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Vorbild für Kleists Novelle
Die Hinrichtung von Hans Kohlhase

Heinrich von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" ist weltbekannt und wurde in rund 30 Sprachen übersetzt. Die Story um den rachsüchtigen Pferdehändler beruht auf einer wahren Geschichte: Heute vor 475 Jahren wurde der Kaufmann Hans Kohlhase nach sechsjähriger Fehde wegen Landfriedensbruch hingerichtet.

Von Ulrike Rückert | 22.03.2015
    Historische Ausgaben und ein Porträt des Schriftstellers Heinrich von Kleist stehen am 16.10.2013 im Neubau des Kleist-Museums in Frankfurt (Oder) (Brandenburg).
    Historische Ausgaben und ein Porträt des Schriftstellers Heinrich von Kleist ( Patrick Pleul / dpa)
    "Das sind nicht meine Pferde, gestrenger Herr! Das sind die Pferde nicht, die dreißig Goldgulden wert waren! Ich will meine wohlgenährten und gesunden Pferde wieder haben!"
    Heinrich von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" ist in der ganzen Welt bekannt. In rund dreißig Sprachen übersetzt wurde die Geschichte vom Pferdehändler, der einen aberwitzigen Rachefeldzug führt, weil ihn ein sächsischer Junker um zwei Rösser und intrigante Höflinge um die Hilfe der Gerichte betrogen haben. Den Stoff nahm Kleist tatsächlich "aus einer alten Chronik", wie es unter dem Titel heißt.
    "Ich, Hans Kohlhase, tue kund jedermann, dass mich Junker von Zaschwitz' Untersassen zu Wellaune auf Befehl ihres Junkers, wider Recht und alle Billigkeit, auf fürstlich freier Straße, angetastet und zwei Klepper mit Gewalt genommen."
    Hans Kohlhase, Kaufmann aus Cölln an der Spree, war 1532 auf dem Weg zur Leipziger Messe, als ihn auf sächsischem Gebiet die Bauern des Junkers Zaschwitz als Pferdedieb beschimpften und ihm seine Reisepferde wegnahmen. Kohlhase musste zu Fuß nach Leipzig laufen, verpasste die besten Messetage, machte geringen Gewinn und konnte deshalb Gläubiger nicht bezahlen. Das kostete ihn seinen guten Ruf und seinen Kredit. Zaschwitz war zwar bereit, die Pferde zurückzugeben, allerdings waren sie ganz verwahrlost. Die Entschädigung, die Kohlhase für seine Unbill verlangte, lehnte er ab.
    "Ich werd' mir mein Recht zu schaffen wissen!"
    Kohlhase wandte sich an die Kurfürsten von Sachsen und von Brandenburg, ein Schlichtungsversuch scheiterte. Da verkündete Kohlhase, in Geldnot und mit dem Ruch des Pferdediebs behaftet, im März 1534 eine Fehde:
    "Bin Gottes und aller Welt Freund, allein Gunther von Zaschwitz und dem ganzen Land zu Sachsen ein öffentlich abgesagter Feind. Werde, wo ich kann, rauben und brennen, sie hinwegführen und brandschatzen."
    Die Fehde galt im Mittelalter als legitimes Mittel, sein Recht durchzusetzen, wo es an unabhängigen Gerichten fehlte. Sie war kein Rachekrieg, wie ihn Kleists Kohlhaas führt. Man terrorisierte den Gegner, fügte ihm Schaden zu, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
    "So lange bis mir von Gunther von Zaschwitz für solche großen Injurien genügender Abtrag geschehen, mir auch mein Schaden in Billigkeit erstattet wird."
    Martin Luther mahnte Kohlhase, sich der Obrigkeit zu fügen
    1495 hatten Kaiser und Reichstag ein Landfriedensgesetz erlassen, das Fehden verbot. Rechtsstreit sollte nur noch vor Gerichten ausgetragen werden. Der Staat beanspruchte ein Gewaltmonopol und versprach dafür Rechtssicherheit.
    "Denn dieses Schutzes, zum Gedeihen meines Gewerbes, bedarf ich. Er ist es, dessenthalb ich in diese Gemeinschaft flüchte; und wer ihn mir versagt, gibt mir die Keule, die mich selbst schützt, in die Hand."
    Doch es dauerte Jahrzehnte, das Fehdewesen zu beseitigen. Bald nach Kohlhases Fehdeansage brannte die sächsische Residenz Wittenberg. Jedermann hielt Kohlhase für den Täter. Der sächsische Landadel bestimmte einen Unterhändler, um zwischen den Kontrahenten zu vermitteln. Martin Luther mahnte Kohlhase, sich der Obrigkeit zu fügen:
    "Könnt Ihr das Recht nicht erlangen, so ist kein anderer Rat da, denn Unrecht leiden."
    Dazu war Kohlhase nicht bereit, aber er beging wohl nur den kleinsten Teil der Untaten, die ihm nun zugeschrieben wurden. Doch als mehrere Schlichtungsverhandlungen fehlschlugen, eskalierte die Fehde.
    "Rettet euch! Der Kohlhaas! Feuer an die Ställe! Treibt das Vieh heraus!"
    Kohlhase und seine Helfer entführten Geiseln, legten Brände und plünderten ganze Dörfer. Jetzt fahndeten Suchtrupps in Sachsen und Brandenburg nach ihm, an die hundert vermeintliche Komplizen wurden gefoltert und Dutzende hingerichtet. Aus Empörung über die Verfolgungen geriet die Bevölkerung in Aufruhr.
    "Mache dich bereit und vernimm die Gnade, nicht auf dem Rad, sondern durch das Schwert zu sterben."
    1540 wurde Hans Kohlhase in Berlin gefasst, am 22. März wegen Bruchs des Landfriedens zum Tode verurteilt und am gleichen Tag hingerichtet - ob mit Rad oder Schwert ist unbekannt, die Akten sind verloren. Man kann bezweifeln, dass er so mit sich im Reinen war wie Kleists Kohlhaas, der in seinen letzten Augenblicken Genugtuung erfährt und seine Rache befriedigt.