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Vor Ukraine-Besuch
Große Erwartungen an Angela Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist am Samstag nach Kiew. Der Besuch ist ein Hinweis darauf, dass im Ukraine-Konflikt etwas in Bewegung gerät, schließlich hatten sich beide Seiten zuletzt in eine militärische Sackgasse manövriert. Viele Ukrainer hoffen auf scharfe Worte der deutschen Regierungschefin - und Waffen.

Von Florian Kellermann | 22.08.2014
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ukraines Staatspräsident Petro Poroschenko
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ukraines Staatspräsident Petro Poroschenko bei einem Treffen im Juni. (AFP / John Macdougall)
    Oleksij Semenij hat in Münster promoviert, im Fach Politikwissenschaft. Er hätte in Deutschland bleiben können, wenn er gewollt hätte. Aber ihn zog es zurück in die Heimat, in die Ukraine.
    "Dieses Land hat ziemlich große Chancen, ein großes Potenzial, nicht genutzt oder falsch genutzt oder ausgebeutet. Und vielleicht jetzt gibt es nochmals die Chance, vom Negativen ins Positive alles umzudrehen. Wenn du erfolgreich bei dem allen bist, das bringt Genugtuung, Zufriedenheit, dass du ein Teil dieses Prozesses warst."
    Der 36-Jährige ist schnell zum Business-Lunch in den Park neben seinem Büro gesprungen, auf der Terrasse des Restaurants nimmt er sich zuerst den Weißkraut-Salat vor. Oleksij hat nicht viel Zeit im Moment. Er leitet das Institut für Globale Transformation, ein ukrainischer Thinktank, und seine Expertise ist gefragt, gerade jetzt vor dem Besuch von Angela Merkel.
    "Ich kenne die deutsche Politik und Außenpolitik ganz gut, deshalb hatte ich keine großen Erwartungen über, seien es, Reaktionen auf gewisse Schritte von Russland, seien es die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine. Ich kann ganz gut verstehen, wo die Grenzen der deutschen Politik gegenüber der Ukraine sind, deshalb keine Enttäuschung."
    Ukrainer erwarten scharfe Reaktion
    Das geht vielen anderen Ukrainern anders. Sie erwarteten, dass Deutschland viel rascher und schärfer reagiert, um Russland für seine Unterstützung der Separatisten zu bestrafen. Ein Foto vom Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft ärgerte viele: Angela Merkel sitzt auf der Bühne neben dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, die beiden scheinen zu tuscheln.
    Die Stimmung drehte sich erst, als die Europäische Union Ende Juli doch Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängte. Heute sagen viele, die man auf der Kiewer Flaniermeile Chreschtschatyk fragt, Deutschland habe die Einigung der 28 Mitgliedsstaaten zustande gebracht. So die Rentnerin Irina Oltschanska:
    "Erst der Abschuss der malaysischen Passagiermaschine hat vielen im Westen die Augen geöffnet, dass wir es hier wirklich mit einer militärischen Aggression zu tun haben, mit einem Krieg. Ich habe viele Bekannte, deren Kinder in der Armee sind und im Osten kämpfen. Manche sind verletzt, einer ist gestorben. Immer wieder heißt es, Russland könne ganz offiziell in die Ukraine einrücken. Da können wir ja nicht sitzen und zuschauen."
    Wunsch nach deutschen Waffen
    Den Besuch von Angela Merkel halten die meisten Kommentatoren für ein außergewöhnliches Signal der Unterstützung - gerade morgen. Denn nur einen Tag später, am Sonntag, begeht das Land den Tag der Unabhängigkeit, den höchsten Nationalfeiertag, den es diesmal besonders emotional erleben wird. Trotzdem wünschen sich viel Ukrainer noch mehr, am besten militärische Unterstützung, zumindest, dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert.
    Der Experte Oleksij Semenij weiß, dass das unrealistisch ist. Er wirft Deutschland nicht vor, dass es zu wenig tut, sondern dass es den Kern des Konflikts zunächst verkannt habe. Die Forderung nach direkten Verhandlungen mit den Separatisten sei naiv gewesen, meint er.
    "Die waren und die sind zum großen Teil auch heute nur ein Werkzeug von anderen Kräften, die ganz andere Sachen im Kopf haben. Hauptsächlich muss man verhandeln mit Person, die Werkzeug in die Hand hat. Das wäre in diesem Fall Putin."
    Zu diesen Verhandlungen kommt es nun nächsten Dienstag. Zum ersten Mal treffen sich offiziell Präsident Putin und seiner ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko. Auch die EU sitzt mit am Tisch. Bei Merkels Besuch wird dieser Gipfel sicher ein Hauptthema sein. Manche Beobachter in Kiew fürchten, die Kanzlerin wolle die Ukraine zu weitreichenden Zugeständnissen gegenüber Moskau drängen. Oleksij Semenij glaubt das nicht. Allerdings werde Russland seiner Ansicht die Ostukraine kaum in Ruhe lassen, wenn es nicht einen Teil seiner Ziele erreiche.
    "Wir können sprechen, dass Russland und russische Präsident hat viele Gesetze gebrochen, das geht über alle Grenzen hinüber. Aber das ist einfach die Realität, er ist Präsident, Russland ist an der ukrainischen Grenze. Russland ist auch an der Grenze der Europäischen Union. Es hat Einfluss, mag man das oder nicht."