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Vorwürfe gegen Mönchengladbach
Vom Fußballprofi zum Invaliden

Der Gladbacher Spieler Álvaro Dominguez hat mit nur 27 Jahren sein Karriereende bekannt gegeben - und macht den Verein dafür verantwortlich. Ärzte hätten ihn fit gespritzt und Beschwerden ignoriert. Der Fall zeigt erneut das schwierige Verhältnis zwischen medizinischer Abteilung und Vereinsführung in der Fußball-Bundesliga.

Von Jonas Reese | 11.12.2016
    Der Gladbacher Spieler Alvaro Domínguez Soto
    Der Gladbacher Spieler Alvaro Domínguez Soto (imago sportfotodienst)
    "Ich habe ein Leben eines Profis auf dem Feld geführt, und führe jetzt das eines Invaliden zuhause.”
    Ein sichtlich erschütterter Álvaro Dominguez erzählt der spanischen Fußball-Zeitung "Marca” ausführlich seine Leidengeschichte. Die handelt von schweren Bandscheibenvorfällen, unerträglichen Schmerzen und immer wieder neuen Versuchen, fit gespritzt für seinen Verein Borussia Mönchengladbach aufzulaufen.
    Spieler gegen Verein
    Dabei hätten die Ärzte seine Beschwerden erkennen müssen und ihn nicht spielen lassen dürfen, meint Dominguez. Er holte sich weitere medizinische Meinungen ein und sprach dann mit den Verantwortlichen bei Gladbach:
    "Ich habe erklärt, dass es sehr ernst ist, was ich habe, und dass ich gelähmt sein könnte, wenn ich weiterspielen würde. Und sie fragten mich, es dennoch zu versuchen. Da wichtige Spiele anstünden. Aber ich weigerte mich. Ich kann ja noch nicht mal laufen."
    Fehlende Güte und Menschlichkeit wirft Dominguez seinem ehemaligen Arbeitgeber Gladbach vor. Eine Kritik die Borussia-Sportdirektor Max Eberl nicht nachvollziehen kann.
    "Das ist für ihn dramatisch und es ist für uns als Verein nicht schön. Aber wir werden jetzt mit allem was wir können, versuchen, ihn zu unterstützen, ihm die Möglichkeit zu geben einen neuen Weg zu gehen, ob das jetzt im Fußball ist, neben dem Fußball. Wie auch immer."
    Großer Erfolgsdruck
    Auf Twitter versicherte Eberl außerdem, dass das Gladbacher Ärzteteam alles Menschenmögliche getan habe, um Dominguez zu helfen. Dieser wiederum sieht das anders, und behält sich rechtliche Schritte vor.
    Für Ingo Tusk, ehemaliger Mannschaftsarzt von Eintracht Frankfurt und Kickers Offenbach wirft der Fall Dominguez ein Schlaglicht auf das schwierige Verhältnis zwischen Medizinischer Abteilung und Vereinsführung in der Fußball-Bundesliga.
    "Es ist ja so, dass man auch als erfahrene Sportmediziner in der Bundesliga nicht nur mit Patienten zu tun hat und nicht nur mit verletzten Athleten, sondern auch mit der ganzen Maschinerie die dahinter steht. Das heißt also in erster Linie mit einem Trainer und einem Sportmanagement, die alle was zur medizinischen Versorgung zu sagen haben. Und das ist natürlich auch ein relativ schwieriges Arbeitsumfeld oftmals."
    Oft dringen die Ärzte also nicht durch zu den Verantwortlichen mit ihrer Meinung, oder der Erfolgsdruck ist so groß, dass einem verletzten Spieler keine Pause gegönnt werden kann.
    "Es ist ein Kontakt- und ein Kampfsport, der letztendlich auch mal dann ausgeübt werden muss, wenn es irgendwo wehtut. Aber man muss da auch Grenzen finden und sagen: Der Spieler kann nicht spielen. Aber das ist manchmal schwierig, weil der Trainer natürlich immer seinen vollen Kader haben will und sich dann gerne mal eine zweite und dritte Meinung einholt, bis einer der dann eine hat, die sagt: Der Spieler kann noch spielen."
    So Sportmediziner Ingo Tusk, der heute die deutsche Frauen-Fußball-Nationalmannschaft betreut. Die Liste der Sportinvaliden aus dem deutschen Männer-Fußball ist lang: Von Thomas Brdaric bis Christoph Preuß – bei fast allen Fällen wurde auch Kritik an den Ärzten laut.
    Vereinsführung in der Verantwortung
    Dabei scheinen sie auch nur Getriebene des Systems. Toni Graf-Baumann Mitglied der Sportmedizinischen Kommission beim Deutschen Fußball-Bund sieht die Verantwortung eher bei der Vereinsführung.
    "Für mich ist das eher ein Management-Problem. Wenn ich mit meinem Kapital so umgehe, wie viele Vereinsfunktionäre, dann muss ich mich nicht wundern."
    Auch im Fall Dominguez nimmt er die Ärzte in Schutz:
    "Rückenschmerz – hat ganz viele Möglichkeiten und Ursachen. Woher die jetzt kommen und wie die chronifizieren – das wissen wir alle. Aber wenn ein Athlet in diesem Chronifizierungsprozess unter Druck steht, und sich nicht nach dem Behandlungskonzept verhält, dann wird er einfach ein chronischer Rückenschmerzpatient. Das geht ihm genauso wie dem Nicht-Fußballer."
    Seit Jahren nimmt die Belastung für die Spieler immer weiter zu und beginnt schon im jungen Alter. Es werden immer mehr Spiele. Die Schnelligkeit und Intensität des Spiels sind außerdem erheblich gestiegen. In den 80er-Jahren sind Fußball-Profis noch rund sieben Kilometer pro Spiel gelaufen. Heute sind es mit zwölf Kilometern schon fast doppelt so viel.
    Die Folgen: Mehr Verletzungen, die nicht richtig auskuriert werden.
    "Wir wissen ziemlich genau, dass gerade im Profi-Fußball, der Druck von außen, also vom Verband, vom Verein, Medien, Trainern, so groß ist, dass sich viele Spieler, auch Profi-Spieler mithilfe von Schmerzmedikamenten wieder spielfähig machen, obwohl sie ihre Verletzung gar nicht auskuriert haben."
    Für die Weltmeisterschaft 2010 hatte Graf-Baumann in einer Studie für die FIFA erhoben, dass rund die Hälfte aller Spieler vor dem Spiel schmerzlindernde Mittel zu sich nehmen. So viele wie nie zuvor. Heute dürften es also noch mehr sein.
    Diagnose- und Therapiepflicht ist nicht kompatibel mit dem Arbeitsvertrag
    Ein großes Problem sieht Graf-Baumann auch in den Arbeitsverträgen zwischen Verein und Mannschaftsarzt. In vielen Fällen ist es so, "dass wir ganz klar feststellen müssen, dass die ärztliche Diagnose- und Therapiepflicht und -freiheit, die ja berufsrechtlich vorgeschrieben ist, nicht kompatibel ist mit dem Arbeitsvertrag, den der Arzt mit seinem Verein hat."
    Nicht jeder Mannschaftsarzt tritt da so selbstbewusst auf wie Bayerns Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: "Ich verantworte und ich entscheide ganz alleine, wie ich behandle und wann ich einen Spieler wieder freigebe für den Sport." Die Grenzen seiner Freiheit musste dann aber auch Müller-Wohlfahrt anerkennen. 2015 entzog ihm Star-Trainer Pep Guardiola das Vertrauen, weil Schlüsselspieler wie Robben und Martínez zu langsam regenerierten.