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Vorgeschmack auf den arabischen Frühling

Das Goethe-Institut in Berlin hat in einer fünftägigen Reihe Filme gezeigt, die vor den historischen Ereignissen in Tunesien, Ägypten, im Jemen oder im Oman entstanden sind. Jetzt, im Nachhinein, erkennt der Zuschauer überall die Zeichen des heraufziehenden Aufstands der arabischen Jugend.

Von Vanja Budde | 22.06.2011
    Viel Musik, poppig-bunte Bilder, sympathische Figuren und flott geschnitten: Der Film "Microphone" von Ahmad Abdallah wurde beim Cairo International Film Festival im vergangenen Dezember als "bester arabischer Film" ausgezeichnet. Er spielt im musikalischen Underground von Alexandria: Unter den 30 Rock- und Metalbands, in der bunten Graffiti-, Skater- und Hiphop-Szene, von der nicht einmal die Ägypter wussten, dass sie in der Küstenstadt existiert, wie Regisseur Abdallah erzählt:

    "Viele Leute und auch viele Kritiker bezeichnen ‘Microphone' als den Film der Revolution. Aber ich sehe das nicht so. Als wir in Alexandria gedreht haben, fühlten wir, dass etwas in der Luft lag. Aber wir wussten nicht, was es ist, wir fühlten diese Energie, wussten aber nicht, was wir tun sollten, außer, unsere Geschichte zu erzählen und den jungen Leuten ein Sprachrohr zu geben."

    In "Microphone" verhindert der staatliche Kulturzensor jeden Bühnen-Auftritt der jungen Musiker, so ziehen sie mit ihren Verstärkern auf die Plätze und Straßen. Doch die Polizei löst auch jedes improvisierte Konzert nach kurzer Zeit auf. Diesen Eindruck der Lähmung, des Gefangenseins und des Erstickens vermittelten viele der knapp 20 Filme der vom Goethe-Institut organisierten Reihe.

    Vor allem das digitale Kino unabhängiger Filmemacher kann als gesellschaftlicher Seismograph dienen, bestätigt die ägyptische Filmemacherin Nadine Khan. Sie ist ebenso wie Ahmad Abdallah 32 Jahre alt und gehört damit zur Facebook-Generation, die den Sturm los getreten hat:

    "Unmittelbar vor der Revolution hatte ich einen Punkt erreicht, als Regisseurin, als Frau und als ägyptische Staatsbürgerin, an dem ich das Gefühl hatte, dass das Land einen Abgrund erreicht hat, in dem nichts passiert, in dem niemand irgendetwas erreicht. Es war wirklich hart und jeder hat das gefühlt."

    Nadine Khan war in der Filmreihe mit "One in a Million" vertreten: ein Porträt des nächtlichen Kairo von 2006. Im Nachhinein sieht man die Zeichen des heraufziehenden Aufstands der arabischen Jugend überall: Die frechen Straßenkinder in dem Kurzfilm "One in a Million", die unterdrückte Sexualität in "Call Center" , der verzweifelte Wunsch, in den Westen auszuwandern in "Ain Shams", der als Wegbereiter des unabhängigen Autorenfilms in Ägypten gilt, weil Regisseur Ibrahim El Batout ihn ohne Genehmigung gedreht und es dennoch geschafft hat, den Film in ägyptischen Kinos zu zeigen.

    "Die Idee war, zu zeigen und noch mal genauer nachzugucken, was vor der Revolution schon produziert worden ist an unabhängigen Filmen, was für Debatten es schon gab, wie sich eine Filmsprache geändert hat."

    Kuratorin Irit Neidhardt hat bewusst auf Filme über die Revolution verzichtet, denn auch in der digitalen Ära brauche das Kino Zeit, um einen solch grundlegenden gesellschaftlichen Wandel Sinn stiftend zu bearbeiten. Zumal noch völlig offen ist, wohin der "Arabische Frühling" führen wird, betont Filmemacher Ahmad Abdallah:

    "Unglücklicherweise tendiert Europa dazu, die Revolution zu feiern. Aber in Ägypten ist die Situation immer noch schlecht, die Revolution geht weiter. Am 8. Juli wird es landesweite Demonstrationen geben, denn wir sind strikt gegen die Militär-Tribunale. Wir wollen keine neue Diktatur."

    Die Gefahr sei groß, sagt Abdallah, dass Ägypten einen Rückschritt um 100 Jahre erlebe. Seine Kollegin Nadine Khan ist optimistischer:

    "Noch weiß niemand, wie das alles enden wird, aber: Die Dinge sind ins Rollen gekommen. Die Revolution hat uns wieder Hoffnung gegeben und die Energie, von vorne anzufangen."

    www.arabshorts.net