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Vor den Toren von Paris
Ein Besuch auf dem Großmarkt Rungis

Neun Hallen allein fürs Gemüse, sieben für das Fleisch: Rungis ist größer als Monaco und versorgt 18 Millionen Menschen. Als Paradies hat der ehemalige Chefkoch des Weißen Hauses den Großmarkt bezeichnet. 
30.000 Menschen kommen täglich, sie liefern, sie lagern, sie verkaufen, sie kaufen die Ware, sie transportieren sie wieder ab.

Von Martina Zimmermann | 02.11.2014
    Zwei Gesundheitsinspektoren auf dem Großmarkt Rungis schauen sich in der Fischhalle um.
    Auf dem Großmarkt Rungis sind täglich bis zu 30.000 Menschen unterwegs um allerlei Produkte zu kaufen und verkaufen. (afp / Martin Bureau)
    Es ist fünf Uhr Morgens. Während die Besucher aus hygienischen Gründen weiße Kittel anziehen und Mützen aufsetzen, gibt Isabelle Valode ein paar Sicherheitshinweise: Fotografieren ist erlaubt, mit den Leuten reden auch, aber die Führerin bittet aufzupassen, damit die 13.000 Menschen nicht bei der Arbeit gestört werden:
    "Hier verkauft die ganze Welt. Wir haben Waren aus aller Welt. Unsere französische Gastronomie, aber auch Strauss, Krokodil, Känguru, alles was Sie wollen."
    Erste Station ist die Fischhalle. Isabelle führt zu einem der Stände: Fische in allen Farben und Größen, mit oder ohne Kopf, ganz oder als Filet.
    "Das ist ein Zackenbarsch", erklärt Isabelle und zeigt auf einen Fisch aus Senegal: Die Fische sind oft schon ausgenommen, erstens halten sie so besser und zweitens ist der Transport billiger, weil das Gewicht geringer ist.
    "Das da ist ein Merlan, da ist Kabeljau, Rochen, Steinbutt, Seezunge, Rotbarbe in verschiedenen Größen, da drüben haben Sie Kabeljaufilets. Der mit den roten Noppen ist ein Goldbutt und das da ist eine Rotzunge. Der Große Rote Drachenkopf ist ein Mittelmeerfisch, wie man ihn für die Bouillabaisse verwendet."
    Dorsch und Sole, Tintenfisch, verschiedene Goldbrassenarten, Jakobsmuscheln, Hummer ...
    Ware vom Feinsten
    Der 52-jährige Charly ist Fischhändler. Der Nachtschwärmer kommt nach dem Discobesuch auf den Markt. An manchen Tagen lässt er sich den Fisch liefern in seinen Laden in der Pariser Rue Oberkampf, in dem seine vielen Auszeichnungen für seine Ware ausliegen. Charly kauft nur vom Feinsten.
    "Rungis ist der schönste Hafen der Welt, aber ohne Meer. Die Fische kommen aus der ganzen Welt, sie sind frisch, es geht hier lebhaft zu. Obwohl wir es nicht leicht haben, sind alle glücklich, wir sind in Form und das Jod gibt diesem Markt Energie. Der Fischpavillon ist ein Dorf in einer großen Stadt."
    Ludovic Basuamina schüttet Eiswürfel in die Kisten. Der 42-jährige Afrikaner arbeitet seit 18 Jahren jede Nacht in der Fischhalle. Er wird von allen Prosper genannt.
    "Wir fangen um halb elf an, wir warten auf die LKWs und holen die Ware, die in den Häfen bei Versteigerungen gekauft worden ist. Dann bringen wir sie her an die Stände, ab zwei Uhr morgens bedienen wir die Kundschaft und gegen fünf Uhr packen wir alles ein, legen was übrig ist auf Eis. Und um sieben Uhr gehen wir nach Hause. Das ist Nachtarbeit, das muss man mögen. Mir gefällt das. Die Atmosphäre, die Stimmung, dass man miteinander redet und scherzt, obwohl man schwer arbeitet."
    Kein Preis wird auf diesem Markt ausgeschrieben, alles ist Verhandlungssache, erklärt Führerin Isabelle:
    "Nur beim Herumlaufen finden Sie Schnäppchen. Wer einem einzigen Großhändler treu ist, bekommt als treuer Kunde auch einen besseren Preis. Im Prinzip ist alles im Voraus geregelt; jeder Großhändler hat die Aufträge bereits in der Tasche und weiß, wie viel der Kunde kaufen will. Aber manchmal kann der Kunde nicht kommen und dann hat der Großhändler einen Vorrat, den er verkaufen muss. Da können Sie Preise verhandeln, denn er wird den Preis senken, wenn er etwas schnell loswerden will."
    1,5 Millionen Tonnen Nahrungsmittel täglich
    In Rungis gibt es alles. Vom Feinsten, aber auch vom Billigsten. Von kleinen Produzenten und von der Nahrungsmittelindustrie. Was schön ist, sei teuer, weiß Prosper aus seiner Erfahrung in der Fischhalle:
    "Schauen Sie, das hier ist gezüchteter Steinbutt. Jetzt zeige ich Ihnen den wilden, der hat nicht denselben Preis. Sie sehen nicht gleich aus und der Preis ist auch nicht derselbe. Der gezüchtete kostet nur sechs Euro das Kilo, der wilde 13."
    Dreimal weniger als der Preis, den der Endverbraucher zahlt.
    Neben der Fischhalle stehen auch neun Hallen für Obst und Gemüse, fünf große und viele kleine Hallen für Milch- und Käseprodukte, sieben für das Fleisch, noch mehr für die Blumen. 30.000 Menschen wuseln jede Nacht durch die Hallen. 24.000 Fahrzeuge fahren Nacht für Nacht durch die Mautstelle und schaffen 1,5 Millionen Tonnen Nahrungsmittel hinein- und wieder hinaus. Am Ende dieser Nahrungskette stehen 18 Millionen Konsumenten. Der Jahresumsatz von Rungis entspricht in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Georgien : über 7,7 Milliarden Euro im Jahr. Der Großmarkt ist eine richtige Stadt mit Bahnhof, Busbahnhof, Lagerhallen, Kühlhäusern, Büros, Hotels, Banken. Besucher werden im Bus durch das Gelände von 232 Hektar gefahren. Führerin Isabelle erklärt:
    "Da alle gegen den Strom eines normalen Alltags leben und in der Nacht arbeiten, gibt es hier alle Dienstleistungen, die eine Stadt braucht, damit Kunden und Händler und Arbeiter hier leben können. Sie haben ein Krankenhaus, eine Apotheke, eine Reiseagentur, Reinigung und Frisör."
    Eine Parallelwelt
    In der Obsthalle gibt es Pfirsiche, Erdbeeren, Bohnen, Ananas, exotische Papaya und Kaktusfrüchte, Ingwer, Mango, Melonen, Limonen ... Isabelle macht die Führungen seit drei Jahren, von morgens um fünf bis um neun. Für Isabelle, die im sonstigen Leben Malerin ist, ist der Großmarkt Museum und Theater zugleich:
    "Als Malerin und Künstlerin sehe ich die Farben, die Vielfalt, fühle die Aktivitäten, die Energie. Ich mag hier diese Vielfalt der Waren, die Menge, enorm und sensationell und auch die Vielfalt der Menschen, der Kunden, es sind Menschen aus aller Welt. Hier gibt es auf zehn Metern ein Produkt von Mauritius, von Guatemala, Mexiko, Neuseeland für ein einziges Produkt aus Frankreich. Da wird Ihnen schwindlig. Aber das ist magisch."
    Rungis - ein Markt? Eine Stadt? Nein, eine unverhoffte Parallelwelt. Isabelle ist stolz, ihr anzugehören.
    "Wenn man von zuhause weggeht, spricht man mit niemandem, alles ist still und dunkel und wenn man hier ankommt ist volle Aktion und viel Licht. Alle kennen sich, grüßen sich. Es ist warmherzig und solidarisch, das ist heutzutage selten. Überall sonst herrscht Konkurrenzdenken."
    Es ist inzwischen halb neun Uhr morgens: Im Restaurant essen Männer Steak und Pommes frites, trinken dazu Wein.
    "Wir sind seit zwei Uhr morgens da. Wir haben einen Kaffee getrunken, als wir ankamen. Um diese Zeit haben wir Hunger, das ist unser Mittagessen um neun Uhr."