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Vorstellungsgespräch mit einem Roboter
Wie künstliche Intelligenz die Personalsuche verändert

Bewerbungsmappen lassen sich Arbeitgeber heute lieber digital schicken. Und die Entwicklung geht weiter: Bei der Vorauswahl der Kandidaten gibt es Hilfe von Computerprogrammen und künstlicher Intelligenz. Sie sollen die Persönlichkeitsmerkmale potenzieller Mitarbeiter etwa an Stimme und Wortwahl testen.

Moderation: Regina Brinkmann | 19.01.2019
    Bewerbungsmappen auf einer Tastatur.
    Bewerbungsmappen auf einer Tastatur. (imago/blickwinkel)
    Künstliche Intelligenz (KI) verändert viele Lebensbereiche - auch die Personalrekrutierung. Einige Firmen setzen bei der Vorauswahl der einzuladenden Bewerber auf eine KI-gestützte Analyse von Texten des Bewerbers auf beruflich relevante Motive oder auf ein vom Computer geführtes Vorgespräch.
    Der Wirtschaftsjournalist Kolja Rudzio hat sich für Recherchezwecke einem solchen Gespräch unterzogen, wie er im Dlf berichtete. "Es ist kein richtiges Gespräch. Es ist einfach eine Stimme am Apparat, die einem Fragen stellt, aber nicht wirklich darauf reagiert, was man sagt."
    Wie sieht ein typischer Sonntag bei Ihnen aus, erzählen Sie uns von einem schönen privaten oder beruflichen Erlebnis, einer schönen Reise, Ihren beruflichen Erfolgen - es sei ein seltsames, irritierendes Gefühl gewesen, einer reaktionslosen Maschine so persönliche Dinge preiszugeben und nicht zu wissen, was sie damit mache, sagte Rudzio.
    "Man kriegt alle möglichen Charaktereigenschaften attestiert allein aufgrund von so einer Computerauswertung." Einige hätten gut auf ihn gepasst, bei anderen habe er an der Präzision der Computeranalyse gezweifelt.
    Aus 1.000 Bewerbern werden 50
    Den Firmen gehe es unter anderem darum, Zeit zu sparen, sagt Simon Tschürtz, Gründer des Unternehmens 100 Worte, das Texte von Bewerbern durch eine mit standardisierten psychologischen Tests trainierte KI laufen lässt. 100 Bewerber in ein Assessment-Center einzuladen, sei unrentabel.
    Dirk C. Gratzel, Mitgründer der Firma Precire, die Stimmaufnahmen mit einer KI analysiert, sieht als Einsatzgebiet etwa große Firmen, die häufig große Mengen Bewerbungen zu bewältigen haben:
    "Sie möchten mit ein bisschen Substanz zu einer ersten Voreinschätzung kommen, was ist der Kreis der Bewerber, mit dem ich mich wirklich näher beschäftigen möchte, und sie möchten die Zeit des Kennenlernens abkürzen, dann ist eine solche Technologie in einer frühen Phase eines Rekrutierungsprozesses gut geeignet, aus 1.000 Bewerbern 50 zu machen oder 20."
    Sprache sei als "Gewohnheit, die wir über einen sehr langen Zeitraum entwickeln", sehr aussagekräftig, sagt Gratzel. Vieles von dem, was wir sind, transportiere sich über die Art, wie wir Sprache gestalten und benutzen.
    Ein Personaldienstleister, der Precire-Kunde sei, vermelde, durch die KI-gestützte Auswahl sei "jede einzelne Kennzahl [des Rekrutierungsprozesses] deutlich besser geworden", so Gratzel, "und zwar zur Überzeugung des Unternehmens, nicht zu unserer".
    Kritiker: Aussagekraft nicht erwiesen
    Befürworter heben hervor, eine KI-gestützte Auswahl erfolge objektiver als eine herkömmliche durch Personaler nach Foto, Brillenmodell und Nasenfaktor.
    Auch das persönliche Vorstellungsgespräch sei fehleranfällig, weil es oft nicht nach etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen geführt werde, sagt Uwe Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück. Er sieht die KI-gestützte Vermessung potenzieller Mitarbeiter allerdings sehr kritisch - zuallererst, weil Menschen es nicht gut fänden, mit einer Black Box ausgeleuchtet zu werden.
    Vor allem aber sei die Aussagekraft der Messergebnisse nach bisherigen Untersuchungen nicht erwiesen. Je nach Studie liege der Zusammenhang zwischen sprachlichen Äußerungen und Persönlichkeitsmerkmalen zwischen zehn und null Prozent. Selbst die vorteilhaftesten Zahlen "liefern überhaupt kein Argument dafür, so etwas seriös einzusetzen in der Eignungsdiagnostik."
    Ihm zufolge gibt es weitaus aussagekräftigere Verfahren. "Sie können beispielsweise bei Managern im Durchschnitt zu 45 Prozent die Leistung über den IQ erklären", erklärte Kanning. "Wir wissen, dass wir mit einem sehr guten hochstruktierten Einstellungsinterview in derselben Größenordnung berufliche Leistung prognostizieren können."
    Und auch die klassische Arbeitsprobe, "etwas Uraltes", sei "eine hervorragende Methode, um berufliche Leistung zu prognostizieren."
    Hörerreaktionen gespalten
    Die Hörer des Dlf reagieren gemischt auf die neuen technischen Analyseverfahren. Eine Hörerin sah darin "eine Chance gegen Diskriminierung". "Ein Computer kann nicht wissen, wie 'der Neue' ins Team passt", meint eine andere.
    Ein dritter befürchtete, dass Firmen durch Computer-Vorauswahl vor allem servile, angepasste Mitarbeiter bekommen, solche, die "sich alles gefallen lassen, nur um diesen Job zu bekommen" - "Ich glaube, dass die Kreativität in einer solchen Wirtschaft nachlassen wird."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.