Samstag, 20. April 2024

Archiv

Vorratsdatenspeicherung
"Das Problem liegt im Gesetz"

Die Vorratsdatenspeicherung ist durch das Gutachten des Europäischen Gerichtshofs keineswegs vom Tisch, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, im Deutschlandfunk. Mängel gebe es im Gesetz, EU-Recht sei nicht umgesetzt worden.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Peter Kapern | 13.12.2013
    Lange Reihen von Lichtern laufen in der Mitte des Bildes zusammen. Es zeigt ein automatisches Lager für Magnet-Datenbänder in einem Nebenraum des Supercomputers "Blizzard" im Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg
    In der analogen Welt hatten Strafverfolgungsbehörden, hatten die Polizeien die Möglichkeit, ein Telefonat zu überwachen. Es kann natürlich nicht sein, dass sie in der digitalen Welt jetzt hilflos werden - Patrick Sensburg (CDU) (dpa picture alliance / Christian Charisius)
    Christoph Heinemann: Über Pedro Cruz Villalón schreiben die Zeitungen nicht gerade jeden Tag. Heute hat er es in fast alle Blätter geschafft, und nicht nur hierzulande. Der Spanier ist einer von acht Generalanwälten am Europäischen Gerichtshof, einer der höchsten Unionsjuristen also, und er hat ein Gutachten geschrieben: Die Richtlinie der Europäischen Union zur Vorratsdatenspeicherung ist nicht mit den Grundrechten der Europäischen Union zu vereinbaren, ist dort zu lesen. Was er von dieser Sicht auf die Speicherung hält, hat mein Kollege Peter Kapern Sebastian Fiedler gefragt, den stellvertretenden Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
    Sebastian Fiedler: Nun, es wird Sie vielleicht wundern, aber wenn man sich die Kritik etwas genauer zu Gemüte führt, dann können wir die durchaus teilen und verstehen. Das ist so ähnlich, wie wir das damals in Deutschland erlebt haben. Das Problem liegt im Gesetz. Und insofern sind das einzige, was uns heute etwas geärgert hat, die zahlreichen Überschriften, die in den Printmedien zu lesen waren, es sei sozusagen die Vorratsdatenspeicherung wieder für rechtswidrig erklärt worden. Das ist mitnichten der Fall. Das war damals beim Bundesverfassungsgericht auch schon nicht so, ist jetzt hier auch nicht so, ganz im Gegenteil, sondern das Recht ist halt schlecht. Eigentlich muss ich sagen, ich sehe in dem Gutachten eher eine Stärkung Europas, weil man im Grunde dort gesagt hat, man kann viele Dinge den Mitgliedsländern nicht überlassen, beispielsweise für Rechtsschutzgarantien und Ähnliches zu sorgen, sondern man muss das unmittelbar in einer Richtlinie regeln. Dagegen können wir überhaupt nichts einwenden.
    Mängel in der Richtlinie
    Peter Kapern: Aber gleichwohl hat der Generalanwalt ja viele Mängel in dieser Richtlinie festgestellt.
    Fiedler: Genau! In der Richtlinie, aber nicht in der Vorratsdatenspeicherung oder Ähnlichem, sondern in der Regelung in der Richtlinie. Und wenn man jetzt mal ernsthaft und ganz ruhig und sachlich sich da zu Gemüte führt, wie denn die Situation in Deutschland aussieht, dann muss man sagen: wir übererfüllen diese Kritik schon ganz, ganz lange. Das heißt, bei uns ist es schon lange so, dass wir den Staatsanwalt und das Gericht einschalten müssen. Wir brauchen einen Beschluss, und dann ist es so, dass wir den Zugang zu den Daten so geregelt haben, wenn wir sie denn dann haben: In Paragraf 101 der Strafprozessordnung ist genau geregelt, dass die personenbezogenen Daten speziell gekennzeichnet werden müssen. Wir haben Löschungen genau geregelt, unmittelbar nach Abschluss des Verfahrens. Wir haben Benachrichtigungspflichten der Betroffenen. Der Betroffene kann anschließend den Rechtsweg beschreiten. All diese Garantien sind längst geregelt. Und im übrigen verweise ich auch darauf, was die Länge der Speicherzeiten angeht: Schon immer haben wir gesagt, sechs Monate reichen vollkommen aus. Von zwei Jahren war bei uns noch nie die Rede. Ganz im Gegenteil: BKA und auch wir als Berufsverband haben immer gesagt, sechs Monate reichen. Das heißt, wir können uns diesen Schuh in keiner Linie anziehen. Das einzige, was ich bemängele, ist die Berichterstattung, die immer in die Richtung geht, die Vorratsdatenspeicherung an sich sei entweder nicht nötig – auch das steht anders hier drin -, noch sei sie mit der Verfassung oder mit EU-Recht vereinbar. Beides stimmt nicht.
    Wir müssen die Opfer schützen
    Kapern: Nun hat der Generalanwalt heute auch bemängelt, dass es in dieser Richtlinie überhaupt keine Festlegung darauf gibt, was denn überhaupt die schweren Straftaten sind, bei denen auf gespeicherte Daten zugegriffen werden darf. Und da muss man sich ja doch noch mal an die Genese dieser Vorratsdatenspeicherung erinnern. Ursprünglich ist die den Bürgern Europas mal schmackhaft gemacht worden als Instrument im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Organisierte Kriminalität, und mittlerweile hat man den Eindruck, dass diese Vorratsdatenspeicherung als Instrument eingesetzt wird bei der Aufklärung von Allerweltskriminalität.
    Fiedler: Das kann ich so nicht teilen. Ich weiß nicht. Ich habe das noch nie gesagt und ich glaube, der Bund Deutscher Kriminalbeamter hat das auch noch nie gesagt. Wir benennen ganz klipp und klar, um welche Phänomene es geht. Es lässt sich auch die Mär davon sehr schnell auflösen, dass es im Grunde keinen Erfolg zeichnen würde, oder Ähnliches. Beim BKA sind all die Fälle aufgezeichnet und konkret zu beziffern, und selbstverständlich sagen wir schon immer: Wenn sich Kriminalität ändert, dann müssen wir selbstverständlich auch bestrebt sein, mit den Tätern Schritt zu halten. Und wenn wir neue Kriminalitätsphänomene haben im Bereich der sogenannten, neudeutsch bezeichneten Cyber-Kriminalität, dann müssen wir selbstverständlich die auch bekämpfen können. Etwas anderes kann man doch von Strafverfolgungsbehörden schlechterdings nicht erwarten, und dass wir versuchen, Opfer entsprechend zu schützen. Wir haben Sachverhalte, in denen Hunderttausende infizierte Computer nicht informiert werden können. Das heißt, im Bereich der Gefahrenabwehr haben wir doch Dinge, die die Bürger unmittelbar betreffen. Wir haben schwerwiegende Straftaten wie Tötungsdelikte, die wir nicht haben aufklären können. Das sind doch handfeste Dinge, die jetzt in den letzten Jahren passiert sind – Sie merken die Größenordnung, von der ich gerade rede -, die man ganz klipp und klar benennen kann. Die Opfer haben Gesichter, die wir nicht entsprechend haben schützen können, und das muss man mal klar benennen. Das prangere ich in der Diskussion immer an.
    EU-Recht wurde nicht umgesetzt
    Kapern: Die Bundesjustizministerin hat heute mit Blick auf das Gutachten des Generalanwalts gesagt, es sei Zeit, von der Vorratsdatenspeicherung Abstand zu nehmen.
    Fiedler: Das mag sein, dass sie irgendwelche Überschriften gelesen hat. Die 42 Seiten scheint sie, nicht durchgelesen zu haben. Was anderes kann ich dazu nicht sagen. Die Bundesjustizministerin hat sich durch Arbeitsverweigerung ausgezeichnet in den letzten Jahren. Sie hat schlicht und ergreifend EU-Recht überhaupt gar nicht umgesetzt und hat deswegen in Kauf genommen, dass die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt worden ist, und es drohen 300.000 Euro pro Tag nach wie vor natürlich, denn es steht ja überhaupt nicht in Rede, dass die Richtlinie jetzt von heute auf morgen aufgelöst wird. Ganz im Gegenteil: die EU-Kommission muss nachbessern und ihre Hausaufgaben machen.
    Heinemann: Sebastian Fiedler, der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Die Fragen stellte mein Kollege Peter Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.