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Vor der Fußball-EM in Frankreich
Zwischen Euphorie und Terrorangst

Nach den Attentaten des vergangenen Jahres reagiert Frankreich zur EM mit einem massiven Sicherheitsaufgebot: 72.000 Polizisten, verteilt im ganzen Staatsgebiet, zusätzlich 10.000 Kräfte seitens der UEFA. Die Angst soll die Spiele nicht beherrschen, heißt es. Doch sie ist da. Befürchtet wird unter anderem eine neue Form von Angriffen.

Von Jonas Reese und Ursula Welter | 09.06.2016
    Der offizielle Ball des Sportartikelherstellers Adidas für die EM 2016
    Trotz Terrorwarnungen sind fast alle Spiele ausverkauft. (picture alliance / dpa)
    Werbung für die Fußball-Europameisterschaft. Die Rechteinhaber der Fernsehsender machen dem Publikum das Ereignis schmackhaft.
    Die Fußballleidenschaft im Gastgeberland ist jedoch getrübt:
    Die soziale und politische Lage ist angespannt. Die Gewerkschaften sitzen mit Drohgebärden an den Streikhebeln und wissen um ihre Macht - jetzt, da die Welt nach Frankreich schaut. Die Aufstellung der französischen Nationalmannschaft löste statt einer sportlichen eine politische Debatte aus. Und damit nicht genug: Die Angst vor neuerlichen Anschlägen ist allgegenwärtig.
    Die TV-Sender übertragen Notfallübungen, die im Vorfeld der Fußball-EM in ganz Frankreich abgehalten wurden. Im Stade de France, im Pariser Vorort Saint Denis, üben mehr als 500 Menschen den Ernstfall. In Bordeaux sind 600 Einsatzkräfte beteiligt. Feuerwehrleute, Gendarmen, Polizisten, Soldaten, Sprengstoffspezialisten, Ärzte. Alle Eventualitäten werden durchgespielt. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve ist bei den Ernstfallübungen dabei.
    "Ich wünsche, dass sich die Sicherheitskräfte und Sondereinheiten im ganzen Staatsgebiet so aufteilen, dass sie im Ernstfall sofort handlungsfähig sind."
    Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve
    Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve (dpa / OLIVIER HOSLET)
    72.000 französische Polizisten und Gendarmen werden im Einsatz sein. Einige hundert ausländische Polizeikräfte sind außerdem nach Frankreich gereist, um die französischen Patrouillen zu unterstützen. Die UEFA hat zusätzlich 10.000 Sicherheitskräfte engagiert. Das alles addiert sich zu den zigtausend Soldaten, die seit den Attentaten des vergangenen Jahres das Land im Ausnahmezustand bereits zu schützen versuchen.
    Frankreich macht keine Illusionen
    Die Bedrohung ist da. Kein Verantwortlicher in der französischen Regierung macht einen Hehl daraus. Frankreich macht sich nach den Attentaten des vergangenen Jahres keine Illusionen. Und als der meist sehr schweigsame Chef des französischen Geheimdienstes, DSGI, als Patrick Calvar Mitte Mai dem Verteidigungsausschuss des französischen Parlaments Rede und Antwort stand, berichteten die französischen Medien in aller Nüchternheit, was Calvar zu Protokoll gegeben hatte:
    "Während die November-Attentate durch Selbstmordattentäter und bewaffnete Angreifer verübt wurden, die sich eine möglichst hohe Opferzahl zum Ziel gesetzt hatten, besteht jetzt die Gefahr, dass wir mit einer neuen Form von Angriffen konfrontiert sein werden: Einer Serie terroristischer Sprengstoffanschläge in großen Menschenmengen, um ein Klima der Panik zu erzeugen. Frankreich ist heute, ohne Zweifel, das am stärksten bedrohte Land."
    Zeitgleich zu den Äußerungen des französischen Geheimdienstchefs zitieren die Medien in Frankreich Reisewarnungen des britischen und des US-amerikanischen Außenministeriums. Die Stadien der Europameisterschaft, die Fan-Zonen und alle Orte in Frankreich und in Europa, an denen Spiele übertragen würden, seien denkbare Ziele für Terroristen. Auch hier wieder der Hinweis: "Vorsicht vor Orten, an denen sich viele Menschen versammeln".
    In einem Fernsehinterview wird Frankreichs Premierminister, Manuel Valls gefragt, ob die Fan-Zonen, die die UEFA gewünscht habe, sinnvoll seien? Und ob nicht vor allem die "Champs de Mars" am Fuße des Eiffelturms in Paris symbolträchtiges Ziel für Terrorattacken sein könnten?
    "Es werden während der Euro sieben bis acht Millionen Menschen allein in den Fan-Zonen erwartet. Der Innenminister hat mit den Bürgermeistern der betroffenen Städte beraten und stellt sicher, dass diese Orte genauso geschützt werden wie die Stadien, das heißt: Es werden abgetrennte Bereiche sein mit Leibesvisitation und Taschenkontrollen. Und zugleich kann das Fest stattfinden."
    Die Angst soll die Spiele nicht beherrschen. Die beste Antwort, die den Terroristen gegeben werden könne, sei zu leben, sich zu freuen, Kunst, Kultur, Sport zu genießen, sagt Frankreichs Regierungschef:
    "Und ich wünsche mir, dass alle Touristen, die sei den November-Attentaten nicht mehr gekommen sind, dass sie aus diesem Anlass wieder herkommen, um zu feiern, um schöne Augenblicke zu erleben, um auf den großen Bildschirmen die großen Momente mitzuerleben."
    Auf die großen Momente des Sports fällt indes noch ein anderer Schatten. Hausgemacht diesmal. Stürmer Karim Benzema hatte die französische Fußballwelt mit einem Interview aus der Ferne aufgemischt. Die Justiz ermittelt gegen ihn im Zusammenhang mit Erpressungsversuchen gegen den Mittelfeldspieler Mathieu Valbuena. Aber davon handelt Benzemas Interview in einer spanischen Zeitung nicht. Es handelt von Rassismus. Seine algerischen, seine arabischen Wurzeln, nicht das laufende Verfahren gegen ihn, hätten verhindert, dass er Teil des aktuellen französischen Kaders sei, erklärte der Stürmer von Real Madrid und schleuderte von Spanien aus dem französischen Fußballverband mit Nationalcoach Didier Deschamps entgegen:
    "Deschamps hat sich dem rassistischen Teil Frankreichs gebeugt".
    Die Empörung, angesichts dieses Vorwurfs, war groß. Benzemas Rassismusvorwurf sei unerträglich, sagten zahlreiche Politiker und der Staatssekretär für Sportfragen, Thierry Braillard, unterstrich in einem Fernsehinterview:
    "Diese Äußerungen sind total unbegründet. Ob es der Fußballverband mit seinem Präsidenten ist, ob es der Nationaltrainer ist, der das Team auswählt, zeigen, dass sie auf der Basis von Technik und Kompetenz entscheiden. Es gibt absolut keinen Rassismus in diesem Verband."
    Dennoch: Das Gastgeberland der EM führt mit dem Benzema-Interview einmal mehr eine Debatte über Hautfarbe, Herkunft und Lebensläufe der Nationalspieler – wie schon in den 90er-Jahren, als der rechtsextreme Front National den Spielern der Equipe Tricolore mit Einwanderungshintergrund das Recht absprach, Frankreich zu repräsentieren. Ein Recht, das die aktuelle Chefin des Front National, Marine Le Pen, auch Benzema abgesprochen hatte, als vor einem Jahr das Justizverfahren gegen ihn begann. Benzema habe in der französischen Nationalmannschaft nichts verloren, er singe die Marseillaise nicht und verweigere jede Form von Patriotismus, hatte Marine le Pen gesagt. Nicht zuletzt deshalb vermutet Benzema heute eine politisch motivierte Zusammensetzung des französischen Teams für die Fußball-EM.
    Erstmals findet die Europameisterschaft mit 24 Mannschaften statt
    Terrorismusgefahr, Rassismusdebatte und Massenstreiks. Dazu noch Hochwasser in vielen Teilen des Landes und in der Hauptstadt Paris. Die Europameisterschaft scheint unter keinem guten Stern zu stehen. Das gilt auch aus sportlicher Sicht. Ausgerechnet das Gesicht dieses Turniers fehlt. Michel Platini, die Lichtgestalt des französischen Fußballs, muss die Spiele wohl von zu Hause aus verfolgen. Als Präsident des europäischen Fußball-Verbandes UEFA wurde er gesperrt. Er darf in offizieller Funktion kein Stadion betreten. Dabei gilt Platini, den sie in seiner Heimat liebevoll Platoche nennen, als derjenige, der den Mega-Event erst nach Frankreich gelotst hat.
    28. Mai 2010: Michel Platini verkündete - betont zurückhaltend - den Triumph seines Landes. Mit nur einer Stimme Vorsprung gewann Frankreich gegen Mitbewerber Türkei und erhielt den Zuschlag als Ausrichter des Turniers. Kurz darauf betonte er, wie wichtig die Anwesenheit des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy bei der endgültigen Vergabe der Europameisterschaft war. Platini hatte im Hintergrund die Strippen gezogen und viele Jahre an diesem Projekt gearbeitet.
    Seine Mission begann 2007. Vor allem aufgrund der Unterstützung der kleineren Verbände wird er zum UEFA-Präsidenten gewählt. Geködert hat er deren Stimmen zuvor durch seine Ankündigung, die Europameisterschaft erstmals von 16 auf 24 Teilnehmer aufzustocken. Nach seiner Wahl setzt Platini sein Wahlversprechen um. Erstmals findet die Europameisterschaft mit 24 Mannschaften statt – so viele wie noch nie bei einer EM. Bei 55 Mitgliedsverbänden in der UEFA bedeutet das: Fast jedes zweite Land darf bei der Endrunde mitmachen.
    "Das ist ein großer Fortschritt für den europäischen Fußball. Weitere acht Mannschaften bedeuten: Höhere Werbeeinnahmen, mehr TV-Gelder und mehr Zuschauer. Und für alle Teilnehmer bedeutet das außerdem die Möglichkeit, den Fußball in ihrem Land weiterzuentwickeln."
    So schwärmte Platini noch vor einem Jahr von seiner Idee. Das Turnier in Frankreich sollte der vorläufige Höhepunkt seiner Amtszeit sein. Frankreichs Fußball-Idol wollte sich - nach seiner Zeit als Spieler und als Trainer - in seiner Heimat auch als Funktionär unsterblich machen. Es kam anders. Platini wird den Siegerpokal nach dem Finale im Stade de France nicht übergeben dürfen. Er wird beim Endspiel am 10. Juli noch nicht mal im Stadion sitzen.
    Das Stade de France bei Paris
    Das Stade de France bei Paris (AFP/Franck Fife)
    Der Grund für seine Sperre ist eine dubiose Zwei-Millionen-Franken-Zahlung an ihn im Jahr 2011 - vom ehemaligen FIFA-Boss Sepp Blatter. Laut Platini ein verspätetes Gehalt für seine Dienste um die Jahrtausendwende. Belege dafür allerdings fehlen. Es ist der erste Bruch in Platinis Vita. Durch die Sperre ist auch der nächste Karriereschritt verbaut: Eine Kandidatur als Chef des Weltverbandes FIFA im Mai 2019 ist nun unmöglich.
    "Ich nehme die Entscheidung des CAS zur Kenntnis, halte sie aber für eine gravierende Ungerechtigkeit. Wie mit den nationalen Verbänden der UEFA vereinbart, trete ich vom Amt des UEFA-Präsidenten zurück."
    Das teilt Platini nach der Sperre durch den Internationalen Sportgerichtshof Anfang Mai in einer persönlichen Erklärung mit. Wenig später folgt dann der Rücktritt vom Rücktritt. Platini will erst auf dem nächsten UEFA-Kongress im September seine Ämter an einen Nachfolger übergeben. Offensichtlich aus Trotz. Der europäische Verband ist bis dahin quasi führungslos.
    Mit dem Urteil reiht sich Platini in eine lange Liste hoher Fußball-Funktionäre ein, die im vergangenen Jahr über diverse Korruptionsfälle gestolpert sind: Sepp Blatter, Jack Warner, Chuck Blazer ... . Schuldbewusstsein fast immer Fehlanzeige. Mehrere Dutzend Verbandschefs und hohe Funktionäre sitzen weltweit in Untersuchungshaft oder auf der Anklagebank. US-amerikanische, Schweizer und deutsche Behörden ermitteln. Fast im Wochentakt finden Razzien in Verbandszentralen statt. Und so langsam tritt das Ausmaß des Skandals zu Tage: Laut internen FIFA-Ermittlungen sollen sich der gestürzte Präsident Blatter und seine zwei engsten Mitarbeiter allein zwischen 2010 und 2015 um mehr als 71 Millionen Euro bereichert haben. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Grindel:
    "Ich bin entsetzt über die Summen, die dort genannt werden. Die für jeden Fußballfan unvorstellbar sind. Und ich bin entsetzt über das völlige Versagen der Kontrollmechanismen bei der FIFA, ohne die dieser Skandal ja nicht vorstellbar wäre. Ich erwarte von der Administration der FIFA, dass sie alles unternimmt, auch Gelder zurückzuholen, denn sie gehören dem Fußball und nicht diesen drei Funktionären."
    Es sei alles sauber und fair gewesen, ließ der Ex-Präsident nach den Enthüllungen nur lapidar wissen. Eine Äußerung, die tief blicken lässt. Aber ob es allein ein System Blatter war, wird immer zweifelhafter.
    "Das ist hier ist eine neue FIFA. Das ist eine FIFA, die sich geändert hat, eine die Reformen umgesetzt hat, die transparent, offen und ehrlich ist. Eine Organisation, die ausschließlich im Interesse des Fußballs handelt."
    Gianni Infantino blickt vom Podium des FIFA-Kongresses in die Runde der Delegierten und hebt zum Dank für seine Wahl die Arme.
    Gianni Infantino nach seiner Wahl zum neuen FIFA-Präsidenten in Zürich. (dpa / ENNIO LEANZA)
    Mit diesen Worten empfing der Anfang des Jahres gewählte neue FIFA-Präsident die Fußballwelt auf einem Kongress in Mexiko Mitte Mai. Der Schweizer Gianni Infantino ist der Nachfolger des Schweizers Blatter. Mit ihm sollte alles anders werden. Und doch gerät schon gleich dieser erste große Auftritt zum Eklat. Als erste Amtshandlung lässt Infantino von den Delegierten die größten Reformen, die noch unter Blatter eingeführt wurden, wieder rückgängig machen: Der neu geschaffene Aufsichtsrat soll ein Jahr lang die Mitglieder der Kontrollgremien selbst bestimmen und abberufen können. Das wäre, als wenn ein Unternehmen sich selbst die Steuerprüfer aussuchen und bei Nicht-Gefallen wieder absetzen dürfte. Ein schwerwiegender Eingriff, sagt der Schweizer Strafrechts-Professor Mark Pieth.
    "Das heißt, man hat eigentlich die Unabhängigkeit und die Gewaltenteilung abgeschafft. Und es hat niemand gemerkt."
    Zunächst jedenfalls. Kurz darauf nahm der entmachtete Chefkontrolleur Domenico Scala entsetzt seinen Hut. Seine Reformbemühungen sah er ad absurdum geführt. Wenig später gelangten Tonaufnahmen aus den erwähnten Council-Sitzungen in Mexiko-Stadt an die Öffentlichkeit, die Infantino nun endgültig entlarvten. Demnach wollte er Kontrolleur Scala gezielt aus dem Amt treiben. Der Grund: Scala wollte dem neuen FIFA-Chef ein Jahresgehalt von zwei Millionen Franken gewähren. Laut der Tonmitschnitte nannte Infantino das lächerlich niedrig. Dabei hatte er kurz nach seiner Wahl Anfang des Jahres noch ganz anders geklungen.
    Das Geld der FIFA gehört Euch. Es gehört nicht dem FIFA-Präsidenten, sagte Infantino unter dem Applaus der Delegierten. Mit ihm sollte endlich Schluss sein mit den windigen Geschäften und der Heimlichtuerei. Doch seine 100-Tage-Bilanz sieht ganz anders aus. Neben der Entmachtung der Kontrollgremien, hat er quasi im Alleingang auch das wichtigste Amt der FIFA neu besetzt: Zur Generalsekretärin hat er die unbekannte Senegalesin Fatma Samoura ernannt. Kritiker behaupten, er wolle neben sich eine möglichst schwache Person. Darüber hinaus verdichten sich die Hinweise, dass gegen Infantino schon eine offizielle Voruntersuchung der FIFA-Ethikkammer eröffnet worden sei. Denn diverse Spesenabrechnungen und ein geplanter Hauskauf sollen fraglich sein. Und auch durch die Panama Papers geriet der FIFA-Präsident in negative Schlagzeilen. Noch zu seinen Zeiten beim europäischen Fußball-Verband, soll er diverse TV-Rechte über Briefkastenfirmen verkauft haben, die weit unter Marktwert lagen.
    "Leider, muss ich sagen, war das ein Fehlstart", sagt deshalb Mark Pieth zu Infantinos 100-Tage-Bilanz. Pieth war einst der Urheber der Reformen im Fußball-Weltverband, die Infantino nun aushebelt. Die neue FIFA falle zurück in sehr alte Zeiten.
    "Wir haben jetzt eine Situation, die zurückgeht ins Mittelalter, zurzeit von Sepp Blatter. Also eigentlich ohne Spesen nichts gewesen. Reformen sind nur noch leere Worte im Moment. Die Problematik ist, dass man den zentralen Teil der Reformen torpediert hat, und zwar, weil man nicht genug Geld kriegt."
    So ähnlich sieht das auch der Deutsche Fußballverband. Dessen Präsident Grindel hatte sich vom Neuen wohl auch mehr erhofft.
    "Bezogen auf das Gehalt des neuen FIFA-Präsidenten rate ich zum Maßhalten. Maßlosigkeit darf nicht mehr vorkommen."
    Dabei haben Grindel und sein deutscher Verband ebenfalls zahlreiche Probleme. Die Affäre um die WM-Vergabe 2006 nach Deutschland ist noch nicht ausgestanden. Weiterhin ist nicht abschließend geklärt, wofür und an wen das WM-Organisationskomitee einen strittigen Betrag von 6,7 Millionen Euro überwiesen hat. Endgültig Klarheit wird wohl die Staatsanwaltschaft bringen müssen.
    Die Europameisterschaft in Frankreich findet also in äußerst paradoxen Zeiten statt. Einerseits steckt der Fußball in seiner bislang größten Legitimationskrise. Andererseits ist er so beliebt wie nie zuvor: Werbeeinnahmen und TV-Gelder sprudeln. Die Zuschauerzahlen steigen und steigen. Die Fans stört das skrupellose Treiben der Funktionäre offenbar nicht. Und trotz Terrorwarnungen sind fast alle Spiele ausverkauft. Der Fußball sei zu stark, um ihn kaputt zu machen, meint deshalb Albrecht Sonntag von der Universität Angers in Frankreich. Sonntag hat drei Jahre lang in einem europaweiten Projekt die Wirkung des Fußballs untersucht. Die Ergebnisse dürften jeden Europafreund freuen:
    "Der Fußball wird angesiedelt, als eines der wenigen verbindenden Elemente in Europa, auf demselben Niveau wie Kunst beispielsweise und weit vor anderen wichtigen Werten wie Demokratie beispielsweise und natürlich noch weiter vor den europäischen Institutionen, denen diese Einigungskraft eigentlich abgesprochen wird. Und da sind wir schon zu dem Schluss gekommen, dass der Fußball doch einen beachtlichen Einfluss hat auf die Europäisierung unserer Lebens- und Erfahrungswelten."
    Und so beginnt die Europameisterschaft in Frankreich dann womöglich doch zu einem sehr guten Zeitpunkt. In Zeiten großer Europa-Skepsis und kurz vor dem Europa-Referendum in Großbritannien, kann vielleicht der Fußball die Länder des Kontinents wieder etwas näher zusammenbringen. Zumindest aber kann er von den großen Problemen ablenken.