Freitag, 29. März 2024

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Deutschland und die Coronakrise
"Diese Pandemie macht uns viel bewusster, wie wir miteinander umgehen wollen"

Die Corona-Pandemie habe zu einem Bewusstseinswandel geführt, was die Gesellschaft ausmache, sagte DIW-Chef Marcel Fratzscher im Dlf. Den Menschen sei bewusst geworden, dass Deutschland durch den starken Sozialstaat im Vergleich zu den Nachbarn relativ gut durch die Krise gekommen sei.

Marcel Fratzscher im Gespräch mit Birgid Becker | 04.10.2020
Marcel Fratzscher ist ein deutscher Ökonom. Er leitet seit 1. Februar 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (dpa / Kai-Uwe Heinrich)
"Meine Hoffnung ist, dass wir in den kommenden Jahren, wenn die Pandemie vorbei ist, die Lehren daraus ziehen und sagen, ein starker Sozialstaat ist wichtig", sagte der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, im Dlf. "Solidarität, Gemeinschaft ist uns wichtig."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Natürlich gebe es auch andere Meinungen, auch Verschwörungsmythen. "Das ist Teil einer Demokratie, dass es unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Positionen gibt", sagte Fratzscher. Die Feindlichkeit gegenüber staatlichen Institutionen, das zeigten alle wissenschaftlichen Studien und Umfragen, sei in dieser Krise in Deutschland aber sehr gering. "Wir reden über eine ganz, ganz kleine Minderheit. Und das kann und das wird unsere Demokratie auch aushalten."
"Deutschland ist relativ hart von dieser Krise betroffen"
Entgegen der landläufigen Meinung sei Deutschland "in vielerlei Hinsicht nicht besser durch diese Krise gekommen" als andere Länder. "Bei der Gesundheit haben wir eine größere Anzahl von Infizierten relativ zur Bevölkerung als die meisten anderen Länder der Welt. (…) Es gibt viele, die es deutlich besser gemacht haben als wir." Das zweite sei, wirtschaftlich gesehen erlebe Deutschland eine deutlich tiefere Wirtschaftskrise als die meisten anderen Länder der Welt. Auch bei der dritten Dimension, bei der Abwägung zwischen Gesundheit, Wirtschaft und Grundrechten, habe Deutschland mehr Restriktionen im März, April, Mai gehabt, als die meisten anderen Länder der Welt. "Also egal, wie man sich diese Dimension anschaut, ist Deutschland relativ hart von dieser Krise betroffen."
Trotzdem sagten die allermeisten Deutschen, "Wir haben das gut gemacht". Das liege daran, dass die Menschen realisiert hätten, dass wir ein enormes Maß an Solidarität haben, füreinander einzustehen und die Schwächsten zu schützen. "In dieser Krise ist zum Vorschein gekommen, wie stark unsere Zivilgesellschaft ist" und "was für einen hervorragenden Sozialstaat wir haben". Wenn Menschen krank werden wollten, "dann wollen sie in Deutschland krank werden und in fast keinem anderen Land der Welt". Das liege daran, "dass wir ein starkes Gesundheitssystem haben, wo eben jeder behandelt wird und jeder gleich behandelt wird".