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Vor der Bundespräsidentenwahl
"Ein Kandidat, der alle Koalitionen zulässt"

Frank-Walter Steinmeier sei ein "Betatier" - ein bescheidener und sachkundiger Politiker. So sieht der Journalist Heribert Prantl den Kandidaten für das Bundespräsidentenamt. Steinmeier sei mit Gerhard Schröder groß geworden und habe dessen Politik möglich gemacht, sagte Prantl im DLF. Dennoch sei seine Kandidatur kein Signal für eine rot-rot-grüne Bundesregierung.

Heribert Prantl im Gespräch mit Ute Meyer | 11.02.2017
    Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung".
    Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". (Imago / Sven Simon)
    Ute Meyer: Der SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier, der bis Ende Januar noch Deutschlands Außenminister war, er wird also aller Voraussicht nach morgen zum Bundespräsident gewählt. Was können wir von Steinmeier erwarten und was auch nicht? Darüber möchte ich sprechen mit dem langjährigen Politikbeobachter, dem Journalisten und Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung", Heribert Prantl. Schönen guten Tag, Herr Prantl!
    "Jemand, der so lange Außenminister war, ist ein wunderbarer Kandidat"
    Heribert Prantl: Guten Tag, Frau Meyer!
    Meyer: Ein Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ist das gut für Deutschland?
    Prantl: Ich denke, ja. Die Zeichen stehen ganz gut. Er ist jemand mit unglaublicher Kompetenz, und wenn wir ins Grundgesetz schauen, welche Aufgaben ein Bundespräsident hat: Seine Hauptaufgaben bestehen in der völkerrechtlichen Vertretung sozusagen, Deutschland zu repräsentieren. Da ist jemand, der so lange Außenminister war, eigentlich ein wunderbarer Kandidat. Wenn wir sehen, was Frank-Walter Steinmeier in den vergangenen Jahren gemacht hat, er kämpfte um das Atomabkommen mit dem Iran, er verhandelte in Minsk zur Rettung der Ukraine, er hat in Teheran und in Riad für die internationalen Syrien-Gespräche geworben. Er ist wirklich ein Außenpolitiker mit einer Erfahrung, wie sie noch keiner seiner elf Vorgänger hatte.
    Hinzu kommt natürlich etwas, was er in seiner ersten Reaktion, Sie haben es vorher eingespielt, schon gesagt hat: Er muss im Innenpolitischen im eigenen Land ein Integrator sein, einer, der die Menschen vielleicht wieder zur Politik führt, der diejenigen, die sich für ausgegrenzt halten, wieder gewinnt für diese Demokratie. Er hat sich als Mutmacher bezeichnet, und da bin ich sehr gespannt, wie ihm dies gelingt. Er gilt ja eher als ein etwas spröder Typ, was nicht stimmt, wenn man ihn näher kennt. Die ganz große Rede, die man immer von Bundespräsidenten erwartet, war bislang nicht sein Ding. Er war eher der diskrete, nachhaltige Verhandler. Da bin ich sehr gespannt, wie er zu seiner außenpolitischen Rolle, die er als Präsident haben wird, wie er sich innenpolitisch verhalten und den Integrator und den Mutmacher geben wird.
    "Er war der Verwalter von Gerhard Schröder"
    Meyer: Sie geben mir das Stichwort: Spröde, er wirkt reserviert, oft auch distanziert, sehr selbstbeherrscht. Ein Menschenfischer, wie der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck, oder auch ehemals Johannes Rau, wird Steinmeier voraussichtlich wohl nicht, oder?
    Prantl: Nein, wenn man ihn mit den Genannten vergleicht: Er ist völlig anders. Man muss sehen, aus welcher Schule kommt Frank-Walter Steinmeier? Er ist mit Gerhard Schröder groß geworden. Er war der Verwalter von Gerhard Schröder, er war der, der die Politik ermöglicht hat.
    Man teilt ja die Politiker gern ein und sagt, Politiker sind Alphatiere mit Ellenbogen, mit großem Drang nach außen, Alphatiere bersten vor Selbstbewusstsein. Steinmeier ist ein Betatier. Betatiere ruhen in sich, und das ist bei Steinmeier keine Attitüde. Er ist so. Er ist jemand, der in sich ruht, und ich glaube, er wird ein ganz besonderer Präsidententyp, jemand, der durchaus den Menschen gefallen könnte, weil er so eigen ist, weil er nicht aufdreht, weil er nicht protzt, sich nicht in den Vordergrund spielt. Weil er ein bescheidener und sachkundiger Politiker ist.
    Verwurzelt im niedersächsischen Brakelsiek
    Und wenn wir immer wieder von Politik- oder genauer gesagt von Politikerverdrossenheit reden – er ist eigentlich ein Typus, der diese Kritik nicht unterstützt. Deshalb war er ja auch als Außenminister in den Polit-Rankings ganz oben gestanden, weil er einer ist, dem man Kompetenz zumisst und der zugleich bescheiden ist. Er kommt auch aus kleinen Verhältnissen. Er kommt aus einem kleinen Kaff in Niedersachsen, das Brakelsiek heißt, im Kreis Lippe. Da ist er verwurzelt, auch in seiner Religion. Er gehört der evangelisch-reformierten Kirche an, ist da jemand, der auch aktiv ist, der dazu steht. Ein durchaus ungewöhnlicher Politiker, wenn wir in die Geschichte der Bundespräsidenten schauen. Es waren – Sie haben Gauck genannt –
    Meyer: Entschuldigung, Herr Prantl, wenn ich da gerade mal einhaken darf. Steinmeier hat dem Populismus den Kampf angesagt, und Sie sehen das durchaus positiv, dass Steinmeier da geeignet sein könnte, wenn ich das jetzt richtig verstehe. Wie aussichtsreich ist aber so ein Kampf, wenn jetzt selbst in den etablierten Parteien sich Spitzenpolitiker gegenseitig an die Köpfe werfen, man agiere postfaktisch? Ich denke da jetzt an Finanzminister Schäuble, der das dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz vorgeworfen hat.
    "Wenig sachdienlich, sich mit Vorwürfen wie "postfaktisch" zu erschlagen"
    Prantl: Ich meine wirklich, die Politiker der Parteien sollten dieses dumme Gerede lassen und sich jetzt mit dieser Art von Begriffen, "postfaktisch", das kam aus den USA zu uns, gegenseitig diskreditieren. Ich denke, sie sollten herausarbeiten, was die Stärke der Demokratie ist. Ich halte auch den Begriff "Populismus" als bösen Begriff zu verwenden, für falsch. Eine Politik, die gut erklärt wird, wie es Steinmeier vorhat, kann – eine gut erklärte Politik ist meinetwegen eine Politik mit Kopf und Herz und manchmal auch mit Bauch. So etwas soll man nicht diskreditieren. Wenn es um eine Politik geht, wie wir sie derzeit bei Frau Le Pen in Frankreich oder beim amerikanischen Präsidenten vorgeführt bekommen, das ist für mich nicht Populismus, das ist populistischer Extremismus. Wenn ein demokratischer Politiker seine Politik gut erklärt und so, dass die Menschen ihm gern zuhören, ist das meines Erachtens durchaus zu begrüßen. Und wenn Steinmeier sagt, er will einen Beitrag zur Rettung der Vernunft in der Demokratie bringen, dann gehört auch der gute Umgang der Politiker miteinander dazu. Da ist es wenig sachdienlich, wenn man sich gegenseitig mit Vorwürfen wie "postfaktisch" erschlägt. Das halte ich für schädlich.
    "Ein Kandidat, der alle Koalitionen im Herbst zulässt"
    Meyer: Zum Schluss vielleicht noch mal eine kleine Einschätzung von Ihnen, Herr Prantl: Ist der sozialdemokratische Bundespräsident Steinmeier schon ein Signal, dass eine rot-rot-grüne Bundesregierung wahrscheinlich ist?
    Prantl: Nein, überhaupt nicht. Er ist überhaupt kein Signal. SPD-Chef Gabriel hat es ja vermieden, auf einen rot-rot-grünen Kandidaten hinzuarbeiten. Eine Mehrheit für den wäre nicht sicher gewesen. Er ist wirklich ein Kandidat, und es unterstützen ihn ja sehr viele Parteien, er ist ein Kandidat, der alle Koalitionen im Herbst zulässt. Es ist keine Ankündigung einer bestimmten Koalition. CDU, CSU und andere betrachten ihn als ihren gemeinsamen Kandidaten, und das halte ich in diesen Zeiten für ein schönes und wichtiges Signal.
    Meyer: Danke schön! Heribert Prantl war das, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung".
    Prantl: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.