Donnerstag, 18. April 2024

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Vorschläge der Hartz-Kommission werden diskutiert

Ensminger: Es wurde viel gelobt am vergangenen Wochenende, aber es gab auch wieder Kritik an den Vorschlägen der Regierungskommission zur Reform des Arbeitsmarktes. Druck machten vor allem Ministerpräsidenten aus Ostdeutschland. Die Hartz-Pläne seien zu westlastig, hieß es da beispielsweise. Noch handelt es sich ja nur um Vorschläge. Am 16. August soll die Kommission unter Leitung von VW-Vorstand Peter Hartz ihre endgültige Fassung vorstellen. Bis dahin wird weiter beraten und auch beim Treffen der Parteispitzen heute in Berlin wird vermutlich die Reform des Arbeitsmarktes nach dem Konzept ein zentrales Thema der Gespräche sein. Arbeitsvermittlung also schneller und effektiver. Ob die Strategie aufgeht oder nicht, hängt selbstverständlich auch davon ab, wie viele und welche Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Am Telefon ist nun der Generalsekretär der SPD, Franz Müntefering. Schönen guten Morgen!

08.07.2002
    Müntefering: Guten Morgen Frau Ensminger.

    Ensminger: Herr Müntefering, bevor wir auch das Thema Babcock noch mal ansprechen, wo es ja auch um Arbeitsplätze geht, bleiben wir erst mal bei den Hartz-Vorschlägen. Der Ministerpräsident Sachsens, Milbradt von der CDU, fragt was es hilft, wenn die Vermittlung beschleunigt wird, wenn nichts da ist, was zu vermitteln ist. Was antworten Sie denn?

    Müntefering: Dass es in Deutschland etwa 1,5 Millionen offene Stellen gibt - so sagen uns die Arbeitgeber -, dass es 3,9 Millionen gezählte Arbeitslose gibt und viele illegale Beschäftigung. Das kann doch so nicht bleiben. Das müssen wir doch hinbekommen, dass wir die Qualifizierung, die Weiterbildung so organisieren, dass die Menschen für die Arbeiten geeignet sind, dass die Arbeiten eingerichtet sind, um die es geht, und dass dann die Vermittlung auch funktioniert.

    Ensminger: Wobei es natürlich so ist - und da gibt Herr Milbradt auch einige Zahlen an -, auf ungefähr eine freie Stelle kommen 27 Bewerber. Wenn dann eine schnell vermittelt werde, dann blieben ja immer noch die 26 anderen. Im Osten ist die Situation also ein bisschen anders?

    Müntefering: Das ist nicht nur im Osten so, sondern es gibt Arbeitsamtsbereiche in Deutschland insgesamt, da ist die Arbeitslosigkeit wesentlich höher als in anderen Arbeitsamtsbereichen. Das wissen wir doch, aber was ist das denn für eine seltsame Argumentation, dass man den anderen, die arbeitslos sind, helfen will, für die es die Chancen gibt. Die wissen auch alle, wenn die Arbeitslosigkeit insgesamt herunter geht, dann ist das eine Stärkung für unsere sozialen Sicherungssysteme. Das gibt zusätzliches Geld in die Kassen des Finanzminister und der sozialen Sicherungen und das ist doch gut für alle. Das ist eine seltsame Ausrede, die ich an einigen Stellen höre.

    Ensminger: Das heißt es gibt keine Sonderregelung für den Osten?

    Müntefering: Sonderregelungen für die Bereiche, die hohe Arbeitslosigkeit haben. Das sind Teile des Ostens. Da gibt es auch im Osten eine große Differenzierung. Das gibt es allerdings auch im Westen. In Nordrhein-Westfalen, in Duisburg-Marxloh gibt es ganz andere Arbeitslosenzahlen als im Sauerland. Darauf muss man sich einstellen. Da wo es die Chancen der Vermittlung gibt, da müssen sie genutzt werden. Das nutzt doch auch allen.

    Ensminger: Wobei der Arbeitsminister Riester am Wochenende erklärt hat, die Hartz-Kommission arbeite noch an speziellen Konzepten für die neuen Bundesländer?

    Müntefering: Das ist ja auch völlig richtig. Deshalb ist die Art und Weise, wie dort jetzt zum Teil diskutiert wird, für mich auch nicht so ganz verständlich. Das ist ja auch wiederholt gesagt worden. Das Mitglied in der Hartz-Kommission aus Leipzig, Herr Tiefensee, hat ja auch deutlich gemacht, dass er dort bestimmte Vorschläge noch angemahnt hat. Das ist völlig richtig. Die Hartz-Kommission hat ja erst bestimmte Grundzüge erkennbar gemacht und keineswegs schon alles angesprochen, was aus ihrer Sicht wichtig ist. Ich bedauere, dass dort im Moment wieder zu viele unterwegs sind, die bevor sie überhaupt alles kennen versuchen, schon an der einen oder anderen Stelle das Negative zu beschreiben. Wir brauchen jetzt den Mut, die Dinge anzupacken und zu verändern, und wir brauchen nicht viele, die auf der Tribüne sitzen und sich das Maul zerreißen.

    Ensminger: Nun soll am 16. August die Vorlage tatsächlich dann auf dem Tisch liegen, also nicht mehr als Vorlage, sondern sozusagen beschlussfähig. Was kann denn überhaupt noch umgesetzt werden bis zu den Wahlen?

    Müntefering: Das werden wir sehen. Wir gehen davon aus, dass wir um die Tage herum auch eine Meinung machen und dass wir dann im deutschen Bundestag auf jeden Fall vor dem 22. September das Gesamtpaket noch behandeln. Man wird da keine Gesetze mehr machen können, aber man kann sie auf den Weg bringen. Man kann vor allen Dingen das, was an Verordnungen möglich ist, das, was die Arbeitsstruktur, die Organisationsstruktur der Bundesanstalt, noch Dinge in Bewegung setzen. Wir werden jedenfalls keine Woche unnötigerweise vergehen lassen, sondern das was möglich ist sofort und entschlossen tun. Dann wird sich zeigen, wer jetzt groß redet und wer wirklich mitmachen will.

    Ensminger: Es herrscht ja eigentlich im Moment seltene Einmündigkeit.

    Müntefering: Das kann ich nicht erkennen. Was ich da von Herrn Stoiber lese, auch gestern noch wieder, das ist so eine Mischung aus "wir haben es doch schon immer gewusst" und "doch ein bisschen beleidigt sein". Ich habe den Herrn Späth ja einige Male beobachten können. Der ist ja offensichtlich beleidigt, dass die ganze Welt über Herrn Hartz spricht und nicht über ihn. Da kommen im Augenblick viele Dinge zusammen. Es ist schon interessant, sich das anzugucken.

    Ensminger: Wenn Sie schon Stoiber ansprechen. Die Hauptkritik von ihm ist ja, dass im Hartz-Papier vorgesehen ist, dass Arbeitslose über 55 für die Zeit bis zur Frührente mit 60 auf Vermittlung verzichten können und statt dessen ihr eventuell dann auch reduziertes Arbeitslosengeld ausgezahlt bekommen. Das soll dann den Arbeitsmarkt von den schwer vermittelbaren entlasten und sie fielen auch aus der Statistik heraus. Die Kritik Stoibers ist nun, das sei nur ein Statistiktrick. Was halten Sie denn davon?

    Müntefering: Das ist ja auch ein Punkt, der ganz speziell für die Bereiche gilt, wo die Arbeitslosigkeit ganz besonders hoch ist und wo man 55jährige und älteren die Mobilität, also Arbeitsplätze irgendwo anders in Deutschland zu suchen, nicht mehr zumuten will. Alle sind wir uns hoffe ich einig darüber, dass der faktische Eintritt ins Rentenalter von heute 59,xx steigen wird und nicht gesenkt werden kann, sondern wir brauchen diese ältere Generation am Arbeitsmarkt. Die können was, die wissen was, die haben Lebenserfahrung, die laufen nicht mehr so schnell wie die 25jährigen, aber die sind unverzichtbar für die Volkswirtschaft. Insgesamt müssen wir die faktische Lebensarbeitszeit anheben, nicht die gesetzliche. Das kann bei 65 bleiben, aber wir müssen herauf von 59,xx, wie wir es heute haben. Die ältere Generation wird auch im Arbeitsleben gebraucht.

    Ensminger: Und auch in der Statistik auftauchen?

    Müntefering: Ja, natürlich auch in der Statistik auftauchen. Da wo es darum geht, dass erkennbar bei einer sehr hohen Arbeitslosenzahl auf lange Zeit sie keine Chance haben, ins Erwerbsleben hineinzukommen, da kann man durchaus flexibel reagieren. Das ist auch ein Punkt, der ganz wichtig ist, dass man nicht in jeder Situation da, wo die Arbeitslosigkeit 3 Prozent beträgt, oder da, wo sie 25 Prozent beträgt, mit denselben Instrumenten aktuell arbeiten kann. Da muss man dann auch bereit sein, zu differenzieren und sich auf solche differenzierte Lösungen auch einzulassen, und die suchen wir ja auch!

    Ensminger: Nun sind die Vorschläge der Hartz-Kommission die eine Sache. Da geht es natürlich hauptsächlich auch um die Reform der Arbeitsvermittlung. Nun hat Bundeskanzler Schröder im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unlängst auch die Unternehmenspolitik einiger Manager kritisiert, die Arbeitsplätze vieler Mitarbeiter aufs Spiel setzten. Die Folge müsste ja dann von Ihrer Seite sein, mehr Druck auf die Arbeitgeber auszuüben?

    Müntefering: Wir wollen vor allen Dingen Wachstum haben. Wir wollen für den Mittelstand etwas tun. Wir wollen die kleinen und mittleren Unternehmen stärken, denn da sind die meisten Arbeitsplätze und dort werden sie auch kommen in den nächsten Jahren. Wir müssen uns trennen von der Vorstellung, dass da irgendwo riesige große Unternehmen entstehen, die all die Probleme lösen und alle Arbeitnehmer aufnehmen. Wir müssen uns konzentrieren auf die kleinen und mittleren, und das ist eine Herausforderung an die Banken, zum Teil auch an die Kassen, die heute schon unter Berufung auf Basel II mit ihrer Kreditvergabe sehr zurückhaltend sind. Ein Teil der Insolvenzen, die wir in diesem Jahr in Deutschland in so hoher Zahl haben, hängt ja damit zusammen, dass die Eigenkapitaldecke dort nicht stimmt. Deshalb haben wir gesagt, wir machen eine Mittelstandsbank, eine Bank, die aus einer Hand heraus kleine und mittlere Unternehmen, auch Existenzgründer in besonderer Weise stützt, die die Länder, die dort ja gute Arbeit leisten, weiter unterstützt. Das ist unser Ansatzpunkt, die Unternehmen auch wettbewerbsfähiger zu machen, so wie wir es mit der Steuerreform ja auch schon versucht haben und erfolgreich versucht haben.

    Ensminger: Trotzdem rechnet der Verband der vereinten Kreditreform mit etwa 40.000 Pleiten allein in diesem Jahr, und da steckt natürlich auch viel Mittelstand drin. Das heißt so wirklich gut sieht es dort nicht aus?

    Müntefering: Ja natürlich. Das ist doch das, wovon ich gerade spreche. Trotzdem darf man mal feststellen: die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, auch des Mittelstandes, insgesamt ist besser geworden durch die Steuerreform. Wir haben die Körperschaftssteuer deutlich reduziert von 45 auf 25 Prozent. Wir haben die Spitzensteuersätze gesenkt und damit auch den Personengesellschaften bei den kleinen und mittleren Unternehmen entscheidend geholfen. Wir haben deren reinvestierte Gewinne steuerfrei gestellt. Also da haben schon große Wettbewerbsverbesserungen stattgefunden. Das muss auch sein. Wir müssen sehen: wir müssen unsere Unternehmen wettbewerbsfähig machen, mindestens im europäischen Verbund, damit sie dort bestehen können. Das ist aber Gott sei Dank auch so.

    Ensminger: Statt dessen haben wir aber im Moment relativ viele Insolvenzanträge hinter uns gebracht. Jüngst ist der von Babcock zu nennen. Wir haben ja gesehen: der Bund und das Land haben versucht, dort mit einer Bürgschaft von über 430 Millionen zu helfen, aber wir wissen seit heute Morgen: es hat wahrscheinlich nicht viel genutzt. Was kann denn da die Regierung tun?

    Müntefering: Ich weiß darüber nichts Verbindliches und da bitte ich um Nachsicht. Das sind sensible Situationen wie die, die Sie jetzt beschreiben, und das wäre völlig falsch, mit halbem Wissen die Sachen zu beschreien und endgültig zu beurteilen. Natürlich hoffe ich, hoffen wir alle, dass es doch noch gelingt, im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Regionen und auch der daran hängenden kleinen Unternehmen natürlich - das ist ja letztlich immer ein Verbund - doch noch Babcock zu retten und zu stabilisieren. Das kann ich aber jetzt im Augenblick nicht beantworten, ob es dazu noch eine wirkliche Chance gibt. Es gibt allerdings - darauf darf ich schon hinweisen, wenn Sie dieses Unternehmen nennen - in den vergangenen Monaten viele, auch in Bayern. Das ist kein nordrhein-westfälisches Spezifikum.

    Ensminger: Aber das ist ja gerade das Problem. Da gehen zahlreiche Arbeitsplätze verloren. Also müsste man doch dort auch von Regierungsseite versuchen gegenzusteuern?

    Müntefering: Das tun wir auch. Sie wissen, dass in den vergangenen Tagen und Wochen sowohl die Landesregierung als auch die Bundesregierung sich in dieser Sache engagiert haben.

    Ensminger: Mit der Zusicherung von Bürgschaften, aber das hat man ja bei Holzmann gesehen: es hat nichts genutzt!

    Müntefering: Holzmann hat die Bürgschaften ja auch nicht in Anspruch genommen. Da gibt es ja viele Legenden, die sich dort gebildet haben. Die Bürgschaften, die für Holzmann zur Verfügung standen, sind ja nie genutzt worden. Wenn man weitergehende Vorstellungen hat, dann müsste man das mal ein bisschen präzisieren. Ich gehe davon aus, dass niemand will, dass der Staat selbst diese Unternehmen übernimmt. Die Verantwortung liegt schon im wesentlichen bei den Managern und ohne dort jetzt zu weit zu gehen: das was man in den letzten Tagen gehört hat zu einem bestimmten Herrn bei Babcock, das klingt nicht so, als ob er sich voll verantwortlich verhalten hätte in Bezug auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und sein eigenes Unternehmen.

    Ensminger: Nun haben - das wissen wir von einer Mitarbeiterin im Aufsichtsrat - die Wirtschaftsprüfer bei Babcock auch gewarnt und nichts ist passiert. Muss man da vielleicht politisch ansetzen?

    Müntefering: Das käme auf die Dimension an. Das kann ich nicht beurteilen. In der Regel ist es ja so, dass wenn solche Warnungen kommen Aufsichtsräte und Vorstände auch hellhörig sind und dass sie im Interesse der Existenz des Unternehmens dann auch eingreifen. Da muss man die spezielle Situation genauer kennen, als ich das in Bezug auf Babcock im Augenblick tue. Ich will jetzt nicht pauschal - dagegen habe ich schon etwas - alle Unternehmen und alle Manager und alle Aufsichtsräte und Vorstände unter den Verdacht stellen, dass sie leichtfertig damit umgehen. Da handeln viele verantwortungsbewusst - das wissen wir -, aber dass dort eben auch schwarze Schafe gibt, das ist leider auch wahr.

    Ensminger: Vielen Dank Franz Müntefering, Generalsekretär der SPD, für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio