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Vorwahlen in den USA
Chaotisch, überraschend, offen

Am Montag starten im US-Bundesstaat Iowa die Vorwahlen. In einem Marathon von Abstimmungen wollen die Parteien bis zum Sommer ihre Kandidaten für die Nachfolge von Präsident Barack Obama küren. Diesmal könnte die amerikanische Spielart des deutschen "Wutbürgers" erstmals eine wichtige Rolle spielen.

Von Marcus Pindur | 30.01.2016
    Der Demokrat Bernie Sanders und seine Ehefrau Jane O'Meara bei einer Wahlkampfveranstaltung im Grand River Event Center in Dubuque, Iowa.
    Die Kandidaten laufen sich warm für die US-Vorwahlen: Hier der Demokrat Bernie Sanders zusammen mit Ehefrau Jane O'Meara. (picture alliance / dpa / Tannen Maury)
    Es ist ein Vorwahlkampf wie keiner der letzten 50 Jahre in den USA. Chaotisch, überraschend, und vor allen Dingen provozierend.
    "Ich fordere einen kompletten Einreisestopp für Muslime, die in die USA kommen wollen. Und zwar so lange, bis die Vertreter unseres Landes herausgefunden haben, was zum Teufel hier vor sich geht."
    Es ist eine Mischung aus Wut und Entertainment-Faktor, die den Immobilienmagnaten Donald Trump an die Spitze der Umfragen gespült hat. In den USA lebende Muslime sollten registriert werden, die Einreise von Muslimen völlig unterbunden werden, so Donald Trump. Dass all dies weder praktikabel noch verfassungsgemäß ist, kümmert Trump wenig, er verleiht dem Ressentiment eine Stimme und bekommt dafür Stimmen.
    "Unser Militär ist ein Desaster. Unsere Gesundheitsfürsorge ist eine Horrorshow. Ich werde Obamacare abschaffen und ersetzen. Wir haben keine Grenzen, die illegale Einwanderung ist unglaublich. Unser Land wird regiert von unfähigen Leuten. Ja, ich bin sehr, sehr wütend."
    Anti-Globalismus gehört in diesen Mix ebenso wie Fremdenfeindlichkeit
    Es ist die bekannte Mischung des Rechtspopulismus. Ein Zerrbild der Gegenwart wird entworfen, große Versprechen werden gemacht, auf dem Rücken von Minderheiten, ohne seriöse Politikangebote. Dazu gehört die diffamierende Kritik am angeblichen Gesamtversagen der politischen Elite. Das Ressentiment und die Verkündigung von Halbwahrheiten und Lügen werden zu legitimen Einwänden umdeklariert. Ängste werden geschürt und bestätigt, so wie bei dieser Wählerin in Iowa.
    "Ich traue mich ja gar nicht zu sagen, was ich wirklich denke, weil das ja nicht politisch korrekt ist. Aber ich denke, wir sollten wieder zurückkehren zu unseren ehemaligen Werten."
    Diese ehemaligen Werte schließen in der Regel Minderheiten, Homosexuelle, Andersdenkende und gesellschaftliche Veränderungen aus. Anti-Globalismus gehört in diesen Mix ebenso wie Fremdenfeindlichkeit. Der Politikwissenschaftler Hans Noel von der Georgetown University meint, dass es sich bei diesem Populismus um ein internationales Phänomen handelt.
    "Ich denke, wir als Amerikaner sollten uns genau die Erfahrungen der Europäer mit Populisten vor Augen halten und aus ihnen lernen. Wir fragen uns, kann jemand, der so bombastisch und verrückt daherkommt wie Trump, überhaupt gewählt werden? Und dann fällt uns zum Beispiel Berlusconi ein."
    Die Wut und die Anti-Establishment-Stimmung in weiten Teilen der amerikanischen Wählerschaft hatte sich zwar seit Jahren angekündigt, stellt jedoch die politischen Eliten rechts wie links von der Mitte vor völlig neue, unerwartete Herausforderungen.
    Wer sich in Iowa durchsetzen wird, ist nicht absehbar
    Das linke Äquivalent zu Trump ist Bernie Sanders, Senator aus Vermont und bekennender demokratischer Sozialist. Die Kandidatin des Mitte-Links-Pragmatismus, Hillary Clinton, hat in ihm einen unerwartet starken Konkurrenten bekommen. Sanders ist ein Linkspopulist, der gegen Banken und Reiche wettert und einer großflächigen Umverteilung das Wort redet.
    "Wir haben einen Nerv beim amerikanischen Volk getroffen. Es versteht, dass die Politik des Establishments uns nicht weiterbringt. Wir brauchen eine politische Revolution."
    Das kommt gut an bei der demokratischen Basis, macht ihn aber für die politische Mitte schwer verdaulich – dort werden aber auch in den USA Wahlen gewonnen - woran Hillary Clinton immer öfter auf ihren Kundgebungen erinnert.
    "Man wirft mir oft vor, zu gemäßigt zu sein, zu sehr in der politischen Mitte. Dazu bekenne ich mich auch. Um politisch etwas bewegen zu können, muss man Menschen zusammenbringen, anstatt sich von den Seitenlinien aus anzuschreien."
    Die vorsichtige, abwägende, durchgeplante Wahlkampfstrategie Clintons droht, sie ins Hintertreffen zu bringen, so der moderat-konservative New York Times Kolumnist David Brooks:
    "Das ist kein gutes Jahr für Pragmatismus und für schrittweisen Wandel. Hillary Clinton hat sich als Pragmatikerin positioniert. Ich persönlich stimme damit philosophisch überein, aber es ist ein Jahr, in dem die Wählerschaft eine Art Erdbeben will."
    Wer sich in Iowa, bei den ersten Vorwahlen, durchsetzen wird, ist nicht absehbar. Die Umfragen sind notorisch unzuverlässig. Weder Sanders noch Trump verfügen über eine starke flächendeckende Bodenorganisation. Die Wähler müssen mobilisiert werden und sich einem zeitraubenden Wahlverfahren aussetzen. Wer Iowa gewinnt, kann einen Erfolg verbuchen, hat aber keinen uneinholbaren Vorteil. Noch ist vieles offen in dieser ebenso chaotischen wie überraschenden Wahlsaison in den USA.