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Vorratsdatenspeicherung
"Offene Flanke schließen"

Die SPD ist sich uneins bei der Vorratsdatenspeicherung. Anders als Parteivize Stegner will Baden-Württembergs Innenminister Gall sie nicht völlig aufgeben. Es brauche klare, enge Vorgaben, sagte er im DLF.

Reinhold Gall im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 23.04.2014
    Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) erläutert am 28.03.2014 im Landtag in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Rahmen einer Pressekonferenz die Polizeistatistik für das Jahr 2013.
    Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) (dpa picture alliance / Bernd Weissbrod)
    Diese immer wieder wiederkehrende Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung in der SPD "muss man offensichtlich erneut führen", sagte der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) im Deutschlandfunk. Es sei "abzuwägen zwischen den berechtigten Anliegen der Bürger, sicher zu leben, mit den Freiheitsrechten der Bürger".
    Auf die Vorratsdatenspeicherung könne der Staat nicht gänzlich verzichten. "Wir haben gegenwärtig eine offene Flanke in der Verbrechensbekämpfung und der Verbrechensabwehr", sagte Gall. "Wir sollten in der Lage sein, mit kriminellen Netzwerken auch Schritt zu halten, die via Internet, die via Handy, die via Telefon ihre Verbrechen vorbereiten." Die Hürden, die das Europäische Gerichtshof nun gesetzt habe, sei zu recht hoch. Daher müssten die Vorgaben für dieses Instrument sehr klar sein. Die SPD habe sich darauf festgelegt, Verbindungsdaten drei Monate lang zu speichern und anschließend zu löschen, aber nur "in besonderen Einzelfällen aus einem begründeten Anlass heraus zur Verfolgung schwerer Straftaten auf eine richterliche Anordnung" hin. "Unter diesen Bedingungen ist eine Vorratsdatenspeicherung vertretbar", sagte der Innenminister.

    Das Interview mit Reinhold Gall in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit Jahren wird in Deutschland leidenschaftlich darum gestritten: Sollen die Telekommunikationsdaten für eine bestimmte Frist gespeichert werden, um im Fall der Fälle Straftaten aufzuklären und Täter dingfest zu machen? Mit der sogenannten Vorratsdatenspeicherung würden Millionen Menschen unter Generalverdacht gestellt, argumentieren die Gegner. Ohne Speicherung können wir den Kampf gegen Kinderpornografie zum Beispiel gleich ganz aufgeben, meinen die Befürworter. Doch jetzt liegt das Projekt ohnehin auf Eis. Der Europäische Gerichtshof, der hat die entsprechende EU-Richtlinie Anfang des Monats gekippt. Und SPD-Parteivize Ralf Stegner, der fordert seine Partei jetzt dazu auf, das Thema ganz aufzugeben und sich stattdessen als Bürgerrechtspartei zu profilieren. Gudula Geuther aus unserem Hauptstadtstudio beginnt ihren Bericht mit SPD-Justizminister Heiko Maas.
    Aus unserem Hauptstadtstudio war das der Bericht von Gudula Geuther, und telefonisch bin ich jetzt verbunden mit Reinhold Gall von der SPD. Er ist Innenminister in Baden-Württemberg. Schönen guten Morgen, Herr Gall!
    Reinhold Gall: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Gall, SPD-Parteivize Ralf Stegner fordert seine Partei, also auch Sie dazu auf, das Thema Vorratsdatenspeicherung aufzugeben und sich stattdessen als Bürgerrechtspartei zu profilieren. Wäre das nicht in der Tat das Vernünftigste?
    Gall: Ja, es scheint so zu sein, dass Schleswig-Holstein in diesen Tagen Impulsgeber für konfliktträchtige Diskussionen zu sein scheint. Ich bin aber der Auffassung, dass unsere Partei, dass die SPD dem Thema Bürgerrechte in ihrer Geschichte schon immer einen hohen Stellenwert eingeräumt hat. Wir müssen uns da nicht neu erfinden. Aber ich bin auch der Auffassung, dass zu den Rechten der Bürger auch gehört, dass der Staat ihnen weitestgehende Sicherheit gewährleistet, und eine Diskussion darüber lohnt es allemal. Wobei wir bei dem Thema Verbindungsdatenspeicherung diese Diskussion in der Partei geführt haben und uns auf eine Meinung und auf eine Linie festgelegt haben.
    Heckmann: Sie haben gerade abgestellt auf den Vorstoß von Herrn Albig, was die Straßenfinanzierung, die Finanzierung der Reparaturen von Straßen und Brücken angeht. Jetzt also der Vorstoß auch von Ralf Stegner in Sachen Vorratsdatenspeicherung. Gehen Ihnen die Kollegen aus dem Norden so ein bisschen auf den Nerv?
    Offensichtlich muss erneut diskutiert werden
    Gall: Nein. Es ist doch im Wesen einer Partei, dass diskutiert wird, und insbesondere bei Themenbereichen, und das haben Sie im Vorspann ja auch angedeutet, die nun wirklich diskutiert werden können. Denn mit einer Vorratsdatenspeicherung greift man in Freiheitsrechte der Bürger ein, und deshalb kommt es darauf an, abzuwägen, so wie wir es in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder gemacht haben, nämlich abzuwägen zwischen dem berechtigten Anliegen der Bürger, sicher zu leben, mit den Freiheitsrechten der Bürger. Und diese Diskussion, die muss man führen, die haben wir geführt, und offensichtlich müssen wir sie erneut führen.
    Heckmann: Der Europäische Gerichtshof aber, Herr Gall, der hat ja geurteilt, dass diese europäische Richtlinie, die dafür eben zuständig war, gegen die Grundrechte verstoße, und Ralf Stegner sagt jetzt daraufhin als Konsequenz, das Instrument der anlasslosen und flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung ist mit diesem Urteil tot.
    Gall: Ich interpretiere das Urteil des Europäischen Gerichtshofs anders, nämlich der EuGH hat deutlich gemacht, unter welchen Bedingungen die Speicherung von Verbindungsdaten zulässig sein kann, nämlich wenn damit eine dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung verbunden ist, und dazu gehört, jedenfalls meines Erachtens und auch nach Auffassung vieler Rechtspolitiker in unserer Partei gehören schwere Straftaten, diese aufzuklären oder sie zu verhindern.
    Heckmann: Aber es ist doch so, dass die Hürden sehr hoch gesetzt wurden.
    "Antipole miteinander abwägen"
    Gall: Das ist wahr, und sie sollen zu Recht ja auch hoch sein, weil damit Eingriffsrechte verbunden sind. Und es kommt, wie gesagt, darauf an, diese beiden Antipole miteinander abzuwägen und dann zu einer Entscheidung zu kommen. Ich jedenfalls bin der Auffassung, wir haben gegenwärtig eine offene Flanke im Bereich der Verbrechensbekämpfung und der Verbrechensabwehr. Und ich bin schon der Auffassung, wir sollten in der Lage sein, mit kriminellen Netzwerken auch Schritt zu halten, die via Internet, die via Handy, die via Telefon ihre Verbrechen vorbereiten. Und deshalb bin ich schon nach wie vor der Meinung, brauchen wir eine Vorratsdatenspeicherung, unter klaren Vorgaben selbstverständlich, wann sie angewandt werden darf, wann auf diese Daten zurückgegriffen werden darf, mit richterlichem Vorbehalt, mit klaren Speicherfristen, mit klaren Vorgaben, wann gelöscht werden muss. Unter diesen Bedingungen, denke ich, ist eine Vorratsdatenspeicherung vertretbar.
    Heckmann: Denken Sie denn, dass Sie eine grundrechtskonforme Ausgestaltung hinbekommen, und wie konkret soll die aus Ihrer Sicht aussehen?
    Gall: Ja, das, denke ich, ist jedenfalls machbar und leistbar, das heißt im Klartext, eine zeitlich befristete Speicherung von Verbindungsdaten bedeutet ja erst mal nichts anderes, als dass Daten gespeichert werden, die niemand anrührt, die nicht ausgewertet, die nicht bewertet, die auch nicht verkauft werden, wie das private Anbieter ja durchaus machen, und die dann nach einer bestimmten Zeit, die SPD hat sich auf drei Monate festgelegt, auch wieder gelöscht werden, und dass nur in besonderen Einzelfällen, aus einem begründeten Anlass heraus zur Verfolgung schwerer Straftaten auf eine richterliche Anordnung versucht wird festzustellen, ob verdächtige Personen und wann miteinander telefoniert haben. Das heißt also, nur bei schweren Straftaten, bei richterlicher Anordnung und bei klaren Regelungen, wie lange überhaupt Daten gespeichert werden dürfen.
    Heckmann: Was sind schwere Straftaten in diesem Zusammenhang aus Ihrer Sicht?
    Gall: Mord, Totschlag, Kindesmissbrauch, Kinderpornografie will ich da nennen. Gerade in diesen Fällen ist es nämlich so, dass eine Verbindungsdatei oft der einzige Ermittlungsansatz ist, den die Polizei hat.
    Heckmann: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte vor kurzer Zeit berichtet, aus Regierungskreisen, in dieser Legislaturperiode werde das nichts mehr mit der Vorratsdatenspeicherung. Keine Seite, weder die SPD noch die Union hätten ein Interesse, das Thema anzupacken.
    Neue EU-Richtlinie rasch umsetzen
    Gall: Doch, ich jedenfalls habe Interesse, und wenn ich es richtig sehe, die Sicherheitspolitiker und die Innenminister der Länder und der Bundesinnenminister ebenso hat Interesse an dieser Regelung. Deshalb plädieren wir dafür, dass nach der Neuwahl des Europäischen Parlamentes unverzüglich an einer neuen Richtlinie gearbeitet wird, weil ich schon auch der Auffassung bin, dass wir in Europa einheitliche Standards bei der Verbrechensbekämpfung jedenfalls anstreben sollten, und deshalb denke ich, dass eine neue Richtlinie eine gute Grundlage dann auch für nationales Recht sein könnte.
    Heckmann: Das kann allerdings dauern, Herr Gall, denn jetzt wird erst mal gewählt, dann wird eine neue Kommission zusammengesetzt. Der CDU-Vize Thomas Strobl, der hat jetzt schon einen Alleingang auf nationaler Ebene vorgeschlagen, um eben nicht auf Europa warten zu müssen.
    Gall: Also, ich bin schon der Auffassung, dass auch auf der europäischen Ebene zügig Entscheidungen getroffen werden können. Und eine Richtlinie, die muss nicht unbedingt und zwangsläufig zwei Jahre Vorlauf benötigen, sondern es gibt jetzt eine Grundlage, auf der eine neue Richtlinie erstellt werden kann, nämlich das Urteil des EuGH, der deutlich gemacht hat, unter welchen Bedingungen eine solche Richtlinie und die Vorratsdatenspeicherung möglich wäre. Deshalb appelliere ich an die Verantwortungsträger auf der europäischen Ebene, sich dieses Thema dann unverzüglich anzunehmen.
    Heckmann: Die SPD streitet über eine Wiederauflage der Vorratsdatenspeicherung. Ich habe gesprochen mit SPD-Innenminister von Baden-Württemberg, mit Reinhold Gall. Danke Ihnen, Herr Gall, für das Gespräch!
    Gall: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.