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Vor der Bundespräsidentenwahl
Gespaltenes Österreich

Bei der Stichwahl zum österreichischen Bundespräsidenten am Sonntag gibt es keinen klaren Favoriten. Zur Wahl werden der Grüne Alexander van der Bellen und der FPÖ-Vertreter Nobert Hofer stehen. Im Bundesland Tirol sehen viele Wähler der Entscheidung mit gemischten Gefühlen entgegen.

Von Susanne Lettenbauer | 20.05.2016
    Die Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten in Österreich, Norbert Hofer (rechts) und Alexander Van der Bellen, während des TV-Duells.
    Die Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten in Österreich, Norbert Hofer (rechts) und Alexander Van der Bellen, während des TV-Duells. (picture alliance /EPA / Lisi Niesner)
    "Ich hoffe, es läuft zugunsten des Herren van der Bellen. Das ist meine große Sorge. Die andere Variante wäre schlimm für uns."
    Für die ältere Frau auf der Hauptstraße von Zirl in Tirol ist die Antwort eindeutig: Ein FPÖ-Kandidat darf am Sonntag nicht gewinnen. Das wäre ein Desaster. Weniger für sie als Bürger, sondern wegen des Ansehens Österreichs im Ausland. Ihr Land ein autoritärer Staat? An allem sei nur Deutschland mit seiner Flüchtlingspolitik schuld, schimpft ein älterer Herr im Vorbeigehen. Viel will er dazu nicht sagen, nur das:
    "Na, da kann ich nichts sagen, die deutsche Politik geht mir irgendwie … ich habe keine Zeit, bitte. "
    Tourismus und der Ruf Österreichs
    Es gehe weniger um die Flüchtlingssituation, ergänzt eine jüngere Frau. Alle Reformen der schwarz-roten Regierung in Wien, ob Bildungs- oder Steuerreform gingen zulasten der Bürger. Neue Politiker wären wichtig. Aber Tirol lebt vom Tourismus, ein schlechter Ruf durch einen rechten Bundespräsidenten käme bei der derzeitigen prekären Wirtschaftslage auch Tirol sehr ungelegen, Wen sie wählt?
    "Auf jeden Fall van der Bellen, aber nicht weil ich ganz hinter ihm stehe, sondern weil es das kleinere Übel ist."
    Eigentlich würde sie konservativ wählen, erzählt die 34-Jährige, doch seit der ÖVP-Kandidat Andreas Khol eine herbe Niederlage einstecken musste, fällt die Entscheidung schwer. Im April stimmten auch in Tirol die meisten Wähler für den rechten FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Man habe sich schon fast mit einem Bundespräsidenten Hofer abgefunden:
    "Es wird möglicherweise ein wenig Wirbel geben am Anfang, aber letztendlich muss es ja in irgendeiner Bahn bleiben, weil - nur austoben kann er sich ja auch nicht."
    "Die österreichische Bundesregierung mit Schwarz-Rot hat nicht immer sehr glücklich agiert in letzter Zeit", versucht Tirols ÖVP-Chef Martin Malaun die Ursache für das "Wahl-Desaster" diplomatisch zu umschreiben.
    Keine Umfragen und Hochrechnungen mehr bis Sonntag
    Malaun sieht dem kommenden Sonntag mit gemischten Gefühlen entgegen, wie fast alle Wähler. Umfragen oder Hochrechnungen werden nicht mehr veröffentlicht, wie sonst üblich. Er gebe – wie die Bundes-ÖVP – überhaupt keine Wahlempfehlung ab. Träte er für den Grünen-Kandidaten ein, würden vielleicht noch mehr Menschen den FPÖ-Kandidatenen wählen, aus Trotz:
    "Vielleicht wird die Suppe ja nicht so heiß gegessen wie sie gekocht wird. Aber der Norbert Hofer hat ja angekündigt, er kann sich durchaus vorstellen ein Regierungsmitglied zu entlassen oder eine Regierung zu entlassen. Das würde mir persönlich ein bisschen Angst machen, wenn der Bundespräsident so weit geht und nicht die bisherigen Gepflogenheiten weiterführen würde."
    Damit ist er in der Tiroler Schwarz-grünen Koalition nicht allein. Im Landtag von Innsbruck gibt sich Ingrid Felipe in den letzten Tagen vor der Stichwahl unbeeindruckt kämpferisch. Ihre Partei hat im Gegensatz zur ÖVP noch einen Kandidaten im Rennen. In den Tagen bis Sonntag mobilisiert die 37-jährige stellvertretende Landeshauptfrau noch einmal alle Kräfte für den Wahltiroler und Parteikollegen van der Bellen. Gerade jetzt seien die Tiroler erstaunlich patriotisch, meint sie:
    "Es sind eben beeindruckend viele Menschen unterwegs mit Hausbesuchen, die plakatieren bis ins hintere Zillertal hinein, es wird an Stammtischen diskutiert, es werden natürlich die sozialen Medien genutzt und es sind so viele Menschen wie noch nie unterwegs. Und das wird gut ausgehen."
    Betont sie nicht nur einmal. Dabei hat sie als warnendes Beispiel die kleine Gemeinde Gerlosberg im Zillertal vor Augen. Dort wählten fast 58,7 Prozent der Bevölkerung den FPÖ-Kandidaten, der Bürgermeister zeigte sich hinterher betroffen. Im Kaunertal hingegen wählten 60 Prozent van der Bellen, der dort als estnisches Flüchtlingskind aufwuchs. Alles sei möglich in Tirol, weiß sie. Sie werde auch mit einem Sieg des Rechtskandidaten Hofer umgehen können:
    "Nichtsdestotrotz gibt es kein Exil oder aufgeben, sondern umso mehr gilt es, die Bewegung – dann wäre es ein Widerstand gegen eine autoritäre Republik - einzusammeln und zu schauen, wie man das Land wieder öffnen kann," sagt sie und geht zum nächsten Fernsehinterview.
    Untentschlossene Wähler
    Vor einem großen Supermarkt in der Ortschaft Rum östlich von Innsbruck steht Bernhard Kirchebner und verteilt mit zwei Mitstreitern noch immer Wahlaufrufe für Alexander van der Bellen. Der Gemeinderat der rot-blauen Kommune hofft, die Menschen noch überzeugen zu können. 37,8 Prozent wählten hier den FPÖ-Kandidaten, 22,6 den grünen Herausforderer:
    "Es gibt doch noch etliche unentschlossene Wähler, und zwar diejenigen, die sich überlegen, ob sie überhaupt noch wählen gehen. Vor allem die Griss-Wähler sind noch unentschlossen, ob sie den Wahlsonntag nutzen sollen."
    Viele Menschen nehmen interessiert die Wahlflyer, einige lehnen ab, ausfällig wird keiner, etliche haben bereits per Briefwahl gewählt. Plötzlich würden die Volksparteien enger an die Grünen heranrücken in den Kommunen, hat er beobachtet. Ein Schulterschluss, um ja einen rechten Bundespräsidenten zu verhindern.
    In der kleinen Gemeinde Lans, Richtung Brenner, geht es am Abend hoch her. Bürgermeister Benedikt Erhard diskutiert im Gemeindehaus mit aufgebrachten Bürgern über Flüchtlingsunterkünfte. Die Antiflüchtlingshaltung der FPÖ helfe ihm in der Situation überhaupt nicht, sagt er deutlich. Erhardt macht keinen Hehl daraus, dass als überzeugter ÖVPler den grünen-Kandidaten van der Bellen unterstützt. Anders als der Tiroler ÖVP-Landeschef Mallaun. Und das aus einem trivialen Grund:
    "Dass hat jetzt nicht unmittelbar damit zu tun, dass Österreich an den Grünen gesunden würde oder so. Van der Bellen ist halt der, der den Ball der Emotionen eher flach zu halten versucht und eher Ängste abzubauen als zu befördern versucht. Deswegen ist er derjenige, den ich jetzt auch wählen werde und von dem ich hoffe, dass er es wird. Da geht es um das Ende von irgendwelchen Ersatzkriegen und Fronterlebnissen. Wir brauchen keine Fronterlebnisse."