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Vorurteile gegenüber der Forensischen Psychiatrie

Straftäter in Sicherungsverwahrung, die trotz positiver Prognose nach der Entlassung rückfällig werden, sind Einzelfälle. Doch diese diskriminierten die forensische Psychotherapie, meint die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). Jetzt will man verstärkt gegen Vorurteile kämpfen.

Von Wolfgang Noelke | 05.02.2013
    In den Maßregelvollzug entlassene Strafgefangene sind Patienten der forensischen Psychiatrie. Wie lang sie in der sogenannten Sicherungsverwahrung bleiben müssen, hänge ab, vom zunehmenden Erfolg der behandelnden Ärzte. Prof. Dr. Jürgen Müller von der Asklepios-Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Göttingen, Leiter des DGPPN-Referats "Forensische Psychiatrie":

    "Länger zurückliegende Studien belegten, dass die Rückfallrate reduziert werden konnte. Aktuellere Untersuchungen aus dem Jahr 2010 untersuchte Patienten, die entlassen waren, siebeneinhalb Jahren nach und fand dann Rückfall raten von 30 Prozent in diesen Jahren, wobei dann aber Eigentumsdelikte, Weisungsverstöße dazugehören und Rückfallraten um die zehn Prozent mit Gewalttaten."

    Nach Einführung der forensischen Notfallambulanz, so der Leiter des DGPPN-Referats "Forensische Psychiatrie" ...
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    "... kommen Rückfallraten von deutlich unter zehn Prozent heraus und da sind die meisten, dieser Rückfälle, Verstöße gegen die Weisungsauflagen. Durch diese flächendeckende Einführung der ambulanten Nachsorge sind schwere Rückfälle sicherlich Raritäten geworden."

    Raritäten, die aber jedes Mal in der öffentlichen Wahrnehmung den Erfolg des gesamten Berufsstandes infrage stellen. Im Maßregelvollzug entscheiden aber nicht Ärzte über Entlassungen, sondern Richter. In der Öffentlichkeit bekämen die – überlasteten - Ärzte die Schuld für richterliche Fehlentscheidungen. DGPPN-Präsident Prof. Dr. Wolfgang Maier wünscht sich bundeseinheitliche Regeln für seine, im Maßregelvollzug beschäftigten Kolleginnen und Kollegen:

    "Entwicklungsbedarf besteht vor allem bei Therapieverfahren und Präventionsstrategien im Maßregelvollzug. Bemerkenswert ist, das hier wenig Spezifisches passiert. Das hängt auch damit zusammen, dass die forensische Psychiatrie an den Universitäten in Deutschland kaum etabliert ist. Das gilt auch international, sodass auch wenig Entwicklungsarbeit in dieses Feld hinein fällt, trotz der großen öffentlichen Aufmerksamkeit."

    Der Begriff "psychische Störung", der jetzt auch für straffällig gewordene, zum Maßregelvollzug verurteilte Gewalttäter gelte, würde normale, nicht straffällig gewordene psychisch gestörte Patienten noch stärker diskriminieren, als dies schon jetzt der Fall sei. Behandlungserfolge würden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen:

    "Wir haben ja eine sehr große Klinik und machen etwa 16.000 Lockerungen im Jahr und Entweichungen, in dem Sinne, dass einer wegläuft, alle drei Jahre mal einer. Und Straftaten, innerhalb der Lockerungen kann ich Ihnen statistisch nicht benennen. "

    Die Statistik ist vergleichbar mit knapp 50.000 Besuchern eines Stadions, von denen nur ein einziger seine Eintrittskarte nicht bezahlt. Die Regelwidrigkeit würde niemanden interessieren. Ganz anders die öffentliche Reaktion würde sich nur einer von 50.000 Forensikpatienten regelwidrig verhalten:

    "Die gesellschaftlichen Befürchtungen bezüglich der Forensik sind extrem hoch."

    Dr. Nahlah Saimeh, vom Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstatt ist stellvertretende Leiterin des DGPPN-Referats "Forensische Psychiatrie":

    "Die Bürger haben Angst, gerade das Wort Lockerungen, wird in der Bevölkerung sehr, sehr kritisch gesehen, weil das sind Einzelfälle, wo in der Tat Lockerungen zu Entweichungen benutzt wurden und dann sehr schwere Gewalttaten passierten, was natürlich völlig indiskutabel ist oder dass aber keine Entweichungen passierten, aber Lockerungen zu Straftaten missbraucht wurden. Das sind aber einzelne Kasuistiken, die ich nicht banalisieren und bagatellisieren will, die aber das Gesamtbild sehr verfälschen."