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Vorwärts, wir müssen zurück

Nach der orangenen Revolution konnte man in der Ukraine Bestrebungen um einen zukünftigen EU-Beitritt erkennen. Seit dem Amtsantritt des neuen, pro-russisch eingestellten Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch hat sich das geändert.

Von Christoph Richter | 17.09.2010
    Die Sonne scheint über dem Kreschtschatik, der pittoresken im stalinschen Zuckerbäckerstil erbauten Prachtallee mitten im Zentrum von Kiew. Die Menschen sitzen in Cafés, lachen, flanieren und plaudern. Nach außen wirkt alles völlig normal. Das kann alles aber nur Fassade sein. Denn wie zu Sowjetzeiten, tritt zunehmend der ukrainische Geheimdienst SBU auf den Plan. Und hat missliebige Personen wie Menschenrechtler, Oppositionelle oder Journalisten im Visier.

    "Plötzlich klingelt dein Handy. Unbekannte Nummer. Und da meldet sich so eine nette Stimme. Die stellt sich dann nur sehr knapp vor, und gar nicht als Sicherheitsdienst, sondern als zuständige Organe oder so",

    erzählt Kyryl Savin. Politologe und Büroleiter der Heinrich-Böll Stiftung der Grünen in Kiew.

    "Und dann kommt so ein nettes Angebot, ich muss was mit ihnen besprechen, würden sie vielleicht Zeit haben, morgen mit mir eine halbe Stunde Kaffee zu trinken?"

    Das lässt keinen unbeeindruckt, sagt Kyryl Savin. Und es sind nicht wenige, fügt er noch hinzu, die bisher solche Anrufe bekommen haben, auch wenn er glücklicherweise noch nicht darunter war. Für Kyryl Savin gibt es keinen Zweifel, diese Angebote sollen ein Klima der Verunsicherung, der Einschüchterung und der Angst schüren. Subtile Erpressungsversuche, die kritische Stimmen zum Schweigen bringen sollen.

    Damit holt der ukrainische Geheimdienst alte sowjetische KGB-Überwachungsmethoden aus der längst verstaubten Mottenkiste.

    "Nach der Unabhängigkeit, nach '91 war der Einfluss der Sicherheitsdienste ziemlich schnell weg. Man hat es sich angewöhnt, diese Ängste zu haben, immer so ein bisschen Bedenken im Kopf zu haben, ob ich nicht zuviel sage, ob ich die Anekdote nicht zu laut erzähle. Das hat man sich abgewöhnt. Leider jetzt mit dem Regierungswechsel, der Wahl des neuen Präsidenten, kommt das langsam zurück."

    Seitdem der russlandfreundliche Wiktor Janukowitsch und seine Partei der Regionen an der Macht sind, ist in der Ukraine ein Wandel zu einem autoritären Politikstil zu beobachten. Als erstes wurden alle wichtigen Machtpositionen mit eigenen, also loyalen Leuten besetzt. Zu beobachten ist auch eine härtere Gangart. Wer sich Janukowitsch in den Weg stellt, der kann sich schnell im Gefängnis wiederfinden. So geschehen mit hohen Beamten der Vorgängerregierung, darunter der Leiter der ukrainischen Zollbehörde. Der frühere Wirtschaftsminister wird mit einem Haftbefehl gesucht.

    Geradezu logisch ist es daher, so Andreji Portnov, Historiker und Herausgeber der halbjährlich erscheinenden Publikation Ukraina Moderna, dass es Janukowitsch, neben Menschenrechtlern und Oppositionellen, jetzt auch auf unabhängige Journalisten oder Blogger abgesehen hat.

    "Was hier passiert, ist höchst gefährlich. Offiziell geht es dem Geheimdienst um den Schutz der öffentlichen Sicherheit, die angeblich durch die Berichterstattung unabhängiger Journalisten oder Blogger beeinträchtigt wird. Was aber wirklich passiert, ist, dass man alles, aber wirklich alles unter Kontrolle haben will. Und daher wieder einen allmächtigen Sicherheitsapparat schafft. Das ist für eine Demokratie wirklich sehr bedrohlich."

    Initiiert vom drahtigen 41-jährigen Geheimdienstchef Valeri Khoroshkovsky, wurde jetzt dem letzten unabhängigen ukrainischen Fernsehsender TVi, unter fadenscheinigen Vorwürfen, die analogen Sendefrequenzen genommen. Seitdem steht der Sendebetrieb still. Pikanterweise ist der Geheimdienstchef auch der Besitzer der größten ukrainischen Medienholding der Inter Media Group, die mit 96 Prozent fast den gesamten ukrainischen Medienmarkt abdeckt und beherrscht.

    Durchsetzen konnte Valeri Khoroshkovsky die Stilllegung, weil er zugleich Mitglied des höchsten Gerichtshofes der Ukraine ist. Eine Verquickung von Machtpositionen, die der fraktionslose Taras Tschornowil mit äußerstem Unbehagen beobachtet.

    "Wenn sich nicht mal die offiziellen Stellen an die Gesetze halten, Willkür walten lassen und sich nicht an die Grundprinzipien von Zivilgesellschaft halten, birgt das größte Risiken in sich."