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Vorratsdatenspeicherung
"Telefonieren nur Verdächtige?"

Die Einigung zur Vorratsdatenspeicherung innerhalb der Bundesregierung sei ein "Fortschritt in Richtung Datensicherheit", sagte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im DLF. Schlüssig sei der Kompromiss dennoch nicht.

Peter Schaar im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.04.2015
    Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar vor einem Regal mit Leitz-Ordnern
    Es seien keine Anschläge durch Vorratsdatenspeicherung verhindert worden, sagte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar. (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm)
    Die zentrale Botschaft der Einigung zwischen Justizminister Heiko Maas und Innenminister Thomas de Maiziére laute, so Schaar: "Der Staat braucht die Daten von uns allen, damit er uns tatsächlich schützen kann." Doch dies sei das "Paradoxon" der gesamten Diskussion: Seit dem Aus für die letzte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung sei kein schlüssiger Beweis dargelegt worden, dass mit ihr Terroranschläge verhindert werden können.
    "Brauchen wir das wirklich? Nein, brauchen wir nicht", findet Schaar, der seit dem Ende seiner Amtszeit als Bundesdatenschutzbeauftragter 2013 Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz ist. Ohnehin stünden bereits mehr elektronische Daten zur Verfügung als vor fünf Jahren, "weil die Digitalisierung unser Leben weiter durchdringt".
    Immer noch Generalverdacht
    Dass Heiko Maas nun argumentiere, man brauche die Daten "Unschuldiger" zum E-Mail-Verkehr nicht, wohl aber deren Telefondaten speichern wolle, sei ebenfalls nicht schlüssig: "Telefonieren nur Verdächtige?"
    Der einzige Unterschied zum vormaligen Gesetz ist laut Schaar eine besondere Sicherung bei Standortdaten und, dass die Daten nicht so lange gespeichert werden sollen. Der Begriff Generalverdacht sei dennoch weiterhin berechtigt. Die Einigung widerspreche dem Europäischen Gerichtshof. Nur eine Gefährdungssituation rechtfertige eine längerfristige Speicherung von Daten.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Muss in Zukunft festgehalten werden, wer mit wem telefoniert hat, um nach einem Terroranschlag etwa schnell aufdecken zu können, wer steckte dahinter, gab es Mittäter, um weitere Terrorakte zu vereiteln, oder können wir es uns leisten, auf die sogenannte Vorratsdatenspeicherung zu verzichten? Müssen wir darauf verzichten, weil damit jeder Mensch zu einem Verdächtigen abgestempelt würde? Gestern die Meldung: Bundesjustizminister Heiko Maas und Innenminister Thomas de Maizière haben sich auf Leitlinien eines neuen Gesetzes verständigt. Dabei hatte Maas immer argumentiert, erst müsse es eine neue Leitlinie aus Brüssel geben. Maas im Deutschlandfunk im Juni vergangenen Jahres:
    O-Ton Heiko Maas: "Es gibt zumindest keinen Grund zu handeln, weil es keine Richtlinie mehr gibt der Europäischen Kommission. Diese ist vom Europäischen Gerichtshof verworfen worden, für null und nichtig erklärt worden. Ohne eine Grundlage auf europäischer Ebene, ohne eine neue Richtlinie jetzt einen nationalen Alleingang zu machen, das hielte ich für falsch."
    Heckmann: Heiko Maas im vergangenen Jahr im Deutschlandfunk. - Nun also doch die Einigung, auch ohne eine neue Richtlinie aus Brüssel. Die Vorratsdatenspeicherung soll also kommen.
    (Beitrag von Gudula Geuther)
    Mitgehört hat Peter Schaar, langjähriger Bundesbeauftragter für den Datenschutz, jetzt Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. Guten Morgen, Herr Schaar.
    Peter Schaar: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Schaar, SPD-Chef Sigmar Gabriel hat gestern gesagt, mit diesen Leitlinien zeige der Justizminister, dass es zwischen Sicherheit und Freiheit keinen Widerspruch gebe. Hat er Recht?
    Schaar: Na ja. Das ist ein schlechtes Beispiel dafür, dass es keinen Widerspruch geben soll, denn die zentrale Botschaft ist doch, der Staat braucht die Daten von uns allen, die wir zum Beispiel telefonieren, also von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern, damit er tatsächlich uns schützen kann. Unsere Daten braucht er, um Sicherheit zu schaffen, und das ist doch eigentlich das Paradoxon, mit dem diese Vorratsdatenspeicherungsdiskussion schon lange zu tun hat, dass immer behauptet wird, man braucht diese Daten, um mehr Sicherheit zu schaffen, und tatsächlich wird der Beweis dafür überhaupt nicht erbracht. Fünf Jahre lang sind wir jetzt ohne Vorratsdatenspeicherung ausgekommen. Davor gab es einige Jahre Vorratsdatenspeicherung. Da hätte es doch nahegelegen, dass man jetzt den Beweis führen kann, dass man sie braucht. Oder in anderen Staaten hat es sie bis heute gegeben, während wir ohne ausgekommen sind. Ist da die Aufklärungsquote bei uns zurückgeblieben hinter den Aufklärungsquoten dieser Staaten? Das ist nicht gemacht worden.
    Heckmann: Vielleicht haben wir einfach nur Glück gehabt in Deutschland, Herr Schaar.
    Schaar: Es geht ja nicht nur um Terrorismus.
    "Keine Terroranschläge verhindert worden"
    Heckmann: Sigmar Gabriel verweist auf bestimmte Terrorakte, die in anderen Ländern durch die Vorratsdatenspeicherung verhindert worden seien.
    Schaar: Erst mal sind keine Terroranschläge verhindert worden. Da gibt es nicht ein einziges Beispiel dafür, dass das in irgendeiner Weise schlüssig dargelegt wurde. Und Herr Gabriel hat ja selbst da interessante Kombinationen hergestellt. Er hat beispielsweise gesagt, dass dieses schreckliche Breivik-Attentat in Norwegen hätte besser aufgeklärt werden können, weil Norwegen die Vorratsdatenspeicherung hatte. Dann hat man nachrecherchiert und festgestellt: Nein, in Norwegen gibt es gar keine Vorratsdatenspeicherung. Das zentrale Argument wurde zwar angeführt, aber es ist zusammengebrochen.
    Entschuldigung! Herr Maas hat ja selber nach den Anschlägen von Paris darauf hingewiesen, dass wir in Frankreich eine Vorratsdatenspeicherung hatten und die nicht dazu beigetragen hat, diese schrecklichen Attentate gegen Charlie Hebdo und an anderer Stelle zu verhindern. Und auch bei der Aufklärung ist man vermutlich nicht wirklich langsamer gewesen. Wer es war, der war schon auf dem Schirm der Sicherheitsbehörden. Selbst die bedrohten Stellen waren auf dem Schirm der Sicherheitsbehörden und trotzdem hat man das nicht verhindern können. Insofern frage ich mich, brauchen wir das wirklich, und meine Antwort wäre erst mal, nein, brauchen wir nicht. Wir haben ohnehin sehr viele elektronische Daten, vermutlich sehr viel mehr elektronische Daten, selbst in den zehn Wochen, die jetzt gespeichert werden sollen, als das noch vor fünf Jahren der Fall war, weil einfach die Digitalisierung unser Leben viel weiter durchdringt. Und alle diese Informationen - denken Sie daran, dass auch Geräte mittlerweile elektronische Daten erzeugen -, alle diese Informationen müssen jetzt auf Vorrat gespeichert werden, wenn da übers Internet übermittelt wird.
    Heckmann: Sie sagen, Herr Schaar, wir brauchen diese Vorratsdatenspeicherung nicht. Das sehen die Sicherheitsbehörden uni sono anders. Die Polizeibehörden beispielsweise sagen, wir brauchen das ganz dringend, das ist ein ganz wichtiges Instrument zur Aufklärung von Verbrechen, zur Aufhellung der ganzen Hintergründe, und möglicherweise wäre die NSU-Mordserie gar nicht so weit gekommen, wenn wir das gehabt hätten.
    Schaar: Auch dort sind ja umfangreichste Informationen vorhanden gewesen. Die Telekommunikationsdaten, die Telefonverbindungsdaten sind ja alle seinerzeit gespeichert worden. Da gab es sogenannte Funkzellenabfragen nach jedem dieser Verbrechen, und trotzdem hat man keinen Zusammenhang hergestellt. Dass man jetzt sagt, man sei deshalb gescheitert, weil man zu wenig Daten hatte, das glaube ich nicht. Viel eher hatte ich den Eindruck, da war man auf einem Auge blind. Man hat bestimmte Dinge, Zusammenhänge nicht für möglich gehalten und daraufhin hat man in die Richtung gar nicht mehr weiter ermittelt. Insofern ist das auch ein Argument, das ich nicht nachvollziehen kann.
    Gestatten Sie mir einen Hinweis noch auf die Argumente. Herr Maas hat ja gestern gesagt, die E-Mail-Kommunikation würde von vielen unschuldigen und unverdächtigen Menschen gebraucht, und deshalb würden die Daten bei der Vorratsdatenspeicherung zukünftig nicht erfasst. Aber wie ist es denn mit den Telefonen? Telefonieren denn nur Verdächtige? Das stimmt doch nicht. Das ist auch in sich nicht wirklich schlüssig, dieses Argument.
    Heckmann: Jetzt ist es ja so, dass die Daten höchstens zehn Wochen gespeichert werden sollen. Im Raum stand ja eine viel längere Frist. Standortinformationen, die sollen maximal vier Wochen gespeichert werden. Thilo Weichert, der Datenschutzbeauftragte in Schleswig-Holstein, der spricht von einem vertretbaren Kompromiss.
    Schaar: Nun, ich will da nicht Thilo Weichert in den Rücken fallen. Er ist ja im Amt jetzt. Aber ich würde sagen, es ist natürlich ein Unterschied zwischen dem, was seinerzeit im Gesetz stand und vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden ist, und dem, was jetzt vorgeschlagen wird. Da ist schon erkennbar ein Fortschritt in Richtung Datenschutz gegeben. Aber auf der anderen Seite muss ich sagen, die zentralen Fragen sind damit nicht wirklich beantwortet worden.
    Heckmann: Jetzt ist es aber doch so, Herr Schaar, dass die Inhalte zum Beispiel gar nicht gespeichert werden sollen, dass der Zugriff auf die Daten nur dann erfolgen soll, wenn schwere Straftaten aufgeklärt werden sollen, und auch das nur unter einem Richtervorbehalt. Da kann man doch nicht davon sprechen, dass sämtliche Bürger unter Generalverdacht gestellt werden, oder?
    Schaar: Wobei man sagen muss, das stand in dem alten Gesetz auch drin. Da ging es auch nur um die Verkehrsdaten, nicht um die Inhalte. Auch damals gab es einen Richtervorbehalt und auch damals gab es eine Beschränkung auf bestimmte Straftaten. Das ist nicht der wirklich große Unterschied. Der einzige Unterschied - und ich will das gar nicht ignorieren - ist, dass man gesagt hat, ja, wir wollen die Daten nicht so lange speichern und wir wollen auch gerade bei den Standortdaten, die in der Tat besonders sensibel sind, noch eine besondere Schutzvorkehrung einbauen. Das ist gut so, das finde ich richtig, dass man in diese Richtung denkt. Aber um die zentrale Frage sollte man sich hier nicht herummogeln, nämlich die Beweisführung, dass man diese Informationen wirklich braucht, wenn sie von uns allen oder über uns alle gespeichert werden sollen.
    "Der Begriff Generalverdacht ist ein Stück sicherlich nach wie vor berechtigt"
    Heckmann: Aber ich verstehe Sie richtig, Herr Schaar, dass auch Sie sagen, mit einem solchen Gesetz wird im Prinzip jeder unbescholtene Bürger unter Generalverdacht gestellt?
    Schaar: Der Begriff Generalverdacht ist ein Stück sicherlich nach wie vor berechtigt, jedenfalls wenn es um die Internet-Nutzung geht und um die Telefon-Nutzung, weil ja alle diese Daten gespeichert werden. Der Europäische Gerichtshof hat da ja noch sehr viel schärfer als das Bundesverfassungsgericht Grenzen gezogen. Der Europäische Gerichtshof hat gesagt, es sei nicht vertretbar, dass die Daten von massenhaft Personen gespeichert werden, die nicht im entferntesten im Verdacht sind, eine schwere Straftat begangen zu haben oder begehen zu wollen. Das ist eine Aussage des höchsten europäischen Gerichts und ich frage mich, ob jetzt das, was hier als Kompromiss dargestellt wird, damit vereinbar ist. Denn nach wie vor geht es um eine flächendeckende, nicht anlassbezogene Speicherung. Wenn man sich darauf beschränkt hätte, auf bestimmte Anlässe, Gefahrenszenarien oder so eine solche Regelung zu beziehen, denke ich, dann wäre man da sehr viel näher an einer grundrechtekonformen Lösung.
    Heckmann: Aber, Herr Schaar, wenn Sie sagen, dass allein schon die anlasslose massenhafte Speicherung dieser Daten einen Generalverdacht darstelle, dann könnte man auch die Kontrollen am Flughafen abschaffen. Da wird auch jedem unterstellt, er könnte eine Bombe am Körper tragen. Aber das ist doch eigentlich ganz sinnvoll, dass es diese Kontrollen gibt?
    Schaar: Eine Kontrolle ist sicherlich sinnvoll an bestimmten Situationen. Aber es ist doch nicht so, dass wenn ich über die Straße gehe, dass das registriert wird und für zehn Wochen gespeichert wird, weil ja ich ein Straftäter sein könnte. Das ist doch eher der Vergleich. Wenn ich mich in eine bestimmte Gefährdungssituation hinein begebe, wenn Drohungen vorhanden sind, wenn man weiß, dass über bestimmte Grenzübergänge Personen in den Dschihad ausreisen, dass man da die Kontrollen verschärft, das ist doch etwas, was völlig normal ist und wo auch kein Datenschützer etwas dagegen haben würde.
    "Einfrieren von Daten wäre sehr viel gezielter als das unterschiedslose Sammeln von Daten"
    Heckmann: Und Sie würden nicht sagen, dass wir uns derzeit in einer Gefährdungssituation befinden, angesichts der Entwicklung des internationalen Terrorismus?
    Schaar: Ich würde sagen, dass diese Gefährdungssituation nicht rechtfertigt, dass wir in unserem kompletten Kommunikationsverhalten, das ja zunehmend übers Internet abläuft, und im Telefonverhalten mit unseren Daten längerfristig gespeichert werden müssen. In der Tat, das würde ich so nicht für gerechtfertigt halten. Ich finde es richtig, dass man in solchen Gefährdungssituationen, die zum Beispiel aufgrund der konkreten Erkenntnisse von Sicherheitsbehörden da sind, sagt, jetzt werden die Daten nicht gelöscht. Das nennt man Quick Freeze, das Einfrieren von Daten. Das wäre sehr viel gezielter als das unterschiedslose Sammeln von Daten. Außerdem würde es dann, glaube ich, auch viel stärker zu einer Möglichkeit kommen, diese Daten auch wirklich auszuwerten. Die Polizeibehörden haben ja vor nicht zu langer Zeit, kurz übrigens vor den Anschlägen von Paris, beklagt, dass sie nicht in der Lage sind, die Datenträger, die sie schon haben, und die Daten, die sie haben, sinnvoll auszuwerten, dass es Jahre dauert, bis da mal jemand hinguckt, weil es zu viele Daten sind.
    Heckmann: Herr Schaar, die Nachrichten beharren auf ihr Recht um 7:30 Uhr - Wir haben gesprochen mit Peter Schaar, dem langjährigen Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Herr Schaar, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Schaar: Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.