Donnerstag, 18. April 2024

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Vorwurf Landesverrat
"Wer ist überhaupt auf die Schnapsidee verfallen?"

Der Grünen-Politiker Volker Beck hält die Anzeige gegen die Journalisten von "netzpolitik.org" für nicht rechtmäßig. Der Tatbestand des Landesverrats nach dem Strafgesetzbuch sei nicht erfüllt, sagte er im DLF. Der Verfassungsschutz lenke mit der Anzeige von Mängeln bei der eigenen Arbeit ab.

Volker Beck im Gespräch mit Peter Kapern | 01.08.2015
    Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck.
    Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck. (Imago / Sven Simon)
    Peter Kapern: Er sei überwältigt angesichts der Unterstützung, die er derzeit erfahre, so der Blogger Markus Beckedahl heute im Interview mit den "Ruhrnachrichten". Markus Beckedahl, das ist der Mann, den Generalbundesanwalt Harald Range offensichtlich für einen Landesverräter hält. Beckedahl und sein Kollege Andre Meister haben im Blog "netzpolitik.org" interne Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz veröffentlicht. Dessen Chef, Hans-Georg Maaßen, stellte deshalb Strafanzeige, und der Generalbundesanwalt startete Ermittlungen gegen die unbekannte Quelle im Verfassungsschutz - und gegen die Blogger. Der Protest ist massiv, die Ermittlungen gegen die Journalisten hat Range vorläufig auf Eis gelegt, aber die Empörung, die hält an. Bei uns am Telefon ist jetzt der Rechts- und Innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck. Guten Tag!
    Volker Beck: Guten Tag!
    Kapern: Herr Beck, machen wir es kurz: Wer muss zurücktreten?
    Beck: Also ich finde, es muss erst überhaupt geklärt werden, wer überhaupt auf die Schnapsidee verfallen ist, hier in dem Fall der Veröffentlichung auf "netzpolitik.org" den Tatbestand des Landesverrats verwirklicht zu sehen. Das ist ein Geheimnisverrat, das ist zweifelsohne richtig, aber Geheimnisverrat eben gerade durch Journalisten ist als Beihilfe und eigentlich auch als Anstiftung, ist ausdrücklich im Strafgesetzbuch von der Strafbarkeit ausgenommen. Und bei Landesverrat braucht man eben mehr als ein offenbartes Geheimnis, sondern es muss eine Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt worden sein. Das ist aber durch diese Veröffentlichung von internen Papieren für die Haushaltsberatungen, dass man eine neue Abteilung aufbauen will und dass man sich ein neues Softwaresystem wünscht, das eine bestimmte Datenmenge auf eine bestimmte Art und Weise in der Lage ist, zu bearbeiten, überhaupt nicht zu besorgen. Und da muss ich mich schon fragen, besitzt Herr Maaßen ein Strafgesetzbuch? Hat der Generalbundesanwalt auch eine Ausgabe des Strafgesetzbuches in seinem Bücherschrank stehen? Dann kann ich mir in beiden Fällen nicht erklären, dass gegen diese Journalisten ermittelt wird. Dass gegen Unbekannt ermittelt wird, also Leute aus dem Dienst, Leute aus dem Haushaltsausschuss oder dem einschlägigen Gremium, die diese Informationen weitergegeben haben, die man noch nicht kennt und die man ermitteln will, dagegen ist nichts zu sagen. Aber gegen Journalisten wegen Geheimnisverrats zu ermitteln, ist eindeutig gegen den Wortlaut des Strafgesetzbuches.
    "Bundesamt für Verfassungsschutz führt Entlastungsschlachten"
    Kapern: Noch mal nachgefragt, Herr Beck: Sie vermuten also juristische Analphabeten an der Spitze des Verfassungsschutzes und an der Spitze der Generalbundesanwaltschaft?
    Beck: Na ja, ich vermute erst mal gar nichts. Ich möchte von den Herren eine Auskunft als Parlamentarier. Was hat sie auf diesen absurden Weg geführt? Es ist ja auch schon ein merkwürdiger Vorgang, dass der Generalbundesanwalt sagt, wir ermitteln, aber bevor wir weitere Maßnahmen einleiten, lassen wir die Ermittlungen erst mal wieder ruhen und lassen ein Gutachten erstellen über die Frage, ob der strafrechtliche Vorwurf nach dem, was man bisher weiß, überhaupt aufrechterhalten werden kann. Ich erwarte eigentlich von einer Generalbundesanwaltschaft, dass sie eine solche Frage selber klären kann und dass sie sie prüft, bevor sie Ermittlungen gegen konkrete Personen aufnimmt.
    Kapern: Herr Beck, ich kann Sie jetzt leider nicht einfach so verabschieden, ohne ein paar Spekulationen, weil Sie darauf beharren, dass Sie nun erst einmal eine Auskunft von den betroffenen Leuten haben müssen. Ich würde da gerne noch mal nachhaken. Wir haben es beim Verfassungsschutz, beim Bundesamt für Verfassungsschutz mit einer Behörde zu tun, die gerade in dem Moment, als Ermittlungen aufgenommen wurden in Sachen NSU, und gefragt wurde, wie es sein kann, dass der Nationalsozialistische Untergrund eine Dekade lang eine Blutspur durch Deutschland ziehen konnte, die Reißwölfe hat warmlaufen lassen. Und jetzt wieder dieser ja auch für Sie unverständliche Angriff auf die Pressefreiheit und die Journalisten. Was ist da los in diesem Bundesamt für Verfassungsschutz, Ihrer Meinung nach?
    Beck: Ich glaube, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz sehr große Probleme hat damit, seine Fehler und seine Mängel aufzuarbeiten, und deshalb nach Entlastungsschlachten wie dieser hier sucht. Das ist aber sehr schlecht. Wir brauchen einen Inlandsgeheimdienst, der uns auch vor Auslandsspionage schützt, der solche Fälle wie im Fall der NSU aufklärt und solche Gruppen erkennt, also bei diesen Aufgaben, die der Inlandsgeheimdienst eigentlich erfüllen sollte, hat er in der Vergangenheit versagt. Und offensichtlich will er sich jetzt eher gegen Kritik und Diskussionen über seine Arbeit schützen, indem andere angegriffen werden, als zu sagen, okay, in der Vergangenheit haben wir enorme Defizite gehabt, da gibt es wohl vielleicht auch Fehler in der Denke unseres Hauses. Das wollen wir anerkennen, und aus diesem Anerkennen der Fehler wollen wir eine neue Kultur des Amtes, die sich tatsächlich dem Schutz der Verfassung und der Grundrechte, die darin verbrieft sind, widmet und nicht einfach versucht, Fehler und Kritik an diesen Fehlern wegzuretuschieren oder zu vertuschen.
    "Nicht den Überbringer der schlechten Botschaft angreifen"
    Kapern: Dieser Angriff auf Journalisten jetzt, ist der eigentlich Ausdruck einer Bunkermentalität im Bundesamt für Verfassungsschutz?
    Beck: Ich kenne ja das Schreiben von Herrn Maaßen an den Generalbundesanwalt nicht, sondern öffentlich bekannt ist ja bislang nur das Schreiben des Generalbundesanwalts an die beiden Journalisten. Deshalb müsste man das erst mal sehen, um zu gucken, was da drinsteht. Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Strafanzeige stellt, wenn Dinge aus ihrem Bereich in die Öffentlichkeit unbefugt sickern, das ist zunächst mal verständlich. Also das eigene Leck zu suchen, das gehört auch mit zu den Aufgaben dazu und da hat die Strafrechtspflege auch eine Funktion. Allerdings jetzt Journalisten, die das Ergebnis dieses Leckes dann der Öffentlichkeit präsentieren, dann mit in die Strafverfolgung einzubeziehen, das ist eben eindeutig gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Schutze der Pressefreiheit, und es ist auch gegen den Wortlaut des Strafgesetzbuches beim Thema Geheimnisverrat, weil da wurde unter Frau Leutheusser-Schnarrenberger eine Reform gemacht, die versucht hat, das "Cicero"-Urteil umzusetzen. Ich fand die damals nicht weitgehend genug, vielleicht ist der Fall auch Anlass dazu, sich diese Frage noch mal vorzunehmen, wenn der Generalbundesanwalt offensichtlich nicht erkennen will, was der Gesetzgeber ihm damit sagen wollte. Aber trotzdem muss man hier jetzt dazu kommen, dass die Organe sich auf ihre Aufgaben konzentrieren und nicht den Überbringer der schlechten Botschaft, nämlich den Journalisten hier anzugreifen.
    Kapern: Volker Beck, Rechtsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Beck, Danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!
    Beck: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.