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Vor Familiensynode
Kardinal Marx kommt aus der Deckung

Reformorientierte Katholiken fragen zunehmend: Bekommt der liberale Flügel der katholischen Kirche vor der Familiensynode in Rom kalte Füße? Wann kommt Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und Berater von Papst Franziskus, aus der Deckung? Jetzt hat er es getan. Erst in einem großen "Spiegel"-Interview – und dann vor der Bundespressekonferenz. Es ging unter anderem um eine Kirchenreform, aber auch um Flüchtlinge.

Von Christiane Habermalz | 09.09.2015
    Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, blickt am 25.02.2015 in Hildesheim (Niedersachsen) in die Kamera.
    Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx (Holger Hollemann/dpa)
    Noch einen Monat ist es bis zur Synode im Herbst. Dann ruft Papst Franziskus knapp 200 Bischöfe aus der ganzen Welt nach Rom, um die künftige Haltung der katholischen Kirche zu Familie und Ehe zu debattieren. Doch während das konservative Lager um den amerikanischen Kardinal Raymond Burke und den Leiter der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller in fester Ablehnung geschlossen steht, war es ausgerechnet in den letzten Monaten um die liberalen Katholiken still geworden. Endlich dürfen Katholiken über Sex reden, und dann wissen sie nicht, was sie einander sagen sollen, schrieb Christiane Florin kürzlich spöttisch in der "Zeit". Den Reformern, allen voran der Deutschen Bischofskonferenz, gehe der Kampfgeist ab, so der Vorwurf. Wer sich jetzt kämpferische Töne von Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, erwartet hat, der wurde enttäuscht.
    "Also in den Fragen, die so existenziell die Kultur und die Lebensweise der Menschen betreffen wie Familie, Ehe, Sexualität eine gemeinsame Sprache zu finden, eine gemeinsame Überzeugung über den ganzen Globus hin zu sagen – das ist nicht so einfach!", versuchte Marx die Erwartungen an die Synode herunterzuschrauben.
    "Ich denke, auch diese Synode wird mit diesen Themen keinen Abschluss machen. Ist ja auch gar nicht möglich, sondern hoffentlich zu einer Einmütigkeit finden, dass wir dem Papst einen Vorschlag machen können. Ist ja nur ein Beratungsorgan, allerdings ein qualifiziertes Beratungsorgan, das ist klar."
    Am Wochenende hatte Marx im "Spiegel" noch mutigere Sätze gesagt. "Die katholische Kirche sei weder Museum noch Weltkulturerbe, sie muss sich wandeln", heißt es da. Und: Er sei froh, dass der Papst den Impuls gegeben habe zur Unruhe und zum Reden. Doch die Kirchenaustritte der letzten Jahre in Deutschland machen deutlich, dass sich die Basis in Sachen Lebenswirklichkeit vom Vatikan schon lange mehr erwartet als Reden.
    Vor ein paar Tagen wandte sich die Laienbewegung "Wir sind Kirche" in einem offenen Brief ungeduldig an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Es würden "zu Recht Ergebnisse erwartet", schrieben sie: "Zumindest für Geschiedene Wiederverheiratete sollte eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden". Auch müsse die Kirche in Sachen "Homosexualität, Geburtenkontrolle und vorehelicher Sexualität" endlich ihre immer noch bestehenden Vorbehalte relativieren und aufheben. Marx hielt dagegen: Was sich die meisten Menschen immer noch wünschten, sei die Liebe zwischen Mann und Frau, die für immer hält, und Kinder. Geschiedenen müssten zwar von der Kirche Hilfe erfahren – doch eher im seelsorgerischen Sinne.
    "Ich glaube nicht, dass ein Ergebnis sein könnte, es gibt eine gültige zweite sakramentale Ehe. Das wird katholisch nicht möglich sein. Da sind die Erwartungen nicht richtig, sie können gar nicht erfüllt werden. Es geht eben eher darum, wie kann auch eine zweite Ehe so gelebt werden, dass das Wort des Papstes gelebt wird: Ihr gehört ganz zu uns, trotz eures Scheiterns. Ihr seid nicht abgedrängt in einen Dritte-Klasse-Wagen."
    Marx fordert: Flüchtlingselend beenden
    Ganz anders beim Thema Flüchtlinge: Hier fand der Kardinal klare Worte. "Whatever it takes, was auch immer nötig ist", müsse unternommen werden, um das Flüchtlingselend an Europas Grenzen zu beenden. Scharf kritisierte er, dass viele europäische Länder jetzt in ihre nationalen Eigeninteressen zurückfallen würden. Europa, sagte er, sei an einem Scheideweg, an dem es sich auf seine Werte besinnen müsse. Abschottung oder geregelte Einwanderung und Hilfe für die, die in Not sind?
    "Zu meinen, wir könnten auf einer Insel des Wohlstands in Europa bleiben und unsere Grenzen möglicherweise sichern vor 'den anderen' – das wird nicht gelingen. Das ist auch irrational auf Dauer. Deswegen kann nur dann ein wirklich guter Weg in die Zukunft gegangen werden, wenn wir auch die Interessen der anderen, insbesondere der Armen, langfristig nachhaltig im Blick behalten."