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Vorbereitungen zum G20-Gipfel
"Die Bosse müssen selbst miteinander ringen"

Auf dem G20-Gipfel müssten die Staats- und Regierungschefs endlich persönlich miteinander reden, sagte der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Horst Teltschik im Dlf. Dabei merke jeder Einzelne, wo er Chancen habe oder mit Meinungen ziemlich alleine dastehe - das könne sehr heilsam sein.

Horst Teltschik im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 06.07.2017
    Die Staats- und der Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen sowie EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker während des Gipfeltreffens in Taormina.
    Miteinander zu reden und ringen ist die wichtigste Erfahrung bei Gipfeln, sagt der ehemalige Kohl-Berater Horst Teltschik. Der Tisch für den G20-Gipfel wird allerdings größer sein als beim Gipfel in Taormina. (dpa-Bildfunk / AP / Jonathan Ernst)
    Dirk-Oliver Heckmann: Morgen beginnt er also, der G20-Gipfel in Hamburg. Heute bereits finden wichtige Vorgespräche statt. Angela Merkel trifft mit US-Präsident Trump zusammen und mit dem türkischen Präsidenten Erdogan.
    Seit Dienstag, da sitzen die sogenannten Sherpas, die Verhandler aller Seiten zusammen, um über das Abschlussdokument zu beraten. Darüber können wir jetzt sprechen mit Horst Teltschik, ehemaliger außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, sehr lange Zeit, und er war Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Schönen guten Morgen, Herr Teltschik.
    Horst Teltschik: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    "Über diese sogenannten Klammersätze wird dann diskutiert"
    Heckmann: Herr Teltschik, Sie haben ja lange Jahre solche Verhandlungen vorbereitet, mit geführt. Wie muss man sich das eigentlich konkret vorstellen? Wie laufen diese Vorverhandlungen gerade ab?
    Teltschik: Sie laufen auf verschiedenen Ebenen ab. Die Staats- und Regierungschefs haben persönliche Beauftragte, die sogenannten Sherpas, die im Vorfeld zusammenkommen, um ein Abschluss-Kommuniqué oder Papier vorzubereiten. Und soweit sie sich schon untereinander einigen können, ist das Papier praktisch schon mit Beginn fertig. Es gibt dann in der Regel Punkte, wo keine Einigung auf Sherpa-Ebene erzielt werden konnte, und über diese sogenannten Klammersätze wird dann auf dem Gipfel diskutiert.
    Heckmann: Wie muss man sich die Atmosphäre bei solchen Vorverhandlungen vorstellen? Geht es da auch hart zur Sache? Wird es da auch mal emotional?
    Teltschik: Ja, aber das ist eigentlich aus meiner Erfahrung sehr kollegial. Natürlich hängt das ab von dem jeweiligen Temperament. Da gibt es dann Kollegen, die sagen, das macht mein Chef nie, und ich habe dann auch bei kleineren Runden oft gesagt, na ja, gut, warten wir mal ab, weil ich auch dessen Chef anders eingeschätzt habe. Und als dann die Regierungschefs zusammentrafen, dann waren solche unterschiedlichen Meinungen manchmal sehr rasch beseitigt, oder sie blieben bis zum Schluss offen und kontrovers.
    "Es geht gar nicht darum, große Ergebnisse zu erzielen"
    Heckmann: Welche Möglichkeiten gibt es denn, Herr Teltschik, die andere Seite, die auch fest gefügt vielleicht wirkt in ihrer Position, in ihrer Meinung, dazu zu bewegen, sich zu bewegen?
    Teltschik: Wissen Sie, ein Zusammentreffen von 20 Staats- und Regierungschefs oder 19 plus eins - es ist ja die EU auch dabei -, mit sehr kontroversen Politikern, die ja nun schon in ihren Ländern kontrovers sind, und dann auf internationaler Ebene zusammentreffen, das ist eigentlich das Wichtigste, wie schon Helmut Schmidt, der ja die G20 mit begründet hat, gesagt hat. Es ist einfach wichtig, dass man miteinander redet, dass man einander zuhört auf der höchsten Ebene, dass da keine Mitarbeiter dabei sind, dass da keine Vermittler tätig sind, sondern die Staats- und Regierungschefs, also die Bosse selbst miteinander ringen müssen, dass sie den anderen zuhören müssen, dass man sich besser kennenlernt. Ich bin der Meinung, es geht gar nicht darum, große Ergebnisse zu erzielen in einem Kreis von 20 Spitzenleuten plus anderen, sondern dass jeder einzelne merkt, wo habe ich die Chance, zukünftig Übereinstimmung zu erreichen, wer ist besonders schwierig, wer argumentiert wie. Das ist eigentlich viel wichtiger als irgendein Papier, an das sich dann manche trotz Zustimmung doch nicht halten.
    "Nicht auf Konfrontation gehen"
    Heckmann: Das hat ja Sigmar Gabriel bei uns gerade auch im Deutschlandfunk moniert. Herr Teltschik, beim G7-Gipfel in diesem Jahr, da lautete das Motto ja ein bisschen sechs gegen eins, sechs gegen Trump. Es sollte schon sehr klar gemacht werden, dass Donald Trump wegen seiner Klimapolitik, wegen seines Ausstiegs aus dem Klimaabkommen isoliert dasteht. Ist das eine Verhandlungsstrategie, die Sie der Kanzlerin raten würden jetzt auch beim G20-Treffen?
    Teltschik: Nein, in keinem Fall. Das Gegenteil! Ich würde alles so vorbereiten, dass ein gewisser Konsens erreichbar bleibt, und nicht auf Konfrontation gehen.
    Heckmann: Lieber Konflikte zudecken?
    Teltschik: Nein, nicht zudecken, aber offen halten. Auch bei einem Trump wollen wir doch die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch ein solcher Mann irgendwann mal dazulernt, und vielleicht ist es mehr als heilsam, dass er jetzt nicht mit der Bundeskanzlerin alleine oder mit dem chinesischen Präsidenten alleine ist, sondern dass er alle in einem Saal erlebt und erlebt, dass er mit seinen exklusiven Meinungen ziemlich alleine dasteht. Das kann auch sehr heilsam sein. Man muss auch die Dynamik solcher Runden einbeziehen. Außerdem laufen parallel die unmittelbaren Gespräche, und da sind ja viele spannende Gespräche dabei, nicht nur über Klimawandel. Denken Sie an die erste Begegnung Trump mit dem russischen Präsidenten.
    Dynamik "kann positiv sein und negativ sein"
    Heckmann: Die ja auch noch ansteht, und zwar am Freitag. Die Frage ist trotzdem, ob multilateral oder bilateral. Herr Teltschik, kann man mit einem US-Präsidenten, der solche Tweets in die Welt schickt wie zuletzt dieses Prügelvideo, in dem er vermeintlich auf eine CNN-Figur eindrischt, und der mal die eine Meinung äußert, dann wieder das Gegenteil, kann man mit so einem Mann eigentlich verlässlich Politik machen aus Ihrer Sicht?
    Teltschik: Das ist eine berechtigte Frage. Das muss sich herausstellen. Er ist ja nicht in der amerikanischen Administration alleine und er hat noch den Kongress, und die Frage ist, kann er auch zuhause schon mehr diszipliniert werden? Er ist nun mal da und wir können uns die Gesprächspartner nicht auswählen, und jetzt heißt es einfach, das Beste daraus machen. Wenn man die Unterstützung des chinesischen Präsidenten hat - ich schließe nicht aus, dass auch Putin sich einreiht, um den Druck auf Trump zu erhöhen; wer weiß, was Erdogan plötzlich für Ideen hat -, da ist eine Dynamik, kommt eine Dynamik in Gang, da muss man sehen, welche Wirkung das hat. Das kann positiv sein und negativ sein.
    Putin-Trump-Treffen: "Es kann zum deutlichen Krach kommen"
    Heckmann: Das sind ja alles sehr schwierige Vertreter, die Sie gerade genannt haben, mit Wladimir Putin und dem Präsidenten Erdogan aus der Türkei. Die Amerikaner, die amerikanischen Geheimdienste, auch die amerikanische Regierung gehen ja davon aus, dass Russland massiv in den amerikanischen Wahlkampf eingegriffen hat, und zwar auf direkten Befehl Wladimir Putins. Auf der anderen Seite hat Trump das westliche Bündnis, das NATO-Bündnis infrage gestellt mit dem Beistandsparagrafen, nach dem Motto, das würde nicht automatisch gelten, zumindest nicht für die Länder, die zu wenig zahlen. Kann es sein, Herr Teltschik, aus Ihrer Sicht, dass am Ende Wladimir Putin als Gewinner dasteht?
    Teltschik: Ja, das kann man nicht ausschließen. Es kann aber auch umgekehrt sein, dass Trump versucht, irgendeine Form eines Deals mit Putin zu machen. Er hatte ihn ja anfänglich sehr positiv eingeschätzt. Zwischenzeitlich hat er Maßnahmen getroffen, die Putin mit Sicherheit alle verärgert haben - nicht nur die Diskussion über die Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf. Denken Sie daran, er hat vor Putin Poroschenko, den Präsidenten der Ukraine getroffen, und hat ihm Waffenlieferungen zugesagt. Die Amerikaner haben die Sanktionen gegenüber Russland erweitert, und das alles vor dem ersten Treffen Putin-Trump. Das kann erheblichen Zündstoff bilden. Aber auf der anderen Seite sind beide so selbstbewusst und kampfbereit, dass es zu einem deutlichen Krach kommen kann. Aber der kann auch heilsam sein. Wissen Sie, meine Erfahrung bei diesen Gipfeln war immer: Das Wichtigste ist, dass sie endlich miteinander persönlich reden und aufeinandertreffen.
    Heckmann: Wir werden sehen, was dabei herauskommt, bei diesem Treffen der G20 in Hamburg. Wir haben darüber gesprochen mit dem ehemaligen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, lange Jahre außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl. Herr Teltschik, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Teltschik: Gerne, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.