass es eine solche Mehrheit gibt.
    Sawicki: Ist die SPD aus Ihrer Sicht thematisch auf der Höhe der Zeit beziehungsweise spricht sie die richtigen Themen an zurzeit?
    Güllner: Wenn man noch mal guckt, was sie 2013 im Wahlkampf für Themen gehabt hat, Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote, Homo-Ehe und so weiter, dann hat die Mehrheit der Menschen gesagt, das ist richtig. Aber es war nur für eine Minderheit wichtig und deshalb hat, als sie das in Regierungshandeln umgesetzt hat, ihr das auch kein neues Vertrauen über das hinaus gegeben, was sie 2013 bei der damaligen Wahl bekommen hat. Das heißt, die SPD muss genau gucken, für wen macht sie denn Politik. Sie kann sich nicht nur um Minderheiten kümmern. Das ist zwar auch wichtig in der Politik, aber die Hauptaufgabe der SPD ist, sich um die Mehrheit, ich sage mal etwas marxistisch übertrieben, der arbeitenden Klasse zu kümmern, und die haben das Gefühl, die SPD kümmert sich nicht mehr um uns.
    Sawicki: Aber die gibt es ja in dem Sinne nicht mehr, sagen viele Soziologen, wie früher.
    Güllner: Es gibt nicht mehr den klassischen, gewerkschaftlich organisierten Industriefacharbeiter. Die Zahl ist geschrumpft. Aber Leute, die normal arbeiten, die in normalen Arbeitsverhältnissen sind – das hat ja auch eine Untersuchung des DIW für die IG BCE erwiesen -, diese normalen Arbeitsverhältnisse sind ja nicht geschrumpft. Man tut aber so, als ob es nur noch prekäre Arbeitsverhältnisse gebe, und deshalb fühlen sich dann die wie gesagt in normalen Arbeitsverhältnissen Beschäftigten nicht mehr vertreten und kehren sich ab, auch und gerade von der SPD.
    "Eine Chance, das Vakuum mit Ideen zu füllen"
    Sawicki: Was sollte die SPD aber konkret für diese Leute tun?
    Güllner: Sie sollten gucken, was die für Bedürfnisse haben, was die für Interessen haben, was die für Problemsichten haben, was sie für Ängste haben, und sich dann nicht um Randthemen vordergründig kümmern. Dass man die gleichgeschlechtliche Ehe für vollwertig erklärt, ist ja in Ordnung. Aber das als großen Erfolg zu feiern, wo es nur eine Minderheit betrifft, da schüttelt dann die Mehrheit den Kopf.
    Sawicki: Trotzdem bleibt festzuhalten: In einem Bündnis mit der Union hat die SPD in der darauffolgenden Wahl dann immer schlechter abgeschnitten als zuvor. Was für eine künftige Machtoption sollte die SPD anstreben?
    Güllner: Wenn die SPD recht hätte mit ihrem Vorwurf, Frau Merkel sei schuld an der Wahlniederlage, weil sie inhaltslos sei, keine Vision habe, auch alles an Ideen dann übernähme, ja um Gottes Willen, wenn Merkel dieses Vakuum hinterlässt, was die SPD behauptet, dann gibt es doch eine Chance, das Vakuum zu füllen mit Führungsstärke, mit Ideen, mit Vorschlägen, mit Konzepten, wie man die Gesellschaft in der Zukunft gestalten will.
    Sawicki: Wer sollte aus Ihrer Sicht dann in der Führungsetage künftig das für die SPD gestalten, wenn nicht Martin Schulz?
    Güllner: Das ist natürlich ein gewisses Dilemma, was mich erinnert an die Zeit, nachdem Helmut Schmidt gestürzt wurde. Da hat es ja auch 16 Jahre gedauert, was im Übrigen ein Beleg dafür ist, dass die SPD in der Opposition sich nicht regeneriert und nicht erneuert. 16 Jahre war sie in der Opposition und erst als sie einen Kandidaten namens Schröder aufgeboten hat 1998, wurde sie wieder wählbar, weil man ihn für halbwegs sympathisch hielt und man hoffte, dass er auch politisch kompetent ist. Solche Köpfe sind im Augenblick ja nicht groß sichtbar in der SPD. Das ist das Problem, was sich eben auch nach dem Sturz von Helmut Schmidt gezeigt hat.
    Sawicki: Manfred Güllner, der Meinungsforscher und Forsa-Chef, heute Abend bei uns im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.